Am 26. September 2020 findet eine Demonstration statt, zu der von der Gruppe Trotzphase aufgerufen wird. Es geht hierbei um einen Gesamtarbeitsvertrag der Kita-Angestellten, der sich in eine eher jüngere Reihe von kämpferischen Tendenzen im Care-Sektor einreiht. Auch die Kriso (das Forum für kritische Soziale Arbeit) ist an dieser Mobilisierung beteiligt.
(az) Noch vor der Corona-Krise haben wir mit zwei Aktivistinnen der Kriso gesprochen; dies im Rahmen einer Broschüre über Basisorganisierungen, welche in der nächsten Zeit erscheinen soll. Bevor dies aber geschieht, lassen wir die AktivistInnen ungekürzt zu Wort kommen (vergleiche Aufbau-Zeitung #101, «Wir HortnerInnen trauten uns endlich, unsere Meinung zu sagen»). Ziel des Prozesses von Interviews und der anschliessenden Broschüre ist es, dass Kampferfahrungen zusammengebracht und geteilt werden und dass voneinander gelernt wird. Dies auch im Hinblick auf weitere Betriebskonflikte oder Mobilisierungen auf der Strasse.
Könnt ihr Euch kurz vorstellen? Wer seid ihr?
Sarah: Ich bin seit 10 Jahren in der Kriso organisiert und arbeite seit 15 Jahren im Sozialbereich in verschiedenen Bereichen. Dies vor allem in der Soziokultur und der Gemeinwesenarbeit. Ich bin 34 Jahre alt.
Maria: Ich bin 23 Jahre alt und habe mein Studium vor einem Jahr abgeschlossen. Ich habe eine Ausbildung gemacht in der Betreuung von Menschen mit einer Behinderung, ausserdem ein Praktikum mit Jugendlichen. Nun arbeite ich in der Arbeitsintegration. Ich bin seit zwei Jahren in der Kriso dabei.
Könnt ihr etwas zur Kriso sagen – wen erreicht die Kriso im Allgemeinen mit ihren Aktivitäten?
Sarah: Die Kriso besteht ausschliesslich aus Menschen, die im Sozialbereich arbeiten. Dies jedoch in sehr unterschiedlichen Berufsfeldern. Wir erreichen daher in erster Linie Leute, die auch im Sozialbereich arbeiten. Darüber hinaus erreichen wir punktuell AdressatInnen der Sozialen Arbeit, Institutionen und Schulen.
Maria: Uns gelingt eine Öffentlichkeit. Dies im Sinne davon, einer kritischen Sozialen Arbeit eine öffentliche Stimme zu geben.
Wo legt ihr dabei den Fokus?
Sarah: Klar auf die Soziale Arbeit und die darin Angestellten. Darin grenzen wir uns als Organisierung auch von anderen, ähnlichen Gruppierungen ab. Unser Fokus sind Sozialarbeitende. Es geht fest darum, Entwicklungen und Praxis der Sozialen Arbeit kritisch zu reflektieren und uns damit auseinanderzusetzen. Sei dies theoretisch oder auch sehr stark in der praktischen Umsetzung.
Was ist dann die Kriso genau? Könnt ihr das noch etwas ausführen?
Maria: Die Kriso bezeichnet sich als Forum – als Forum für kritische Soziale Arbeit. Wir treffen uns etwa einmal im Monat für eine Gesamtsitzung. Ausserdem haben wir Arbeitsgruppen zu den Themen Migration, Öffentlicher Raum oder FLINT*. Wir sind auch an einem Kunstprojekt beteiligt. Diese Arbeitsgruppen sind auch sehr dynamisch. Für eine Party gab es ebenfalls eine Arbeitsgruppe.
Sarah: Im Moment sind sie zwar nicht aktiv, aber es gab eine AG zu New Public Management und zu Soziokultur. Ausserdem zu den Hochschulen. Kriso’s gibt es schweizweit mit verschiedenen Gruppen. Etwa in Zürich, Basel, neuerdings in Luzern, in St. Gallen. Wir treffen uns etwa alle anderthalb Jahre zu einem überregionalen Treffen. Der Aspekt des Forums ist megawichtig, weil wir immer wieder gemeinsame Positionen entwickeln, aber auch eine sehr breite Zusammensetzung der Leute haben. In konkreten Aktionen unterscheiden sich die verschiedenen Kriso’s sehr, das soll aber auch Platz haben. Es ist klar, dass wir uns parteiisch einsetzen für unsere AdressatInnen. Das setzen wir immer wieder in den Fokus. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass es sehr stärkend und ermächtigend ist, sich in einer Gruppe zu Themen auszutauschen, bei denen man im ersten Moment gar noch nicht richtig verbalisieren kann, was einem darin genau ein ungutes Gefühl gibt. Das hat den Charakter einer Intervision, wie wir es im Sozialbereich eigentlich auch sonst kennen. Das stärkt einem persönlich auch im Arbeitsalltag.
Hattet ihr vor dem Frauenstreik bereits Erfahrungen mit der Organisierung am Arbeitsplatz oder im Sozialbereich?
Maria: Ich bin noch gar nicht so lange in der Arbeitswelt tätig. Für mich war das eine erste Erfahrung von betrieblicher Organisierung. Die Kriso war dabei ein sehr wichtiges Instrument. Wir hatten im Planet 5 eine erste Veranstaltung organisiert, um über betriebliche Organisierung zu sprechen. Dabei habe ich mich im Vorfeld mit einer Person der Kriso getroffen, die mir aus einem Arbeitskonflikt aus der Vergangenheit erzählt hat. Damals wurde nämlich Wissen gesammelt über betriebliche Organisierung. Was sind mögliche Repressionstechniken? Das Wissen der Kriso hat mich mega gestärkt und mega viel geholfen. Ganz konkret dabei, wie ich mich im Betrieb verhalten sollte und wie ich das umsetzen sollte.
Sarah: Im Berufsleben war das bei mir sehr marginal. Ich war in der Personalkommission der Stadt Zürich. Das wäre rein vom Konzept her eine Möglichkeit gewesen, Themen zu transportieren. Das war noch sehr am Anfang, als ich relativ frisch in der Arbeitswelt war. Es war eine spannende Erfahrung, denn da wo ich jetzt arbeite, gibt es keine Personalkommission. Das wäre spannend, dem mal nachzugehen. In den paar Jahren der Kriso haben wir gemerkt, dass solche Kommissionen sehr wichtige Gefässe sind, um seitens der Kriso Einfluss zu nehmen. Personalkommission, PEKO, PaKo, Paritätische Kommissionen; dafür gibt es verschiedene Namen. Aber dort hat man eine Möglichkeit, zu mobilisieren. Wenn denn gute Leute darin sind. Es gab ein Beispiel einer grösseren städtischen Organisation – ich nenne den Namen jetzt nicht – in der es Vorfälle gab, welche bezüglich Kündigungen nicht cool waren. Die Leute hatten sich damals dafür eingesetzt; mobilisiert wurde aus dieser Personalkommission heraus. Damals war die Zusammenarbeit mit der Gewerkschaft VPOD relativ stark. Man konnte sich absprechen. Ich muss nicht weiter darauf eingehen. Doch in der Kriso konnte man die Diskussionen anhand solcherlei konkreten Beispiele führen und verschriftlichen. Das Wissen konnten wir dann später auch wieder zur Verfügung stellen. Andere Betriebe haben das Wissen benutzt und wir haben damit eine Broschüre geschrieben. In Aachen haben wir einen Input zum Frauenstreik gemacht und über die Erfahrungen der anderen Leute gesprochen.
Die Soziale Arbeit unterscheidet sich von anderen Berufsgruppen auch dadurch, dass fachliche Debatten eine grosse Rolle spielen. In anderen Branchen gibt es das weniger. Was für eine Rolle spielen fachliche Diskussionen rund um die Soziale Arbeit bei der Organisierung und innerhalb der Kriso? Etwa in der Argumentation, dass es wichtig ist, an den Frauenstreik zu gehen?
Sarah: Es gibt ganz viel Literatur. Es gibt Literatur, die in beide Richtungen gehen. Das ist spannend, man kann sich die Sachen raussuchen, die die eigene Position stärken. Aber es machts auch herausfordernd, denn die Diskussion wird auf hohem Niveau geführt. Man muss sich sehr wohl bewusst sein, dass wenn man auf einer theoretischen Ebene argumentiert, auch hart auseinandergenommen werden kann. In den letzten zehn Jahren hat sich das auch verändert. Je nach dem, in welchen Branchen die Leute arbeiteten und je nach dem, in welchen theoretischen Felder die einzelnen Kriso-Mitglieder stark waren, haben wir uns auch mehr oder weniger getraut, uns in fachliche Diskussionen einzumischen. Sonst gabs auch Phasen, in denen das weniger passiert ist. Auch in anderen Städten, dort passiert theoretisch im Moment gerade mehr als in Zürich. Aber ich glaube der spannende Punkt ist die Frage, was man in die Praxis mitnimmt. Und wie gelingt es, aus der Praxis heraus, Dinge auf einer übergeordneten Ebene wieder einzubringen. Das ist spannender als ein abgehobener Fachdiskurs. Wir haben uns auch schon fachlich positioniert, aber es ist eine Herausforderung.
Maria: Wir haben Kritik an der Hochschule geübt. Das unterscheidet sich aber von einem theoretischen Diskurs. Es hat aber vieles Platz. Bevor ich in die Kriso kam, dachte ich, die Kriso sei viel stärker im theoretischen Diskurs drin. Dies auch, weil sie an der Hochschule einen solchen Ruf hatte. In Bern ist der theoretische Diskurs stärker. Das Verhältnis zwischen Theorie und Praxis kann sich aber auch wieder verändern.
Gibt es ein Beispiel einer fachlichen Diskussion, dass ihr mit der Praxis verbinden konntet?
Sarah: Zum Beispiel die Frage der Organisierung ganz grundsätzlich. Wir haben eine Broschüre gemacht zum Thema «Empowerment für Sozialarbeitende». Dabei ging es fest darum, aus einem theoretischen Diskurs – Stichwort Empowerment, Partizipation oder wie es in der Sozialen Arbeit immer heisst – darüber zu diskutieren, dass man das am Arbeitsplatz auch selbst leben sollte. Für mich sind das oft solche Sachen, dass wir das theoretisch lernen, dann aber selbst gar nicht leben.
Maria: Es hilft zu benennen, was einem stört. Wir haben bei der Arbeit eine Gruppe gegründet, die thematisiert, dass Soziale Arbeit abgebaut wird. Dabei habe ich die Broschüre «New Public Management» der Kriso als Instrument genutzt, um zu argumentieren. Auch in Bezug auf Kritik an der Digitalisierung. Wenn der theoretische Diskurs verschriftlicht wird, dann kann das in der Praxis helfen. So auch das Grundlagenpapier der Kriso.
Was ist euer Verhältnis zu der Gewerkschaft VPOD, mit der ihr normalerweise zu tun habt? Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit – und gibt es dadurch die Möglichkeit, mit anderen Branchen und deren spezifischen Fragestellungen in Austausch zu kommen?
Sarah: Man kann das nicht so grundsätzlich sagen. Wir haben VertreterInnen im VPOD, Aktive und normale Mitglieder, dadurch haben wir viele Informationen, die einen Austausch ermöglichen. Wir erhalten Infos. Ausserdem sind wir interessiert, uns mehr mit anderen Basisgruppen zu vernetzen. Das könnte über den VPOD laufen – muss aber nicht zwingend so sein. Im Vergleich zum Verhältnis zum Berufsverband ist das Verhältnis gut (lacht).
Maria: Du hast das gut zusammengefasst. Ich persönlich habe nicht so einen grossen Bezug zum VPOD. Darin unterscheiden wir uns. Einige sind mega aktiv, andere nicht.
Sarah: Es ist sicherlich etwas, worauf wir immer hinweisen. Wenn wir merken, dass Leute Probleme haben und Support brauchen, dann erwähnen wir die Gewerkschaft. Aber eine aktive Zusammenarbeit betreiben wir nicht.
Was waren eure Forderungen im Rahmen des Frauenstreiks?
Sarah: Keine Abwertung des historischen Frauenberufs Soziale Arbeit. Keine Auslagerung und Prekarisierung Sozialer Arbeit, keine schlechteren Bedingungen für die Adressatinnen. Wir hatten das Thema Lohngleichheit, Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Das ist ein sehr grosses Thema. Gerade in der Soziale Arbeit, die oft eine kantonale oder städtische Trägerschaft hat. Da sollte das in der Theorie möglich sein, in der Praxis ist es aber nicht. Weitere Themen: Keine Benachteiligung weiblicher Adressatinnen, spezieller Schutz von vulnerablen Personen. Wir fordern eine Repolitisierung der Sozialen Arbeit!
Maria: Dazu gehört auch die Aufwertung der Care-Arbeit grundsätzlich. Egal ob als Lohnarbeit oder unbezahlt.
Sarah: Es ist schon so; an der Basis arbeiten sehr viele Frauen, in den oberen Etagen sind es meistens die Männer.
Maria: Gleiches in der Lehre und der Forschung.
Sarah: In anderen Berufsfeldern ist der Sexismus offensichtlich. In der Sozialen Arbeit wird das in Bezug auf die AdressatInnen immer sehr reflektiert oder mindestens besteht der Anspruch darauf, dass es reflektiert wird. Daher ist es herausfordernder, den subtilen Sexismus aufzudecken.
Maria: In der Fallarbeit werden Problemstellungen individualisiert. Der Frauenstreik schaffte es, das alles in einen Kontext zu setzen. Wir arbeiten in diesem gesellschaftlichen Kontext, die Probleme entstehen aus diesem System!
Das ist eine schöne Überleitung. Welche Rolle hat der Frauenstreik für eure Basisorganisation gespielt?
Maria: Das war ein spannender Prozess, es brachte viele neue Leute in die Kriso. Es ist viel entstanden in kurzer Zeit. Wir haben Veranstaltungen gemacht und waren ermutigt, im Betrieb etwas zu machen. Der Frauenstreik hat die Kriso in die Betriebe getragen.
Sarah: Der Frauenstreik hat eine gewisse Öffentlichkeit geschaffen für Sozialarbeitende. Man wurde sichtbarer, viele Neue sind durch den Frauenstreik in die Kriso gekommen.
Maria: Es ist auch eine neue AG entstanden, die AG FLINT*. Ich glaube, damit wird das auch weitergetragen. Ausserdem waren wir in Aachen und haben uns dort mit Sozialarbeitenden aus Deutschland ausgetauscht. Jetzt steht die Idee im Raum, noch einmal hinzugehen und das Wissen über den Frauenstreik weiterzutragen. Ich habe das Gefühl, dass auch Bewusstsein in der eigenen Gruppe gewachsen ist, etwa über Diskussionskultur. An ein Treffen mit der Hochschule gehen jetzt nicht vier Cis-Männer, wie dies ursprünglich geplant war. Das Bewusstsein ist gestiegen, die eigenen Rollenbilder innerhalb der Kriso werden reflektiert.
Das ist alles entstanden durch den Frauenstreik. Waren das auch Ziele, die vor dem Frauenstreik so definiert wurden? Oder gab es andere Zielsetzungen, was der Frauenstreik in Bezug auf die Soziale Arbeit und die Kriso bewirken sollte? Gab es überhaupt bewusste Zielsetzungen?
Maria: Der Frauenstreik hatte ein riesiges Ausmass. Auch für die Kriso war das so. Wir wollten unseren Beitrag leisten und Sozialarbeitende ermutigen. Wir wollten dabei unser Wissen weitergehen.
Sarah: Wir wussten, dass es nicht ganz einfach werden würde, zu mobilisieren. Unser Ziel war indirekt, etwas zu entwickeln, was die Leute unterstützt, das Thema im Betrieb weiterzuentwickeln. Dies eben auf sehr verschiedenen Levels. Das haben wir von Anfang an gesagt. Da gab es etwa Betriebe, wo die eigene Präsenz zwingend ist – in der Betreuung und Begleitung – da kann man die Leute nicht einfach stehen lassen. Wir wollten verschiedene Optionen aufzeigen, sich dem Frauenstreik trotzdem anzuschliessen. Man kann auch andere Formen wählen als ganz fernzubleiben. Es beginnt ja schon beim Thematisieren. Ausserdem wollten wir etwas entwickeln und in verschiedenen Arbeitsbereichen die Diskussion anregen. Da konnten sich die Leute sehr damit identifizieren und über ihre eigene Arbeitsrealität sprechen. Das waren nicht einfach die grossen Worte, sondern es hatte etwas mit den Realitäten der Leute zu tun.
Jetzt habt ihr uns die nächste Frage geklaut. Wurde im Sozialbereich konkret gestreikt, und wenn ja, wie? Oder gab es andere Formen der Beteiligung von jenen, die nicht streiken konnten? Das war ja wahrscheinlich die Mehrheit.
Sarah: Das ist ein lustiger Punkt. Die meisten Sozialarbeitenden arbeiten Teilzeit und die meisten haben am Freitag frei. Das waren die Diskussionen, bei denen wir von Anfang an wussten, dass sie kommen würden. Das ist ja total schwierig. Wie streikt man, wenn man eh frei hat? Und wenn Du Jahresarbeitszeit hast, dann interessiert es niemanden, ob Du frei machst. Das war ein Thema, das wir fest diskutieren mussten. Wie kann man den Frauenstreik trotzdem sichtbar machen. Oder dann gab es das andere Extrem: Wenn man Betreuung oder Begleitung sicherstellen muss, wie geht man dann damit um? Dies auch bezüglich der Männer im Betrieb. Sollten die einfach die Arbeit übernehmen? Oder wäre das ein Streikbruch? Wir haben uns darauf geeinigt, dass wir als Kriso kein Patentrezept zu diesen Fragen herausgeben, sondern dass wir die Leute in den Betrieben dazu anregen, sich selbst über ihre unmittelbare, konkrete Arbeitsrealität Gedanken zu machen und entsprechend zu handeln. Die Leute sollten sich das rauspicken, was bei ihnen am meisten Wirkung entfalten konnte. Das schwankte von scheinbaren Banalitäten – etwa in der Email-Abwesenheitsmeldung auf den Streik hinzuweisen oder expliziter Erwähnung, warum die Frauen heute nicht im Hause sind – zu Sichtbarmachung am Arbeitsplatz oder anderen Formen.
Maria: Wir thematisierten an der Teamsitzung frauenspezifische Themen. Ich hatte eine Fahne aufgehängt, andere hatten violett-rosarote Blumen auf dem Tisch. Wieder andere hatten einen Flipchart am Pult mit der Aufschrift «wir streiken». Wir konnten nicht auf Arbeitszeit fernbleiben, aber es war sichtbar, warum wir weg waren. Es gab verschiedene Formen und wir haben darauf gepocht, dass alle Frauen gehen konnten. Zuerst hiess es von oben, das gehe nicht, aber wir haben insistiert.
Sarah: Wir hatten unter den Frauen intensive Auseinandersetzungen. Damit fängts ja schon mal an, das tönt banal, aber wir machten viele Sitzungen auf Arbeitszeit zur Frage, wie wir das angehen wollten. Wir konnten uns darauf einigen, dass wir etwas «Fachliches» machen wollten. Daraus haben wir Postkarten entwickelt zum Thema. Diese konnte man mitschicken. Dieser Fachbezug war irgendwie wichtig und ein interessanter Kompromiss – dahinter konnten alle Frauen im Betrieb stehen. Ich finde das ist nicht falsch. Es ist einfach eine Möglichkeit, alle zusammenzubringen.
Maria: Ausserdem haben wir einen Brief mit Forderungen an die Geschäftsleitung geschickt. Wir hängten ein Transparent auf – was nicht toleriert und wieder abgehängt wurde. Am Tag selbst – ich war dann allerdings nicht im Betrieb – gabs ein Frauenpicknick der Angestellten und der Adressatinnen gemeinsam. Man schaffte es, mit vielfältigen Formen, den Streik in den Betrieb zu tragen. Natürlich wurde nicht so viel gestreikt, wie wir es gerne gehabt hätten. Das ist eine Tatsache.
Sarah: Die Frage der Adressatinnen fand ich schon auch eine spannende Diskussion. Wie fest kann deren Situation thematisiert werden, wann wird von einer Instrumentalisierung gesprochen? Denn wir stehen ja auch in einem Machtverhältnis. Das war spannend und es gab coole Formen mit Themenwochen, Ausstellungen, gemeinsam mit Adressatinnen.
Eine Frage in Bezug auf euren eigenen Arbeitsplatz – gab es Möglichkeiten, dem Frauenstreik als mobilisierendes Moment Kontinuität zu geben? Konnte man die Themen des 14. Juni über den Tag hinaus aktuell halten? Oder haben diese nach dem Frauenstreik an Relevanz verloren?
Maria: Wir hatten noch andere Kritikpunkte bezüglich Sparmassnahmen, die nicht nur frauenstreikspezifisch waren. Der Frauenstreik war ein ermutigender Moment, dass man sich betrieblich organisieren kann – und dabei gehört wird. Die betriebliche Organisierung als Gruppe ging dann aber weiter nach dem Frauenstreik. Das war schön zu sehen.
Sarah: Bei uns ists abgeflacht.
Maria: Der Forderungsbrief habe ich übergeben und ich wurde zwei Monate später nochmals ins Büro vom Chef geholt. Es ging um Lohngleichheit. Das kam auch in der Zeitung. Der Geschäftsführer hätte sich nicht so positiv dazu verhalten, wenn der Frauenstreik nicht so ein allgegenwärtiges Thema gewesen wäre. Nun konnte man damit gut dastehen – also hat er es aufgegriffen. Ich habe auch das Gefühl, dass im Team ein Bewusstsein entstanden ist. Und man weiss, dass es in diesem Team Personen hat, die wachsam sind. Wachsam gegenüber Äusserungen, Themen.
Sarah: Bei uns beschränkt es sich auf den Sprachgebrauch. Und auf eine fachliche, abgeklärte Ebene. Man durchleuchtet jetzt mal alle Angebote schön auf Gender-Aspekte.
Ihr habt vorher den Moment der Ermächtigung angesprochen. Hat sich diesbezüglich etwas verändert?
Maria: Ja. Die Leute wurden ermutigt, dass man aktiv sein kann.
Sarah: Bei uns war dieser eine Moment des Streiks sehr stark. Es war das erste Mal seit Langem, wo sich die Frauen unter sich getroffen haben und sich zu einem Thema ausgetauscht hatten. Es war ein starker Moment, als man zusammen losging an diese Demo. Das war sehr viel wert und in diesem Moment sehr gut. Das schwingt noch nach, aber nicht in Form von «grosse Gümp» (lacht).
Wie hat sich die Gegenseite – also die Chefs – am Frauenstreik verhalten? Gab es Repression oder Integrationsversuche? Wie stand es um dieses Verhältnis?
Maria: Bei uns gab es eine Stellungnahme, einen Brief; man dürfe nicht auf Arbeitszeit streiken. Man müsse in der Abteilung schauen. Also klassisch. Aber sonst sind sie nicht besonders auf uns eingegangen. Dadurch, dass sich so viele für den Frauenstreik interessiert hatten, war das Verhältnis gut. Manchmal denke ich, es hallt noch etwas nach. Sie drücken sich vorsichtiger aus heute.
Sarah: Ich musste meine eigene Rolle sehr stark reflektieren. Ich habe eine Führungsposition und klar gemacht, dass ich es wichtig finde, dass man streikt. Ich hatte nichts dagegen, dass die Leute an diesem Tag Arbeitszeit eintrugen. Dies aber auch im Wissen darum, dass ich nicht die letzte Instanz bin, die das anschaut. Meine Vorgesetzte hatte die Strategie, nichts wissen zu wollen und damit nichts zu tun zu haben. Somit musste sie sich auch nicht positionieren. Von der Stadt kam die klare Ansage, dass wir nicht streiken dürften. Das machte bei den Leuten aber wenig Eindruck. Wäre die Ansage von weiter unten gekommen, dann hätte das wahrscheinlich anders gewirkt.
Wie schafft es die Kriso, nach dem Frauenstreik als wichtiges mobilisierendes Moment weiterhin eine Kontinuität aufrechtzuerhalten?
Maria: Es gibt die neue AG FLINT*. Sie macht was am 8. März, am 1. Mai, am 14. Juni. Ich glaube das Jahr bietet genügend Gelegenheit sich einzubringen. Es gibt viele neue Leute. Das läuft und ich hoffe, dass das so weitergeht.
Sarah: Daraus heraus entstanden auch die Überlegungen, wie wir uns mit anderen Gruppen vernetzen sollten. Da gibt es ja Gemeinsamkeiten in den Erfahrungen.
Was waren eure Erfahrungen als Frauen-Organisierung? Wie wurde das aufgenommen, dass ihr euch jetzt als Frauen organisiert? Innerhalb der Kriso und innerhalb des Betriebs? Wie haben da die Leute reagiert?
Maria: In der Kriso wurden wir mega unterstützt. Das war gar keine Frage.
Sarah: Aber es führte auch zu guten Diskussionen. Wir haben unsere Muster reflektiert. Es war aber auch eine grosse Akzeptanz der Männer vorhanden. Sie haben sich Mühe gegeben, sich etwas zurückzunehmen und zu unterstützen. Am Tag selbst wurden wir unterstützt in den ganzen Social-Media-Sachen, sie haben Material gebracht. Um gewisse Dinge mussten wir uns somit nicht mehr kümmern. Im Betrieb wurde mir gesagt, dass wir vor 25 Jahren auch schon eine Männer- und eine Frauengruppe gehabt und Diskussionsrunden geführt hätten. Die alte Generation fand daher das Ganze nicht so zeitgemäss. Sie fanden, das sei doch schon lange vorbei. Das fand ich lustig. Das Verständnis war aber vorhanden dafür.
Wie schafft ihr es, euch angesichts des hohen Aktivitätenpegels nicht zu überfordern? Der Arbeitsplatz vermischt sich ja mit einem politischen Terrain der Strassen und Sitzungsräume. Wie schafft man es, sich dabei nicht zu verzetteln?
Sarah: Ich schaff das nicht (lacht).
Maria: Ich bin auch noch am herausfinden, was ich alles machen kann, machen will, ich will Kräfte bündeln. Ich habe keine Antwort auf diese Frage. Was der Kriso hilft, sind die neuen Leute. Es ist immer mehr stemmbar, weil wir mehr Leute geworden sind. Was aber persönlich die beste Strategie ist, da freue ich mich auf Ratschläge (lacht).
Vielleicht gibt’s ja gute Tipps von den anderen Basisgruppen im Rahmen dieser Broschüre.
Sarah: Ja. Ich finde es gibt mehrere Aspekte. Einerseits ist das Engagement ja verknüpft mit dem Beruf. Das hat Vor- und Nachteile. Es hat den Vorteil, dass man sich sowieso mit diesen Fragen auseinandersetzt und diese einem unter den Nägeln brennen. Das heisst es gibt Themen, die man in die Kriso einbringen kann und dann wieder aus der Kriso heraustragen kann. Es gibt aber auch noch eine andere Seite. Man hat dann plötzlich die Job-bedingten Themen auch noch in der Freizeit. Ich habe den Anspruch an mich, dass ich auf einem hohen Level argumentieren kann.
Gibt’s noch etwas, was wir vergessen haben? Das heisst, wahrscheinlich wären das ja viele Dinge. Aber was ist dem Ganzen noch anzufügen?
Sarah: (Überlegt lange) Ja, das folgende Spannungsfeld: Dadurch, dass man sich bei der Arbeit immer exponiert, etwa dass man sagt, man sei in der Kriso – oder sich mindestens überlegt, es zu sagen, hat dies auch einen Einfluss darauf, was die Kriso ist, wie die Kriso wirkt. Weil wir so breit sind, sind ganz verschiedene Formen möglich. Man ist nicht immer mit allen Formen einverstanden. Will man sich etwa wirklich an einer Petition beteiligen? Da gibt es ganz unterschiedliche Zugänge. Das kann zu einem Clinch führen. Es ist einfacher, wenn man in einer Organisation ist, die nicht mit dem Arbeitsalltag verknüpft ist. Dann kann man freier agieren, oder sich einfach abgrenzen. Das ist eine Herausforderung. Dann sind wir ja auch noch schweizweit und nicht mega koordiniert. Dann kann irgendeine Kriso ein Interview am Fernsehen geben, das einem nicht passt. Wenn dann im Betrieb aber alle wissen, dass Du in der Kriso bist, dann muss man sich fast rechtfertigen dafür. Das ist ein Spannungsfeld. Eigentlich nicht so eine gescheite Mischung. Und trotzdem hat dies eine megastarke Wirkung auf das, was man im Geschäft machen kann.