1. Mai – Keine Zeit für Reformen – Gemeinsam Klassenperspektiven erkämpfen

Der 1. Mai 2019 steht ganz im Zeichen des Aufbruchs. Mit den Gilets Jaunes, dem Klimastreik und dem Frauen*streik durchbrechen Massenbewegungen an verschiedenen gesellschaftlichen Brennpunkten die Perspektivlosigkeit des Kapitalismus und der reaktionären Hetze. Das französische Proletariat hat die Schnauze voll von der arroganten Bereicherung der Bourgeoisie auf dem Buckel der Lohnabhängigen. Die Jugend tritt länderübergreifend an, dem kapitalistischen System die Umwelt zu entreissen und so die Zukunft in die eigenen Hände zu nehmen. Und die proletarischen Frauen nehmen international einen erneuten historischen Anlauf die patriarchalen kapitalistischen Verhältnisse zu stürzen.

Die Herrschenden haben uns mit dem Klassenkampf von rechts oben – der Kombination von neoliberalen Angriffen auf unsere Arbeits- und Lebensbedingungen und reaktionärer Mobilisierung gegen zivilisatorische Errungenschaften – lange genug eingeschüchtert: Während die Sozialdemokratie und die Gewerkschaftsführungen, welche uns den Angriff von oben auch noch als Sozialpartnerschaft verkaufen wollen, mit ihrer lähmenden reformistischen Plästerlipolitik dabei sind sich selbst abzuschaffen, nimmt eine Politik von unten links neuen Schwung auf. Und dieser Widerstand von unten links passiert nicht dort, wo ihn die Bourgeoisie gerne in der Wirkungslosigkeit der Parlamente versandet sehen will, sondern dort, wo jede gesellschaftliche Veränderung durchgesetzt wird: Auf der Strasse, in den Betrieben und in den Schulen.

Autoritärer Kapitalismus
Und dieser massenhafte Widerstand von unten ist überfällig. Die alte Herrschaftsordnung des Kapitalismus ist seit langem in der Krise. Ihr ökonomisches Fundament ist schon seit den 70er Jahren mit den sinkenden Profitraten sukzessive weggebrochen. Diese strukturelle ökonomische Krise bricht mit immer grösseren Wellen über die Welt herein und reisst – wie zuletzt mit der Finanzkrise 2008 – die unterdrückten Klassen mit, während sich die Mächtigsten unter den KapitalistInnen noch weiter daran bereichern. Denn der durch die Krise weiter entfesselte Konkurrenzkampf unter den KapitalistInnen wird durch Privatisierungstendenzen, Sozialabbau, Deregulierung von Arbeitsgesetzen und Zerstörung der Umwelt auf den Rest der Bevölkerung abgewälzt. Ohne erfolgreichen Widerstand gelang es Staat und Kapital immer mehr Lebensbereiche und gesellschaftliche Breiche unter das Diktat der Kapitalverwertung unterzuordnen.

Heute folgt auf die ökonomische Krise eine tiefgreifende politische Krise. International erleben wir eine enorme Kriegstendenz. Ihren ökonomischen Niedergang versuchen die USA mit ihrer militärischen Hegemonie zu kompensieren. Dies äussert sich einerseits in einer forcierten Politik der „Regime Changes“, ob in Venezuela und Kuba, in der Ukraine oder im arabischen Raum, wo die Aufstände des „Arabischen Frühlings“ gegen die jeweilige herrschende Klasse wahlweise durch imperialistische Kräfte unterdrückt oder unterstützt und in ethnische und religiöse Bürgerkriege gelenkt worden sind. Andererseits ist diese militärische US-Hegemonie nicht mehr länger unangefochten und imperialistische Rivalen wie Russland und China aber auch wie die EU wittern Morgenluft. Die Aufkündigung des Mittelstrecken-Raketen-Vertrages durch die USA, die Aufrüstung der Arktis und der Krieg um den Mittleren Osten müssen vor diesem Hintergrund durchaus als Vorboten einer immer wahrscheinlicher werdenden erneuten direkten militärischen Konfrontation der imperialistischen Grossmächte gesehen werden.

Auf innenpolitischer Ebene äussert sich die politische Krise in einer Repräsentationskrise. Der Korporatismus in den imperialistischen Ländern hat seine Legitimation und seine AkteurInnen verloren. Bei sinkenden Reallöhnen und steigender Produktivität lässt sich die Mär von deckungsgleichen Interessen von AusbeuterInnen und Ausgebeuten nicht mehr halten. Die sozialdemokratischen Parteien haben sich in den letzten Jahrzehnten zu neoliberalen Parteien gewandelt, die primär damit beschäftigt waren, emanzipatorische Forderungen sozialer Bewegungen in ihr Gegenteil zu verdrehen und in den Dienst des Klassenkampfs von oben zu stellen. Und die Gewerkschaften verwalten nur noch den Sozialabbau und die Angriffe auf die Arbeitsbedingungen und haben folglich überall das Vertrauen der ArbeiterInnenklasse verloren. Keine Frage, die ökonomischen Interessen der ArbeiterInnenklasse werden heute weder vertreten noch kontrolliert. Aber auch die sonstigen politischen Eliten und die ganzen demokratisch verfassten Regierungsformen sehen sich in einer Legitimations- und Hegemoniekrise. An der Wahlurne und auf der Strasse verhalten sich die Beherrschten immer weniger kontrollier- und vorhersehbar. Der Bankrott des Reformismus und die weitgehende Isoliertheit einer orientierenden revolutionären Gegenmacht, kann von neuen „populistischen“ Parteien genutzt werden. Sie mobilisieren die politische Resignation und Wut weiter Teile der Bevölkerung für – meistens – autoritäre und reaktionäre Politik, womit sie die parteipolitische Landschaft polarisieren und überrollen. Mit einem rasanten Tempo driftet das gesamte bürgerliche Spektrum nach rechts ab und freundet sich wieder mit autoritären Herrschaftsoptionen an. So sind heute in Europa, der Türkei, der Ukraine, den USA und Brasilien und anderen Ländern reaktionäre bis offen faschistische Bewegungen Teil der Regierungen.

Heute sollte klar sein, dass ein Widerstand gegen dieses reaktionäre Abdriften nach rechts weder auf den etablierten Politikformen aufgebaut noch innerhalb kapitalistischer Argumentationen begründet werden kann. Die Entwicklung hin zur faschistischen Herrschaft war schon immer eine Option für das Kapital und steht auch absolut im Einklang mit dem Wichtigsten kapitalistischen Gut – der Verwertung menschlicher Arbeit für das Kapital.

Aber der stetige und vielfältige Versuch der KapitalistInnen, ihre Krise zu unserer zu machen, hat seine Grenzen. Die aktuellen Massenbewegungen zeigen einen Weg auf, wie aus der Ohnmacht herausgefunden werden kann. Die unzähligen vereinzelten Angriffe von oben und von rechts haben zu einem Unmut geführt, der sich nicht mehr im Widerstand gegen einzelne Projekte kanalisieren lässt.

Die Gilets Jaunes: Die verallgemeinerte Wut gegen die Arroganz der Herrschenden

Der militante Kampf der Gilets Jaunes hat sich innert kürzester Zeit zu einem  Aufstand gegen die gesamte Regierung und die Eliten gewandelt. Nach Jahren des erfolglosen gewerkschaftlich institutionalisierten Widerstands gegen den einen oder anderen neoliberalen Angriff, hat sich die Wut verallgemeinert und sich Bahn gebrochen. Selbst als der französische Präsident Emanuell Macron die Treibstoff-Steuer – den Auslöser des Protestes – zurückgenommen hatte, ist der Aufstand unvermittelt weiter gegangen und mobilisiert immer noch Woche für Woche hunderttausend Menschen auf die Strasse. Die bewährten Pazifizierungsmanöver der Herrschenden – Zugeständnisse an einzelne soziale Gruppen und Knüppelschlägen für andere – scheinen nicht mehr zu greifen. Die Strategie des „teile und herrsche“ ist gescheitert, denn das französische Proletariat hat tausend offene Rechnungen mit der Regierung und präsentiert diese nun als verallgemeinerten Klassenkampf.

Dass sich neue Teile des Proletariats mit neuen Symbolen und neuen Formen die Strassen genommen haben, hat gerade die parlamentarische und gewerkschaftliche Linke vor den Kopf gestossen, die sich mit Politik die Hände nicht schmutzig machen will. Aber auch die revolutionäre Linke und die progressiven Teile der Gewerkschaftsbewegung näherten sich dieser neuen Bewegung anfänglich skeptisch an. Sie erkennen aber mittlerweilen, dass diese Bewegung genau das ist, was die Linke braucht: Kompromissloser und entschlossener Klassenkampf. Wie jede Bewegung, die auf massenhafter Spontanität beruht, drücken sich in ihr verschiedenste widersprüchliche Interessen aus. Natürlich versuchen auch reaktionäre und faschistische Kräfte in dieser Bewegung Fuss zu fassen. Und natürlich können sie dabei an reaktionären ideologischen Versatzstücken der Entsolidarisierung und des Rassismus anknüpfen, die den Lohnabhängigen über Jahrzehnte neoliberaler Politik eingetrichtert worden sind und die im Kapitalismus ganz vernünftig erscheinen. Umso wichtiger ist es denn auch, dass die revolutionäre Linke sich offensiv als Teil dieser Massenbewegung versteht, deren Entschlossenheit und Selbstorganisierung unterstützt, Perspektiven jenseits der Vertreibung Macron‘s denkbar macht und reaktionäre Kräfte konsequent aus der Bewegung vertreibt. In dieser Massenmilitanz, die sich seit Monaten jeden Samstag die Strassen erobert, können alle – ob revolutionär organisierte Militante oder das erste Mal sich politisch bewegende Protestierende – voneinander lernen.

Klimastreik: Keine Zeit mehr für Reformen

Mit dem weltweiten Klimastreik läutet die Jugend Sturm für den Widerstand gegen die Unterhöhlung unserer Lebensbedingungen durch den Kapitalismus. Sie lässt sich nicht mehr mit Ankündigungen kleiner Reformschritte abspeisen, wo ein grosser Systemwandel nötig wäre. Die Zeit einzelner Reformen, Beschlüsse oder Interventionen ist längst vorbei. Der Kapitalismus bedroht unsere Existenzgrundlage ganzheitlich, weltweit und als gesamtes. Überall, wo die Natur in den Sog der Kapitalverwertung gerät, wird sie zerstört. Gerade in Bezug auf die Umwelt zeigt sich in besonderer Deutlichkeit, dass der Kapitalismus keine Fehler hat, sondern der Fehler ist. Dass die kapitalistische Gesellschaft als ganzes auf den Abgrund zusteuert, wird gerade von der Jugend erkannt. Es bleibt schlicht keine Zeit mehr für irgendwelche kleinen Reformen an dieser und jener Stelle – erst recht nicht wenn diese Reformen auch noch kapitalfreundlich sein sollten.

Die Stärke des Klimastreiks liegt neben seinem Massencharakter darin, dass die Probleme so verallgemeinert auf den Punkt gebracht werden, wie sie auch sind. Damit bleibt objektiv gar kein Raum mehr für rekuperierende und kanalisierende grüne Wahlpolitik. Diese objektive Unmöglichkeit hält die ReformistInnen natürlich aber nicht davon ab das Blaue vom Himmel zu versprechen und zu versuchen den Klimastreik als Katalysator für einzelne Politkarrieren zu nutzen. Wie bei den Gilets Jaunes sprechen wir auch hier von einer spontanen und damit sehr heterogenen Bewegung, die auf wenig eigene Erfahrungen zurückgreifen kann und die in ihrer Breite durchaus gewohnt ist in parlamentarischen Kategorien zu denken. Den antagonistischen Kräften innerhalb der Bewegung kommt damit die wichtige Funktion zu, mit aller Kraft dagegen zu agitieren, dass der Schutz der Umwelt in reformistischen Parteiprogrammen versanden, in Parlamenten zerredet und in Kommissionen verwässert werden kann. Denn dieser Weg wurde schon in den letzten 30 Jahre Öko-Reformpolitik gegangen und hat nichts verändert. Und das hat seine Gründe. Die Rettung des Planeten geht einfach nicht einher mit dem Kapitalismus.

Frauen*streik: Das Politische mit dem Ökonomischen verbinden

Die internationale Bewegung zum Frauen*streik hat auch die Schweiz erfasst. Und sie beinhaltet eine klare Abkehr vom liberalen bürgerlichen Feminismus. Millionen von Frauen organisieren sich weltweit mit einem proletarischen Selbstverständnis gegen sexistische Gewalt und Unterdrückung und gegen ein kapitalistisches System, das nur aufrechterhalten werden kann durch die unbezahlte Reproduktionsarbeit der Frauen. Es ist diese Bewegung, die das erreicht hat, was die revolutionäre Linke in anderen Bereichen oft nur theoretisch anstrebt: Sie verbindet den Kampf gegen Diskriminierung mit dem Kampf gegen Ausbeutung und ist dabei fähig den Widertsand zu vereinen statt ihn zu spalten.  Und es ist diese Bewegung, die das erreichen kann, was die organisierte ArbeiterInnenbewegung – nämlich die Gewerkschaften – so dringend nötig hat. Diese Massenbewegung ist die einzige Chance den Niedergang der Gewerkschaften im korporatistischen Kapitalismus zu stoppen.

Die revolutionäre Linke ist im Frauen*streik und dem damit neu entfachten allgemeinen Frauenkampf von Beginn an ein authentischer Teil. Er ist die richtige, weil selbstbewusste und offensive, Antwort auf die anti-emanzipatorischen Angriffe der Reaktionären. Und der Frauen*streik führt nicht nur alle Kämpfe gegen die vielfältigen sexistischen und patriarchalen Angriffe zusammen, sondern verallgemeinert diese auch über die politische Ebene hinaus auf die ökonomische Ebene. Damit verbindet diese Bewegung das, was Frauen – aber auch Männer – alltäglich an patriarchalen Verhältnissen erleben, direkt mit der Frage der (Re-)Produktionsverhältnisse. Die Auswirkungen eines patriarchal verfassten Kapitalismus werden damit fassbar und vor allem zeigt das Aufkommen des Frauenkampfs, dass sich dagegen auch realer Widerstand organisieren kann. Den Elan und die Selbstorganisierungsprozesse, die sich in den Vorbereitungen dieses Frauen*streiks seit Monaten zeigen, gilt es nach dem 14. Juni weiter aufzunehmen. Es ist deshalb wichtig – gerade für die revolutionäre Linke -, sich der Auswirkungen der jahrzehntelangen gewerkschaftlichen Politik der Sozialpartnerschaft bewusst zu sein. Diese hat echte Arbeitsniederlegungen in der schweizerischen ArbeiterInnenklasse praktisch eliminiert und das wird solche auch am Frauen*streik schwer machen. Der Aufbau einer kämpferischen Politik in den Betrieben – wie der Klassenkampf allgemein – kann nur gelingen, wenn wir einen langen Atem entwickeln und uns nicht nur auf grosse Parolen, sondern auf die konkrete mühsame Organisierung in kleinen Schritten im Arbeitsalltag einlassen. Die Aktivitäten zum diesjährigen Frauen*streik müssen deshalb als Anfang verstanden werden für den Aufbau einer in Zukunft wirklich streikfähigen politischen und gewerkschaftlichen Bewegung.

Einzelner Widerstand zum Klassenkampf verallgemeinern

Wie alle Bewegungen, so werden auch diese Massenbewegungen wieder abflauen. Nichtsdestotrotz sind sie die wichtigen Impulse, die die Gesellschaft, aber auch die (revolutionäre) Linke brauchen. Sie brechen nicht nur die Lethargie und Ohnmacht auf, die in der aktuellen Defensive unter den Linken vorherrschen. Sie verweisen gleichzeitig auf die nach vorne treibenden Elemente, die eben eine progressive Politik ausmachen. Ihnen ist gemeinsam, dass sie eine massenhafte Antwort auf die Individualisierung durch die unterschiedlichen Angriffe des Kapitals gefunden haben. Sie durchbrechen die Ohnmacht der Vereinzelung, indem sie offensiv auf der Strasse eine Kollektivität, Gemeinsamkeit und- Solidarität schaffen. Sie erhalten ihre Kraft gerade dadurch, dass sie keine einzelne konkrete Forderung stellen, sondern – teils explizit, teils erst implizit – die allgemeine Unvereinbarkeit ihrer Interessen mit der kapitalistischen Logik ausdrücken. Und deshalb können die Herrschenden sie nur schwer unter Kontrolle bringen. Sie sind in all ihrer Widersprüchlickeit und perspektivischen Begrenztheit der soziale Ausdruck der kapitalistischen Krise, die eben das Leben aller Lohnabhängigen auf verschiedenste Weise bedroht. Ob bewusst oder nicht – mit diesen Bewegungen meldet sich der Klassenkampf wieder auf neuer Stufe im Weltgeschehen.

Diese Zyklen des Klassenkampfes sind enorm wichtig – gerade in Zeiten, in denen uns ideologisch eingetrichtert wird, wir seien entweder vereinzelt oder müssten in Volkskörpern oder Nationalstaaten aufgehen, es gäbe keine Alternative zum Kapitalismus und wir seien am Ende der Geschichte. Die plötzliche massenhafte Dynamik von Kämpfen kann so als Orientierungspunkt dienen für die Machbarkeit kollektiver Aktion, für Fassbarkeit einer Alternative und für die Offenheit der Geschichte. Dieses durch kollektive Erfahrung erzeugte Bewusstsein ist letztendlich der Antrieb für den Umsturz der Kapitalismus.

Im aktuellen reaktionären Taumel des Nationalismus, den sich zuspitzenden innerimperialistischen Konflikten und den drohenden Kriegsgefahren braucht es diese positiven Bezugspunkte und Perspektiven aber auch auf internationaler Ebene. Und mit dem Verweis auf und der aktiven Solidarität mit Revolution in Rojava können wir zeigen, dass das Unmögliche möglich ist. Wenn eine solidarische, gleichberechtigte und ökologische Gesellschaft inmitten einer  fundamentalistischen, politischen und militärischen Barbarei und Kriegstreiberei erkämpft und verteidigt werden kann, dann lässt sich erahnen, wieviel möglich ist, wenn wir differenziert, undogmatisch, aber auch entschlossen, selbstbewusst und stark organisiert Politik machen. Der 1. Mai denn auch der Tag, an dem diese Stärke im Zentrum stehen muss.