Heute Mittwoch sollte an der Uni Zürich eine Veranstaltung mit Axel Kaiser zum «Ende der Erfolgsgeschichte Chile» stattfinden. Die VeranstalterInnen haben den Event aus Angst vor Protesten öffentlich abgesagt und privat in einen Raum im Karl der Grossen verlegt. Wir kamen trotzdem, haben die Veranstaltung gestört und Kaiser mit einem Milchshake, einigen Getränken und Eiern über seinem Kopf begrüsst.
Der eingeladene Referent Axel Kaiser verteidigt offen das Regime Pinochet, ist Antifeminist und spricht sich gegen die kämpfende soziale Bewegung aus. Der neoliberale Vordenker hetzt schon seit Jahren gegen die chilenische Student*innenbewegung, die es wagen, die Grundlagen des unter Pinochet eingeführten chilenischen Wirtschaftssystem in Frage zu stellen. Laut Kaiser stellt dieses Wirtschaftssystem die Grundpfeiler für das «Erfolgsmodell Chiles» dar, welches nach dem «desaströsen sozialistischen Experiment von Präsident Salvador Allende» eingeführt wurde, wie er in einem Artikel von 2013 ausführte.
Dass die Diktatur Pinochets zu zehntausenden Toten und Verschwundenen geführt hat, und nicht einfach «gescheitert» ist, wie es im Ankündigungstext für die heutige Veranstaltung heisst, scheint Kaiser nicht zu interessieren, im Gegenteil: Das Narrativ, welches er regelmässig in Vorträgen und Artikel vertritt, verteidigt das Militärregime immer wieder: Seiner Ansicht nach wurde nach Allende alles besser. Das Regime habe beschlossen, einer «Gruppe klassischer liberaler Experten» die Macht über die Wirtschaft zu übertragen. Diese hätten dann einige Strukturreformen durchgesetzt und schon wurde aus Chile eine prosperierende Wirtschaft. Militärische Entmachtung einer gewählten Regierung? CIA-Interventionen mit imperialistischer Agenda? Vertreibung und Ermordung? Anhaltende Ungleichheiten? All das scheint Kaiser nicht sonderlich zu interessieren. Er argumentiert, dass es Fehler zwar stets gegeben habe, doch man solle lieber über die wirtschaftlichen «Erfolge» sprechen, denn das sei ja das, was zählt.
Gegen den Geschichtsrevisionismus und die Verharmlosung des Militärregimes!
Befragt man Kaiser dennoch zur Schattenseite der chilenischen «Erfolgsgeschichte», bleibt er diffus. Er sei kein Anhänger Pinochets, aber «das Modell von Augusto Pinochet zu verteidigen» sei etwas anderes. Konkret heisst dies, dass seiner Meinung nach «eine Periode des Autoritarismus notwendig [war], um das Chaos zu korrigieren, in dem sich Chile 1973 befand», wie er es in seiner Dissertation über die «amerikanischen philosophischen Grundlagen der chilenischen Freien Markt Revolution» ausführt. Weiter ist er der Meinung, dass man zwar aufpassen könne, dass keine Menschenrechtsverletzungen stattfinden, dennoch sei immer die historische Rolle zu berücksichtigen und da sei Pinochet nun einmal das «kleinere Übel» gewesen. Diese Argumentation gleicht jener von Kaisers Freunden. Kaiser ist Vorstandsmitglied der «Fundación para el Progreso», einem neoliberalen Think Thank, welchem auch Mauricio Rojas angehört. Rojas ist ein ehemaliger chilenischer Minister, der zurücktreten musst, nachdem er die Verbrechen der Pinochet Diktatur schönzureden versuchte.
Chiles «kleinere Übel» bedeutete in Chile ein undemokratisches Militärregime, welches Menschenrechte verletzte und mit der Einführung des Neoliberalismus auf barbarische Weise Normen durchsetzte. Dies scheint sogar Kaiser am Rande mitbekommen zu haben. So fragt er sich am Ende seiner Dissertation, ob es gerechtfertigt sei, «mit einem Regime – demokratisch oder undemokratisch – zusammenzuarbeiten, in dem Menschenrechtsverletzungen vorkommen, auch wenn diese Zusammenarbeit nicht direkt für die Verbrechen verantwortlich ist und auch wenn die Zusammenarbeit zum Wirtschaftswachstum und zur Wiedereinführung von Demokratie und politischen Freiheiten beiträgt». Ist es durchaus, lautet die Antwort Kaisers. So gibt dieser zwar zu, dass unter Pinochet Menschenrechtsverletzungen stattfanden, legitimiert aber den Aufschwung des neoliberalen Systems unter dem Pinochet-Regime dadurch, dass dieser nicht direkt von Regime ausging und – seiner Meinung nach das wichtigste Argument – zum Wirtschaftswachstum beitrug.
Doch diese Erkenntnis bleibt selbst in seiner bürgerlichen Logik noch lachhaft absurd. Es ist historisch gesehen kompletter Unsinn, zu behaupten, dass die neoliberalen «Experten» keine Mitschuld an der chilenischen Militärdiktatur trugen. Die Finanzexperten, welche nach dem Sturz Allendes vom Militärregime eingesetzt wurden und dem Regime beratend zur Seite standen, sprachen sich stets für das Regime aus. Über die reine Zustimmung hinaus leistete die Umstrukturierung der Wirtschaft die wirtschaftliche Basis für die Diktatur und legitimierte das chilenische Experimentierfeld des Neoliberalismus weltweit. Doch auch abseits der Verharmlosung und Geschichtsklitterung Kaisers ist die von ihm gestellte Frage absurd. Denn sie stellt sich weder historisch noch theoretisch: Der Neoliberalismus war und ist in seiner Durchsetzung immer Teil eines autoritären Machtgefüges. Die Frage nach der möglichen Zusammenarbeit ist komplett überflüssig, da sich nur jene die Frage nach der Kooperation stellen können, die auch nach jahrzehntelanger Erfahrung noch immer an der brutalen Durchsetzung des Neoliberalismus festhalten und diese mit dem Märchen der «prosperierenden Gesellschaft» legitimieren.
Kaiser, der neoliberale Antifeminist
Als überzeugter neoliberaler Rechter interessiert sich Kaiser natürlich nicht nur für die Wirtschaft, sondern er hetzt auch gerne gegen alles, was ihm zu progressiv erscheint – und das ist einiges. Feminismus als Feindbild darf da nicht fehlen. So meint Kaiser in einem Interview, dass es Geschlechterunterschiede halt gäbe, da bewiesen sei, dass die Gehirne von Männern und Frauen unterschiedlich funktionieren. Zudem sei der marxistische Feminismus, wie ihn Kaiser beschreibt, äusserst intolerant und fordere einzig die Zensur. Und überhaupt, sei die Situation der Frauen heute so gut wie nie zuvor in der Geschichte. Zu verdanken hätten wir all dies der Marktwirtschaft, die gemäss Kaiser die grösste «Befreiungskraft» für «Frauen und Minderheiten» sei. Wie grotesk falsch solche Aussagen sind, zeigt sich nicht nur in der weltweiten Ungleichheit und Unterdrückung, sondern aktuell auch im Kontext der chilenischen Bewegung. Immer wieder tritt der patriarchale Charakter des chilenischen Repressionsapparats offen zu Tage. Sexualisierte Gewalt gehört zu den zentralen Einschüchterungsmethoden der chilenischen Polizei. Zahlreiche sexualisierte Übergriffe sind bekannt, unter anderem Vergewaltigungsandrohungen und körperliche Übergriffe.
Solidarität mit den anhaltenden Protesten in Chile!
Wie falsch Kaiser mit seinen Legitimationsversuchen für die neoliberale Wirtschaft und den Verharmlosungsversuchen der Pinochet Diktatur liegt, zeigen die aktuellen Proteste in Chile. Die Bevölkerung will sich nicht weiter mit falschen Versprechen, Sparmassnahmen und sozialen Ungleichheiten zufriedengeben. Sie haben genug vom angeblichen Erfolgsmodell, das nie ein solches war. Oder wie es Protestierende in Chile in den letzten Wochen immer wieder sagten: «Der Neoliberalismus wurde in Chile geboren und er wird in Chile sterben».
Wir solidarisieren uns mit der kämpfenden Bevölkerung in Chile und stellen uns an ihre Seite gegen Neoliberalismus, Ausbeutung und Unterdrückung. Deshalb haben wir heute Abend die Veranstaltung gestört. Wir wollen niemanden, der uns über die brutalen neoliberalen Angriffen unter einer Militärdiktatur erzählt, es wäre das «kleinere Übel» oder wir hätten ihnen sogar noch etwas zu verdanken. Wir wissen selber, was wir wollen und das ist eine Gesellschaft, die sich nicht nach wirtschaftlichen Normen ausrichtet, sondern solidarisch feministisch und antirassistisch ist.