Ob Google, Amazon oder Hewlett-Packard, sie alle wurden in einer kalifornischen Garage gegründet. Oder etwa nicht? Warum der Mythos der erfolgreichen Garagenfirmen nicht verschwinden will.
(az) Der Kapitalismus lebt von wirkungsmächtigen Aufstiegsgeschichten. Was früher das Märchen vom Tellerwäscher zum Millionär war, ist heute die erfolgreiche Garagenfirma. Während der Mythos zu Beginn vor allem von Firmen kultiviert wurde, geistert er heute auch als Motivationsspruch auf sozialen Medien umher. Wer sich anstrengt und seinen Abstellplatz für die Weiterentwicklung seiner Ideen nutzt, kann das nächste erfolgreiche Unternehmen aufbauen, so die weit verbreitete Botschaft. Doch dieser Aufstieg ist in der Realität nicht nur ungleich schwieriger und unwahrscheinlicher, er trifft auch nicht auf die historischen Vorbilder zu.
Das Paradebeispiel der erfolgreichen Garagenfirma ist Apple. In der Garage von Steve Jobs Kindheitshaus sollen 1976 die ersten Prototypen der zukünftigen Computer entstanden sein. Tatsächlich tauschten sich die beiden Apple Gründer Jobs und Steve Wozniak hier regelmässig aus. Produziert, gebastelt oder programmiert wurde in Jobs Garage allerdings nie. Das gleiche Schicksal teilt Hewlett-Packard, die älteste kalifornische Garagenfirma. Bis heute erzählen zahlreiche Wirtschaftsratgeber wie auch die Firma selbst die Geschichte, wie HP 1939 ihr erstes Produkt, einen Tonfrequenzgenerator, in einer Garage baute und daraus später ein Weltunternehmen wurde. Und wie bei Apple ist der Gründungsort heute zugleich zu einer touristischen Attraktion geworden. Doch getüftelt und gebaut wurde dort ebenso wenig. Zwar wurde die Garage für einige Experimente genutzt, doch die ersten HP Produkte stammen vor allem aus einem gut ausgestatteten Universitätslabor in Stanford und nicht aus der eigenen Garage.
Ein Mythos wird geboren
Bei HP legte man lange Zeit nicht besonders viel Wert auf diesen Gründungsmythos. Dass man als globale Firma mit einer kleinen Garage startete, schien jahrzehntelang nicht besonders relevant. Zumal für die Wahl des Firmensitzes vor allem pragmatische Gründe verantwortlich waren. Die kalifornischen Studierenden wurden in den 30er-Jahren dazu animiert, eigene Firmen zu gründen, statt nach ihrem Abschluss bestehenden Unternehmen beizutreten. Garagen waren dabei praktisch, da sie oft günstig vermietet wurden. Erst als man bei HP in den 90er-Jahren den wirtschaftlichen Anschluss verlor, kam einem beauftragten Werbeunternehmen die Idee, die eigene Geschichte besser zu vermarkten. Man wollte vergleichbar innovativ und cool wie Apple sein, und was wäre da das bessere Symbol als die einstige Garage?
In den folgenden Werbekampagnen wurde HPs Garage mit immer neuer Bedeutung aufgeladen. Hier gründete sich dank harter Arbeit und US-amerikanischem Elan eine erfolgreiche Firma, so die Botschaft hinter dem eigenen Gründungsmythos. Als Höhepunkt dieser Selbstinszenierung veröffentlichte man 1999 die «zehn Regeln der Garage», die den Arbeitsethos der beiden Firmengründer zusammenfassen sollte, die allerdings in keinem historischen Bezug zur tatsächlichen Gründung steht. Festgehalten wurde darin der Glaube an Aufstiegsmöglichkeiten und innovative Ideen wie auch ein libertäres Wirtschaftsverständnis. So lautet beispielsweise die fünfte Regel für die Garagenfirmen: «Keine Politik. Keine Bürokratie. (Diese sind lächerlich in einer Garage)»
Inszenierung der Garage
HP war nicht die einzige Silicon-Valley-Firma, die in den 90er-Jahren den symbolischen Bezug zur Garage suchte. Im Gegensatz zu anderen Unternehmen hatte man immerhin einen historischen Ort vorzuweisen. Was allerdings, wenn man ebenfalls eine Garagenfirma sein wollte, diese aber gar nicht brauchte? Diese Schwachstelle liess sich leicht übergehen. Jeff Bezos, der CEO von Amazon, wollte beispielsweise ebenfalls vom Ruf der innovativen Garagenfirmen profitieren. Deswegen bestand er 1994 darauf, dass Amazons erstes gemietetes Haus eine Garage besitzen sollte. Noch heute prahlt das Unternehmen damit, dass es auch dort gründet wurde. Ein Blick auf Wikipedia zeigt, dass dieser Mythos erfolgreich ist, wird dort die Garage ebenfalls als Gründungsort vermerkt. Bevor sich Amazon allerdings in der eigenen Garage gründen konnte, wurde diese längst zum Hobbyraum umfunktioniert. Und auch finanziell musste sich Amazon nicht im Abstellraum verkriechen. Bezos erhielt als Startkapital 300,000 Dollar von seinen Eltern, bevor er sich auf die Suche nach neuen Investor_innen machte.
Ein vergleichbares Schicksal teilt Google. Auch hier berichtete die Firma in den letzten Jahren oft von der Garage, in der Larry Page und Sergey Brin ihr Unternehmen zum Weltruhm führten. Zum fünfzehnten Geburtstag lud man sogar eine Gruppe ausgewählter Journalist_innen an den vermeintlichen Gründungsort ein. Gegründet wurde Google allerdings an der Stanford Universität. Als Page und Brin 1998 tatsächlich eine Garage mieteten, existierte Google bereits seit knapp zwei Jahren und hatte in dieser Zeit mehr als eine Million an Risikokapital erhalten. Tatsächlich gebraucht wurde die Garage also ebenfalls nicht, aber sie stärkte nachträglich den Ruf, dass Google in die Fussstapfen Apples oder HPs trat.
Die Suche nach Risikokapital
Dass Firmen wie Google oder Amazon derart aktiv an ihrem Gründungsmythos arbeiteten, hat unterschiedliche Gründe. In der Anfangsphase ging es vor allem um eine Kopie der wirtschaftlichen Erfolgsgeschichte Apples. Dieses gilt bis heute als grosse Vorbild neuer US-amerikanischer Technologiefirmen. Wer sich auf dem Markt als vergleichbar innovatives Unternehmen präsentieren kann, steigerte seine Chance auf neue Investitionen. Und da kommen vergleichbare Gründungsgeschichten gut an. Zweitens reproduziert die Garage den Traum der US-amerikanischen Aufstiegsgeschichten wie auch die gerade in der Computerindustrie des Silicon Valleys verbreiteten Romantisierung der eigenen Geschichte. Apple wie Google inszenierten sich stets als vermeintlich progressives Gegenbild zu alten Firmen wie IBM. Nur allzu gut passt hier das Bild der einsamen Tüftler_innen, die in kleinen Garagen an ihren Ideen arbeiten. Mit der Realität hat dies allerdings wenig zu tun. Ausgeblendet werden nicht nur die staatlichen Beiträge über die Universitäten, sondern auch die Bedeutungslosigkeit guter Ideen, die im Kapitalismus ohne Kapital nirgends hinkommen. Das weiss Apple eigentlich selbst am besten: Dass die Firma überhaupt Computer produzierte, hängt mit Mike Markkula zusammen. Apples dritter Mitarbeiter war in den 70er-Jahren durch Intel-Aktien reich geworden. Dieses Geld investierte Markkula 1977 als erster Investor bei Apple. Mit diesem Startkapital sorgte er dafür, dass Apple später zusätzlich Investitionen erhielt und überhaupt erst jenes Marketing betrieb, das die Firma wirtschaftlich erfolgreich machen sollte.
aus: aufbau 105