Acid Amazonians: We Take Up Space – Raumpolitik auf der Bühne

Im Juni kommt das erste Album der Zürcher Gruppe Acid Amazonians raus. Der richtige Moment, um mit ihnen darüber zu sprechen, wie und wieso sie Musik machen, ob es sich dabei überhaupt um Musik handelt oder eher um ein Statement.

(az) Das Gespräch mit den drei GRRLS von Acid Amazonians findet im entspannten Rahmen statt. Die Pandemie ist schlecht fürs Musikbusiness, aber sie bietet Musse und Zeit für eine Reflexion. «Wie würdet ihr euch selber definieren», fragt der aufbau und die spontane Antwort fällt ironisch aus: «Einfach geil!» Ironisch zwar, aber mit ernsthaftem Hintergrund, ein Hinweis darauf, worum es im Geschäft geht: Repräsentation und Vermarktbarkeit.

Es ist möglich, andere Wege zu gehen, aber sie erfordern Selbstbewusstsein und eine gewisse Schnodrigkeit gegenüber den Erwartungen, soviel hat das Gespräch gezeigt.

Also bitte nochmals eine Selbstdefinition.

Wir sehen uns eher als Prozess den als Band. Grundsätzlich sind wir gegen Normativität, das bringt es wohl gut auf den Punkt. Musikalisch haben wir Interesse an Popmusik, Subkultur, Riot-Grrrl, Free Jazz und mehr. Und wir werden als alles bezeichnet: von Punk über Techno bis hin zu keine Musik. Aber wir sind wohl als Gesamtkunstwerk zu betrachten, es geht uns nicht nur um Musik, Performance, Tanz, Lyrics und Auftritt: alles gehört dazu.

Was heisst denn Norm im Musikbusiness?

Reproduzierbarkeit ist eine Norm, die bei uns nicht gegeben ist, weil alles improvisiert ist. Das macht, dass die Verwertbarkeitsmaschine nicht angeworfen werden kann. Aber auch, dass meist Cis-Männer auf der Bühne stehen, ist eine Norm. Oder Räume bringen Normen mit sich. Ein Club stellt Anforderungen, steht für etwas, das kann gebrochen werden. Auftritte haben eine politische Komponente, die manchmal beabsichtigt ist, manchmal nicht. Wie wir gelesen werden, ist an sich hochpolitisch und codiert. Unsere Diskussionen drehen sich aber nicht nur ums Musikbusiness, es geht uns auch um Normen im Alltagsleben.

In dem Fall zur zentralen Frage: Was ist politisch und wie vermittelt sich das?

Schwierige Frage, sie stellt sich dauernd: Was sind die Möglichkeiten von Kunst? Im «Züritipp» stand, wir seien eine feministische Band. Das stimmt zwar, aber wir wissen nicht, ob sie das aus den Lyrics ableiten. Wir sind ein bisschen unfassbar für Journalist_innen. Die heutige Kultur ist auf Sprache als Ausdrucksmittel ausgerichtet. Unsere Lyrics sind improvisiert, teilweise natürlich vorbereitet und nur zum Teil enthalten sie eine Botschaft, es gibt auch sehr viel Nonsense darin, sei das ein Spaziergang mit einem Dino oder sonst was. Aber jede Körperhaltung könnte politisch verstanden werden. Die Bildsprache und die Klangsprache auch, solches ist einfach viel schwieriger zu dekodieren, ist uns aber ein grosses Anliegen. Als Aktivismus oder Forderungen sehen wir das nicht. Die Repräsentation, die wir bieten, sagt: Es ist OK, zu viel zu sein, oder zu wenig, oder auch mal daneben. Das alleine ist politisch. Wir leben damit, dass es in die Hose gehen kann. Mit dem Publikum zusammen auf eine Reise gehen, auf der niemand weiss, was passieren wird.

Aber ist das vermittelbar?

Frauen machen häufig erst etwas, wenn sie sich sicher sind, dass sie es können. Dass wir das trotzdem machen, ist für das Publikum lesbar. Die Irritation ist gewollt.

Sich die Möglichkeit zu geben, zu scheitern, setzt neue Massstäbe. Wir hatten Auftritte, bei denen ist das Publikum weggelaufen. Es laufen aber nicht alle weg und mit denen, die bleiben, bekommen wir es wieder hin. Das sind meist auch die, die wir ansprechen wollen. Diesbezüglich haben wir viel aus dem Punk geschöpft.

Wollt ihr also Rolemodel sein?

Rolemodel ist ein zu starker Begriff. Es geht um Sichtbarkeit, darum zu zeigen, dass etwas möglich ist, nicht darum, Vorbild zu sein. Also nicht Nachahmung, sondern Akzeptanz der Diversität ist das Ziel. Ja! Im Bewusstsein darüber, dass auch unsere Diversität nicht sehr divers ist, wir können nicht alles abbilden. Es liegt uns dennoch am Herzen. Es ist aber mega cool, wenn wir Räume eröffnen. Wir existieren ja nicht in einem Vakuum.

Was könnt ihr Nachwuchskünstler_innen empfehlen?

Einfach machen und ausprobieren, was passt. Aber die interessante Frage lautet doch: Wie kann das Business verändert werden? Helevetiarockt leistet gute Arbeit, die bietet Unterstützung und Empowerment. Mit der Seite diversityroadmap.org macht sie auch einfache Empfehlungen an Clubs und Festivals, wie mehr Diversität erreicht werden kann. Ausserdem führt Helvetiarockt eine Datenbank (musicdirectory.ch), in welcher sich FINT-Personen eintragen können, nicht nur Künstler_innen, sondern alle, die im Musikbereich tätig sind, also auch Licht, Ton usw. Diese Datenbank dient der Vernetzung und soll verunmöglichen, dass immer gesagt wird: Es gibt nur Männer.

Zurück zur Vermarktbarkeit. Ich nehme euch nicht als unvermarktbar wahr. Ihr seid prominent auf der Bad Bonn Kilbi vertreten, habt soeben den GDS.FM-Award für den besten Klubtrack 2020 gewonnen. Ist es nicht einfach eine andere Vermaktungsschiene?

Ja genau! Wir haben den Klub-Award gewonnen, in dem Jahr, in dem kein einziger Klub offen war! Ernsthaft, das Musikbusiness würde dir widersprechen. Wir können so nur bis zu einem gewissen Punkt wachsen. Es ist Fame, in Bad Bonn aufzutreten, aber schwer in Geld umwandelbar. Für ein Musiklabel oder einen Radiosender sind wir eine Herausforderung. Ein Marketingexperte hat uns ins Gesicht gesagt, wir seien nicht vermarktbar. Was sicher nicht ganz stimmt. Aber in strengen Musiknormen schon.

Allerdings ist auch wahr, dass es sich gerade verändert: Es findet eine Öffnung statt, Projekte, die aus dem Rahmen fallen, bekommen häufiger einen Raum. Im letzten Moment fällt der Programmgruppe auf, dass nur Cis-Männer eingeplant sind, dann werden wir angefragt. Als Füller, als Gegengewicht.

Ist das in eurem Sinn oder nervt das?

Zweischneidig. Persönlich ist es geil, angefragt zu werden, gesellschaftlich gesehen unglaublich traurig. Wir haben ein Alleinstellungsmerkmal, wir würden uns wünschen, dass dem nicht so wäre, dass wir weniger alleine wären. Aber Auftritte sind auch eine wirtschaftliche Frage, sie bedeuten Gage und sie sind im Sinne unseres Ziels, die Sichtbarkeit zu erhöhen. Grundsätzlich ist es OK, wenn die Booker_innen von Anfang an ehrlich sind und daran denken, divers sein zu wollen und uns deshalb anfragen. Wir fordern aber, dass sie sich diese Frage früher und besser überlegen. Wenn sie in letzter Sekunde anfragen, sollen sie auf ihrem Problem hocken bleiben.

Die Geschlechterfrage geht gerade wild. Wie wollt ihr gelesen werden?

Wir mussten soeben einen Kurztext über uns schreiben, darin haben wir Grrrl oder Femme/fem gewählt. Wir können uns mit keinem Begriff voll identifizieren. Wir sind zu alt, um uns als Grrrls zu bezeichnen, unter anderen Gesichtspunkten passt der Begriff. Es ist spannend und anstrengend zugleich, dass das Private und Politische in drei Zeilen so aufeinanderprallen. Wir stellen uns der Frage und wir reflektieren, der Ausgang ist nicht immer klar. Männer sollten das auch vermehrt tun müssen.

Was uns aber klar ist, dass wir eine Performance von Geschlecht machen, und das hat nichts mit Biologie zu tun. So wie wir aussehen, ist eine Darstellung. 

Das Album kommt im Juni raus, wieso macht ihr das? Es tönt ja nicht so, wie wenn ihr euch davon Einnahmen versprechen würdet.

Einfach aus Lust, es ist eine Dokumentation, ein Zeugnis. Musik ist flüchtig, insbesondere improvisierte Musik. Obwohl wir sagen, dass wir ein Prozess sind, ist es schön, ein Produkt zu haben. Der Moment der Improvisation ist weg, aber jetzt haben wir etwas, das bleibt.

Und wir versprechen uns schon ein paar verkaufte Alben. Es gibt Leute, die uns von Anfang an begleitet haben. Wir sind vermarktbar, die Frage ist: An wen und an wie viele? Wir sagen nicht: People love us. Aber einige tun es und übrigens kann, wer möchte, das Album auf Vinyl vorbestellen bei unserem Label „A Tree in a Field Records“.

Acid Amazonians: How To Take Up Space. Erscheint im Juni bei „A Tree in a Field Records“, auf Vinyl oder als MP3 erhältlich sowie auf Streaming-Plattformen.

Weitere Infos https://acidamazonians.net/

aus: aufbau 105