(kopiert von barrikade.info)
Gegen die Klassenjustiz – gegen die Repression – für eine Welt ohne Ausbeutung und Unterdrückung. Für die Revolution.
In der Nacht vom 18. zum 19. Oktober 2020 haben wir den Eingang der Handelskammer Deutschland Schweiz an der Tödistrasse 60 in Zürich mit Farbe angegriffen und so im Stadtbild markiert.
Wir solidarisieren uns mit den zehn verurteilten Genoss*innen des «Münchner Kommunistenprozesses», die unter Zuhilfenahme des Artikels 129(a/b) des deutschen StGB am 28.07.2020 der Mitgliedschaft in einer terroristischen oder kriminellen Organisation im Ausland für schuldig befunden wurden. Sie erhielten Haftstrafen von zwei Jahren und neun Monaten bis zu sechs Jahren und sechs Monaten ohne auch nur einer einzigen konkreten Straftat oder gewalttätigen Handlung angeklagt gewesen zu sein und obwohl die Organisation TKP/ML in Deutschland nicht verboten ist.
Wir solidarisieren uns mit den 22 Genoss*innen des «Roten Aufbau Hamburg», die mit Artikel 129 der Bildung einer kriminellen Organisation angeklagt sind und Hausdurchsuchungen und Verhaftungen über sich ergehen lassen mussten. Es kam bisher selten zu Verurteilungen im Bezug auf Artikel 129(a/b), er wird jedoch oft zum «Ausschnüffeln» und zur Legitimation von Hausdurchsuchungen (28 Hds in vier Bundesländern in diesem Fall) verwendet. Mit diesem Instrument kann Infrastruktur konfisziert und vernichtet und Strukturen können geschädigt werden. Auf diese Weise sollen das politische und private Umfeld der Betroffenen eingeschüchtert und Aktivistinnen und Aktivisten von sozialen Bewegungen isoliert werden.
– Wir erinnern an die Mordnacht von Stammheim auf den 18.10.1977, in der die Gefangenen der RAF, Andreas Bader, Gudrun Ensslin, Jan-Carl Raspe und Irmgard Möller, tot beziehungsweise schwer verletzt in ihren Zellen im Isolations-Knast Stammheim aufgefunden wurden.
Die Klassenjustiz nimmt ihren Anfang in der kapitalistischen Produktionsweise, beim Privateigentum und dem Profitstreben. Die bürgerlichen Staatsapparate verwalten und schützen diese Wirtschaftsordnung. Es müssen also sowohl die staatlichen Akteur*innen sowie die wirtschaftlichen Profiteur*innen angegriffen werden. Die 1912 gegründete und also während zweier Weltkriegen aktive (und 1945 von den Aliierten für zwei Jahre geschlossene) Handelskammer Deutschland Schweiz bietet uns ein gutes symbolisches Ziel um das deutsche Kapital und den deutschen Staat zu markieren.
Der deutsche Staat und das deutsche Kapital haben nach der Kapitulation des Dritten Reiches eine erschreckende Kontinuität, personell wie strukturell, beibehalten. Darauf hat nicht nur die RAF in den Siebzigern hingewiesen. Der von der RAF als Antwort auf die Mordnacht in Stammheim getötete Hanns Martin Schleyer beispielsweise war SS-Untersturmführer und in der BRD dann Arbeitgeberpräsident. Nicht nur in Innenministerium oder den Sicherheitsbehörden wie z.B. dem Bundeskriminalamt oder den Geheimdiensten der BRD wurden zahlreiche Mitglieder von NSDAP, SS oder Sicherheitsdienst lückenlos weiterbeschäftigt. Wenn dann ein alter Nazi in den Achzigern in Rente ging, wurde ihm zur Berechnung der Beamtenrente die Dienstjahre im Dritten Reich angerechnet. Solche Sachen halt.
Für uns ist klar – der Faschismus ist nicht einfach eine «extremistische» Gesinnung, die man in einer geschichtlichen Epoche versorgt und hinter sich lässt. Der Faschismus kommt aus der Mitte des Bürgertums. Autoritarismus und Staatsgewalt werden von jenen gesellschaftlichen Kräften vorangetrieben, die in einer fundamentalen Krise des Kapitalismus tatsächlich Besitz, Kontrolle und Reichtum zu verlieren haben. Und dieser Umstand bringt uns ungemütlicherweise Ruck-Zuck in die Gegenwart.
In den vergangenen Jahren und Jahrzehnten sind zahlreiche Polizei-Gesetze in der Schweiz und in Deutschland (und natürlich anderswo) «überarbeitet» und an die «Bedürfnisse» einer ordentlichen Aufstandbekämpfung angepasst worden. In Extremis heisst das dann beispielsweise beliebig verlängerbare Präventivhaft. Ohne Vergehen, ohne Anklage weggesperrt in einer «Unendlichkeitshaft auf Verdacht».
Die Justiz findet ihre eigene Rolle in diesen gesellschaftlichen Verschärfungen. Sie delegiert immer mehr Kompetenzen direkt an die Strafverfolger*innen von Staatsanwaltschaft und Polizei. Diese bauen Drohkulissen von Terrorismus und Gewalt auf, um dann gegen soziale Bewegungen und deren Exponent*innen mit vermutetem und konstruiertem Verdacht zu ermitteln. Betroffene verschwinden für Jahre in «Untersuchungshaft» ohne Urteil oder Anklage.
Im krassen Gegensatz dazu steht dann die unglaublich inkompetente und verharmlosende Verfahrensführung gegen Nazis. Beispielsweise beim Verfahren gegen den NSU, bei dem das Umfeld der Nazis so gut wie nur möglich geschont wurde und das Aufdecken der Verbindungen mordender Nazis mit dem Verfassungsschutz aktiv hintertrieben wurde. Der direkte Vergleich der Urteile in den NSU-Verfahren mit jenen die der Kommunist*innen-Prozess gezeitigt hat, lässt uns mehr als nur erahnen, wo die politisch agierende und klassenbewusste Justiz den Staatsfeind sieht.
Auch in der Schweiz kann, wer will, aktuell Zeuge absurder Klassenjustiz werden. In den etwa vierzig Prozessen gegen Teilnehmer*innen einer erfolgreichen antifaschistischen Demonstration gegen aufmarschierende Nazis im November 2018 (#BaselNazifrei) werden Genoss*innen reihenweise zu monatelanger Haft bedingt verurteilt. Eine Angeklagte, die sich an ihrem Prozess politisch verhalten hat und die Notwendigkeit antifaschistischer Gegenwehr bekräftigte, ist gar zu acht Monaten unbedingt verurteilt worden. Auch hier – die Teilnahme allein reicht. Das Gericht konnte der Angeklagten keine einzige individuelle Straffälligkeit nachweisen und die Staatsanwaltschaft hat gar nicht erst versucht, ein solche zur Anklage zu bringen. Die bürgerliche Demokratie und ihr «Rechtstaat» in Hochform.
Die Angst, dass aus der andauernden wirtschaftlichen Krise eine soziale und politische Krise erwächst, lässt die Justiz die Grenzen des Rechtstaates verlassen und die politische Klassenjustiz ausbauen. Es ist eine klare Ansage der reaktionären Profiteur*innen der bestehenden Verhältnisse an alle revolutionären Aktivistinnen und Aktivisten die sich gegen die Klassengesellschaft, gegen den bürgerlichen Staat und gegen das Kapital stellen. Die politischen Urteile der Klassenjustiz werden auch in Zukunft nicht zuerst «Entführer und Bombenleger» betreffen, sondern politische Aktivist*innen. Diese Angriffe betreffen uns alle, ob kommunistische Organisation, autonomes Zentrum, feministische Zusammenhänge, Klimabewegung oder Black Lives Matter.
Die Legitimation der herrschenden Verhältnisse ist inzwischen auch in den reichen kapitalistischen Ländern für die meisten vom «real existierenden Kapitalismus» betroffenen Menschen materiell und objektiv nicht mehr gegeben. Es findet zeitgleich eine ideologische Normalisierung des bürgerlichen Autoritarismus statt.
Die bürgerliche Normalität ist extrem, sie ist gewalttätig und sie zieht Rechtsextreme und Nazis an und lässt diese in Polizei, Justiz, Militär und Politik Karriere machen. Sie entwickelt sich aber nicht am rechten Rand, sie tritt hervor aus der Mitte der bürgerlichen Gesellschaft in der Krise. Sie bezweckt Spaltung, Ohnmacht und Resignation der Besitzlosen. Sie schützt Macht und Einkommen der Besitzenden.
Der Kampf für eine Welt ohne Ausbeutung und Unterdrückung ist ein antifaschistischer Kampf und er ist ein Kampf gegen Staat und Kapital.