Flugblatt 1. Mai: Ein Unheil kommt im Kapitalismus selten allein

Ein Unheil kommt im Kapitalismus selten allein

Mit der COVID-Pandemie hat sich einmal mehr gezeigt, wie vielfältig sich der Kapitalismus auf unser Leben auswirkt. Es blieb nicht nur bei der Pandemie, sondern verschiedene gesellschaftliche Krisen kamen zusammen. Sie alle offenbaren, welche Gefahr von diesem System für unsere Zukunft ausgeht.

Natur – Konkurrenz – Gesundheit

Das Virus ist auf eine kapitalistische Welt gestossen, in der zwar alles mit allem zusammenhängt und die international hoch vernetzt ist, die aber gleichzeitig unfähig ist, als Weltgemeinschaft bewusste und geplante Entscheide im Dienst von Mensch und Natur zu fällen. Die Pandemie hat offenbart, welche gesellschaftliche Gefahr vom Kapitalismus heute ausgeht. So musste auch als erst Folge der Pandemie die Fassade der internationalen Gemeinschaft bröckeln. Statt Solidarität zählt das kapitalistische Konkurrenzprinzip: Wenn es ums Eingemachte wie Schutzmasken und Impfdosen geht, sind sich die Kapitalist_innen der einzelnen Staaten selbst zuerst am nächsten. Und auch im Gesundheitswesen scheint Profit oft wichtiger als unser Leben. Schon in den ersten Wochen waren die Gesundheitsdienste aufgrund der jahrzehntelangen Abbau-, Spar- und Privatisierungspolitik im Service Public überlastet. Natürlich fällt diese Last automatisch auf Frauen zurück, wenn unter patriarchalen Strukturen keine gesellschaftlichen Antworten auf die Gesundheitskrise gefunden werden.

Krisenabwälzung auf die prekär Lohnabhängigen

Die Krisen-Massnahmen offenbarten, dass der Staat letztlich der Staat des Kapitals ist. So sollten wir im Privaten und Sozialen isoliert bleiben, für die Arbeit und Wirtschaft aber müssen wir zusammenkommen. Und mit einer zynischen Selbstverständlichkeit wägt der Staat zwischen Menschenleben und wirtschaftlichen Interessen ab. Selbst in der Schweiz – einem der reichsten Länder der Welt – sollte die Krisenbewältigung möglichst wenig kosten. Das bedeutet natürlich, dass die Krisenfolgen genau auf die Teile des Proletariats abgewälzt wurden, die in den letzten Jahrzehnten unsichere und flexibilisierte Arbeitsbedingungen akzeptieren mussten: migrantische und weibliche Arbeiter_innen. Das war schon immer das Ziel der neoliberalen Strateg_innen: eine möglichst grosse Flexibilität, damit sich die Kapitalist_innen in Krisen unkompliziert der Arbeiter_innen entledigen können.

Gegen die autoritäre Entwicklung!

Die Pandemie hat schliesslich auch autoritäre und rechte Entwicklungen beschleunigt. Die Regierungen haben dankend Notstandsszenarien eingeübt und die innere Militarisierung vorangetrieben. Die Grenzen wurden ohne jegliche Kritik für Flüchtende geschlossen. Reaktionäre und faschistische Kräfte befeuern die Unsicherheiten in der Bevölkerung und standen schnell mit sozialdarwinistischen, autoritären und rassistischen Antworten bereit. Und in der unsicheren Weltlage sehen immer auch Kriegstreiber_innen und Imperialist_innen die Chance, ihre geostrategischen Interessen militärisch durchzusetzen.

Kurzum: Der Kapitalismus hat keine Fehler, er ist der Fehler! Die Pandemie hat mit einem Schlag gezeigt, wie unsicher und brüchig die kapitalistisch-bürgerliche Weltordnung ist und welche Gefahren von deren Prinzipien des Profitstrebens und der Konkurrenz ausgeht. Der Kapitalismus treibt die Menschheit und die Natur immer mehr an den Abgrund und die politischen, kulturellen, militärischen und Umweltkrisen verzahnen sich immer mehr. Umso länger dieses System bestehen bleibt, umso unwiederrufbarer werden die gesellschaftlichen und natürlichen Schäden.

Die Wut organisieren

Die Pandemie hat aber auch die gravierenden Folgen jahrzehntelanger neoliberaler Ideologie auf die gesellschaftlichen Dynamiken offenbart. Obwohl grosse Teile der Bevölkerung und erst Recht der Jugend sehen, dass der Kapitalismus keine Perspektive für Mensch und Umwelt bieten kann, zeigt das neoliberale Mantra «Es gibt keine Alternative» seine Wirkung. Die Wut darüber, dass sich auch in dieser Krise die Kapitalist_innen dreist bereichern und die Krise auf die unteren Klassen abwälzt, dass das jahrzehntelange Kaputtsparen des Service Public heute zum existentiellen Risiko für die Bevölkerung wird oder dass der grenzenlose Raubbau und die unwiderrufliche Zerstörung der Natur unsere Existenzgrundlage vernichtet, übersetzt sich zu selten in politischen Widerstand und zu oft in ein Gefühl der Ohnmacht. 

Dies zeigt sich am verheerendsten in der Orientierungslosigkeit der Gewerkschaftsbewegung. Viele an der Basis und auch unter den Sekretär_innen wissen, dass die Unternehmer_innen diese Krise in den nächsten Jahren nutzen werden, um unsere Arbeitsbedingungen frontal anzugreifen. Aber eine Gewerkschaftsführung, die immer noch beim Klassenfeind um Sozialpartnerschaft buhlt, ist ein Klotz am Bein, wenn man sich für den Widerstand wappnen muss. Krisen wie diese Pandemie verschieben die Kräfteverhältnisse der Klassen unweigerlich für lange Zeit. Wenn die Gewerkschaftsbewegung jetzt nicht als gesellschaftlicher Kraft fassbar wird, die die Interessen der Lohnabhängigen politisch formulieren und in Stellung bringen kann, dann prägen die bürgerlichen und neoliberalen Hetzer_innen und Abbauer_innen die nächsten Jahre.

Alternativen fassbar machen – am 1. Mai

Es fehlt eine gesellschaftliche Kraft, die eine genug glaubhafte gesellschaftliche Alternative zu diesem System aufzuzeigen vermag. Aber genau das ist heute nötig: Der Aufbau einer revolutionären Perspektive. Das wiederum ist keine Sache, die einfach von jemandem auf ein Blatt Papier geschrieben werden kann, sondern etwas, was seine Fassbarkeit und Überzeugungskraft aus dem Zusammenkommen all jener gesellschaftlichen Bewegungen speist, die für das Gegenteil des Kapitalismus stehen: Die sozialen, gewerkschaftlichen, revolutionären Bewegungen, die praktische Solidarität leben, Widerstand aufbauen, gegen die FaschistInnen vorgehen, die Verantwortlichen von Krieg und Elend angreifen, die Sozialabbauer_innen und Profiteur_innen der Krise denunzieren, den Systemwandel für die Rettung des Klimas fordern, sich für ein besseres Leben stark machen und Gegenmacht fassbar machen. Und dieses Zusammenkommen braucht einen konkreten Ort, nämlich den öffentlichen Raum. Genau das war schon immer die zentrale Bedeutung des 1. Mai! Und gerade in Zeiten, wo die Perspektivlosigkeit des Kapitalismus offenkundig wird, müssen sich die politischen Kräfte den öffentlichen Raum gemeinsam erkämpfen, die eine Alternative jenseits von Klassengesellschaft, Umweltzerstörung und Profitstreben fassbar machen.