Zwischen Millionenkampagne und der Wut im Bauch

Tausende Bauarbeiter blockieren die Zürcher Bahnhofsbrücke und zeigen schweizweit grosse Entschlossenheit. Als kämpferischster Teil der ArbeiterInnenklasse stellen die Bauarbeiter gegenwärtig ein vielbeachtetes Segment dar – auch von der politischen Gegenseite.

(az) Wer sich am 23. Juni 2018 durch die Zürcher Innenstadt begab, war beeindruckt (vgl. aufbau 94). Gegen 18’000 Bauarbeiter – nach wie vor arbeiten fast keine Frauen in dieser Branche – waren aus der ganzen Schweiz angereist. Sie demonstrierten in einheitlich roten T-Shirts und Fahnen und gaben damit ein imposantes Bild ab. Im Zug der Landesmantel-Vertragsverhandlungen mobilisierten die Gewerkschaften Unia und Syna. Kein (finanzieller) Aufwand schien den Gewerkschaften zu gross, um Zürichs Innenstadt in rot zu tauchen und damit der eigenen Verhandlungsposition gegenüber den Baumeistern Gewicht zu geben. Zu diesem Zweck mussten sich auch sehr viele Funktionäre aller anderen Branchen in den Dienst der Baukampagne stellen. Die Baukampagne geniesst innerhalb der Unia offensichtlich Priorität.

Traditionell kämpferisch
Die Wut der Basis war und ist indes berechtigt: Gefordert wird eine bescheidene Lohnerhöhung sowie das Beibehalten der Rente mit 60 Jahren (bekannt als flexibler Altersrücktritt FAR). Traditionell sind die Bauarbeiter kämpferisch. Sie arbeiten im Gegensatz zu vereinzelten Reinigungsangestellten stets kollektiv in grösseren Belegschaften. Viele Bauarbeiter stammen ursprünglich aus Ländern mit einer starken Klassenkampftradition. Die Aussicht, in Zukunft wieder bis 65 Jahre arbeiten zu müssen, macht gerade ältere Betroffene stinkwütend und mobilisiert sie in grosser Zahl auf die Strassen. Sie bilden einen grossen Teil jener Masse, die der Gewerkschaftsführung zu Macht am Verhandlungstisch verhelfen sollen. Am 6. November wurde in Zürich gestreikt, ein Erlebnisbericht ist im Internet auf aufbau.org zu finden («„Uniti, siamo forti!“, Erfahrungsbericht vom Streiktag der Bauarbeiter in Zürich»). Auch und besonders in der Westschweiz sowie im Tessin fanden eindrückliche Streiks statt.

Millionenschwere Gewerkschaftskampagnen
Es sind die eingangs erwähnten Eindrücke von Fahnenmeeren und Trillerpfeifen, die mit der Gewerkschaft Unia assoziiert werden. Diese Bilder stehen für eine kämpferische Gewerkschaftspolitik und verhelfen der Mitgliedergewinnung zu Erfolgszahlen. Für dieses kämpferische Image investiert die Gewerkschaft Unia Millionen von Franken. Doch die FunktionärInnen, welche für die Baukampagne eingeteilt werden, fehlen in anderen Branchen. Dass vor allem die Landesmantelverträge der Baubranche mobilisieren, hat unter anderem auch mit dieser einseitigen Prioritätensetzung auf den kämpferischsten Teil der Klasse zu tun. Gerade das Baunebengewerbe tut sich indes schwer mit einem guten Gesamtarbeitsvertrag.

Auswirkungen auf das schweizweite Kräfteverhältnis
Auf der anderen Seite der Barrikade fällt auf, dass sich die grossen Baufirmen im Rahmen der Landesmantelkampagne 2018 gegen eine schnelle Einigung mit den Gewerkschaften stellen. Dies steht im Gegensatz zu anderen Jahren, in denen eher die kleinen Firmen bestrebt waren, die Gewerkschaften zurückzubinden. Damals waren die grossen Firmen an «gleichlangen Spiessen» für alle Baufirmen interessiert und drängten auf einen raschen Abschluss des Landesmantelvertrages.

Heute geben besonders die flexiblen Arbeitszeiten zu reden, welche die grossen Baufirmen des Tief- und Strassenbaus durchsetzen wollen. Das irritiert. Denn gegenwärtig wird der gesetzliche Spielraum diesbezüglich nur selten ausgeschöpft. Im gewerkschaftlichen Umfeld mehren sich Stimmen die besagen, dass die Angriffe auf die Arbeitszeiten der Bauarbeiter einen politischen Angriff auf die Gewerkschaftsbewegung insgesamt darstellen würden. Dies zu belegen ist schwierig. Zweifellos ist jedoch, dass Bundesrat Cassis und seine Mitstreiter im Zeitalter von Digitalisierung und Flexibilisierung ein Interesse an geschwächten Gewerkschaften haben. Der Wunsch nach flexiblen Arbeitszeiten auf dem Bau deckt sich mit parlamentarischen Initiativen der Rechtsbürgerlichen.

Wird in den Verhandlungen rund um den LMV also primär ein politischer Angriff gefahren? Ein Angriff auf die Baubranche stellt einen Angriff auf die gewerkschaftliche Speerspitze dar. Mit welchem Kompromiss man sich letztlich einigen wird, ist noch unklar. Jedenfalls drohen der vertragslose Zustand und weitere Streiks. Und damit jene kollektive und kämpferische Momente, die uns als KommunistInnen am meisten interessieren.