Seitdem sich am 9. Oktober die US-Truppen von der türkisch-syrischen Grenze zurückzogen, läuft der Angriff der türkischen NATO-Armee gemeinsam mit jihadistischen Milizen gegen Rojava. Mit einer enormen Dynamik und Rasanz verändert sich seither schier stündlich die Kriegslage. Auf engstem Raum konzentriert prallen die Interessen imperialistischer und regionaler Mächte aufeinander, welche mit mal mehr, mal weniger stabilen Allianzen versuchen, ihre jeweiligen strategischen Zielsetzungen durchzusetzen. In der Mitte all dessen steht Rojava als eigenständiger Machtfaktor, welcher sich politisch wie militärisch zu behaupten weiss, und zugleich die eigene Bevölkerung wie auch die gesellschaftlichen Errungenschaften dieses Projekts schützen will.
Die internationale Solidarität mit Rojava hat sich als enorm kräftig und vielfältig bewiesen. Weltweit fanden Grossdemonstrationen statt, Profiteure und Unterstützer des türkischen Staats wurden verschiedentlich gebrandmarkt, so dass völlig klar und offensichtlich ist: Rojava steht nicht alleine – wir stehen Schulter an Schulter mit Rojava! Diese Solidarität ist nicht nur spontane Reaktion auf die Ungeheuerlichkeiten der türkischen Kriegsführung, sondern auch Folge der vorhergehenden bewussten Auseinandersetzung mit Rojava. Wir wissen, was Rojava für uns politisch bedeutet, und weshalb wir uns solidarisieren. Wir wissen um Schweizer Firmen, die Komplizinnen von Militär, Kapital, oder Politik der Türkei sind. Wir wissen um hiesige PolitikerInnen, die der AKP Honig ums Maul schmieren und Erdogan’s Politik hofieren, weil er ihren Interessen entsprechend handelt (wie in der sogenannten Flüchtlingsfrage). Weil wir das wissen, können wir jetzt gezielt handeln.
Vor lauter Komplexität der Situation gilt es, das Essenzielle nicht aus den Augen zu verlieren: Aufgrund des revolutionären Vorschlags, der Rojava darstellt, können kapitalistische oder imperialistische Staaten niemals strategische Partner dieses Projekts sein, sondern höchstens zwischenzeitlich taktisch Alliierte. Rojava ist nicht wegen heissen Drähten nach Washington, Moskau, Teheran oder gar Ankara zu einem eigenständigen Machtfaktor geworden, sondern in erster Linie aufgrund der Organisierung der Bevölkerung vor Ort. Das Prinzip, auf die eigenen Kräfte zu bauen und in sie zu vertrauen, gilt auch auf internationaler Ebene zu hieven. Wir schauen auf der Suche nach Solidarität nicht ins Bundeshaus, sondern auf die Strassen, denn dort sind die Kräfte, die aus eigenem wie aus gemeinsamem Interesse Rojava verteidigen werden.
Es ist völlig klar, dass der Hauptfeind Rojavas der türkische Staat ist und bleibt. Die nationalistisch-islamistische Politik Ankaras, die auch eine Folge massiver sich zuspitzender wirtschaftlicher wie politischer Widersprüche im eigenen Land ist, kann in der aktuellen Situation nur nach der völligen Vernichtung Rojavas trachten und alles in ihrer Macht Stehende tun, um dieses Ziel zu erreichen. Die Bestialität, mit welcher dieses Ziel verfolgt wird, sehen wir seit Monaten in Afrin und nun seit Wochen in diesem erneuten Besatzungsversuch. In den besetzten Gebieten wird die bisherige Bevölkerung rigoros vertrieben, die Gesellschaft nach islamistischen Prinzipien organisiert und es gibt keinerlei Raum für auch nur einen Hauch dessen, was Rojava darstellt. Solange das so bleibt und der türkische Staat als Besatzungsmacht in Rojava präsent ist, ist völlig klar, dass eine Achse der Solidarität mit Rojava der Angriff gegen VertreterInnen und Verbündete dieses faschistoiden Staates ist.
Zugleich zeichnet sich ab, dass Rojava nicht nur gegen den offenen militärischen Angriff aus der Türkei verteidigt werden muss, sondern auch in der Verhandlungsposition gegenüber dem syrischen Zentralstaat und Russland gestärkt werden muss. Denn diese versuchen nun nach dem Abzug der US-Truppen das zwischenzeitlich entstandene Machtvakuum zu nutzen, um ihre Interessen gegenüber Rojava durchzusetzen. Entsprechend sind die diplomatischen Bemühungen der Selbstverwaltung Rojavas in den vergangenen Wochen zu verstehen, ein Teil der Verhandlungen über die zukünftige Organisierung des Landes zu sein, anstatt sich fortlaufend mit fremdbestimmten Abkommen arrangieren zu müssen (seien diese nun aus Genf, Astana oder Sotschi). Es geht also in der Solidarität mit Rojava nicht nur gegen den türkischen Staat, sondern gleichzeitig um die Stärkung der Position Rojavas in künftigen Verhandlungen.
Die internationale Solidarität mit Rojava hat in den vergangenen Wochen, Monaten und Jahren viel erreicht. Sie speist sich nicht nur aus der Hoffnung, die Rojava darstellt, nicht nur aus der Abscheu, die wir angesichts der Bestialität des türkischen Angriffs verspüren. Sondern auch aus einem grundsätzlichen Verständnis, dass der Kapitalismus und seine Verwertungslogik eine internationale Dimension haben, in welcher der Reichtum hier sehr viel mit der Armut dort zu tun hat. Diese Zusammenhänge lassen sich weder verheimlichen noch verschleiern, sondern sind in Zeiten wie heute offenkundig. Wenn wir angesichts dessen Rojava gegen den Zugriff von Reaktion und Imperialismus verteidigen, dann auch im eigenen hiesigen Interesse im Kampf gegen den Kapitalismus. Wenn wir angesichts dessen hier die Widerwärtigkeiten des Kapitalismus bekämpfen, dann auch im dortigen Interesse im Kampf für eine revolutionäre Perspektive. In diesem Sinne: Wir haben viel erreicht – es bleibt noch viel zu tun.
Hoch die internationale Solidarität!
Biji berxwedana Rojava.