Ob in den 30er Jahren in Italien oder in Deutschland: Der militante Widerstand gegen die Faschisten_innen wurde oft viel zu spät als Notwendigkeit erkannt. Dennoch gab es Menschen, die rechtzeitig Farbe bekannten und die Faschist_innen entschlossen bekämpften. Auch in der jüngeren Geschichte Zürichs war militanter Antifaschismus und offensives Handeln immer wieder unabdingbar. Dass die Stadt Zürich heute keine grösseren Nazi-Probleme mehr kennt, ist keine Selbstverständlichkeit, sondern muss immer wieder von neuem erkämpft werden.
(agafzh) Die «Arditi del Popolo» in Italien erkannten bereits 1921 die Wichtigkeit einer vehementen, militanten Bekämpfung der Faschist_innen auf der Strasse. Sie waren sich einig, dass die Schwarzhemden von Benito Mussolini eine Gefahr für die Arbeiter_innen Bewegung seien und von den Kapitalisten als Speerspitze gegen die sozialen Bewegungen eingesetzt würden. Ebenfalls erkannten sie die Wichtigkeit der Präsenz auf der Strasse für die faschistische Bewegung. Als Schlussfolgerung entschieden sie sich, die Faschist_innen offen und militant anzugreifen, um ihnen das Feld für die Agitation in der Öffentlichkeit nicht zu überlassen. Dafür wurden sie von den politischen Parteien – auch den sozialistischen – kritisiert, genossen aber in der Bevölkerung breite Unterstützung. Es wurde spekuliert, dass die Schwarzhemden keine politische Relevanz erreichen und im Fall der Fälle die staatlichen Repressionskräfte ihrem Treiben ein Ende setzen würden. Dabei wurde von den linken Parteien die Wichtigkeit der Faschist_innen für das Kapital in diesen unruhigen Zeiten mit starker Arbeiter_innen Bewegung völlig unterschätzt. Der Wunsch nach Ruhe und Ordnung in der bürgerlichen Gesellschaft, also die ungestörte Widerherstellung der kapitalistischen Ausbeutungsverhältnisse und die Vernichtung der Bewegung liess die herrschende Klasse sehr wohl mit den Faschist_innen paktieren. Mussolini tönte zwar antikapitalistische und sozialistische Ideen an, wurde aber von Anfang an vom italienischen Kapital unterstützt und spielte (wie Hitler) ein doppeltes Spiel.
Faschismus braucht für die Durchsetzung seiner Ideologie eine Massenbasis, ist also im Gegensatz zu einer Militärdiktatur auf eine breite Verankerung in der Bevölkerung angewiesen. Somit brauchen sie die öffentliche Präsenz und Sichtbarkeit auf der Strasse. Um diese zu verhindern, ist es richtig und wichtig, sich ihnen früh in den Weg zu stellen.
Auch in Zürich gibt es eine jüngere Geschichte des Antifaschismus. Wachsamkeit und zielgerichtetes Handeln haben sich immer wieder gelohnt und die Tatsache, dass heute kaum noch Naziprobleme in der Stadt bestehen, ist Resultat von antifaschistischen Interventionen. Wenn wir in die Jahre 1995 bis 1997 zurückschauen, sehen wir Neonazis, die sich im Niederdorf in ihren Stammkneipen zum Bier treffen und in den Gassen Präsenz markieren. Regelmässig veranstalteten sie Aufmärsche im „Dörfli“, pöbelten und verübten Übergriffe. Bei der Genossenschaftsbeiz «Zähringer» wurden die Scheiben eingeschlagen. Mehrere Menschen, welche den Nazis nicht in ihr Weltbild passten, wurden am Rande von Nazi-Aufmärschen schwer verletzt. Eine junge Frau überlebte nur knapp. Als links oder ausländisch aussehende Person mied man das Dörfli oder war stets auf der Hut vor dem Nazi-Terror.
Damals, noch vor der Dominanz von Blood&Honour (B&H) im Raum Zürich, waren vor allem die NIS (Nationale Initiative Schweiz) und die Hammerskins in und um Zürich aktiv. Befeuert wurde die Nazipräsenz von der herrschenden Politik und deren Exponenten. Der damals noch jüngere und übermotivierte Christoph Blocher lud im September 1995 zur SVP-Demo an der Bahnhofstrasse und entlang des Niederdorfes. Mehrere Dutzend Naziskins liefen damals, den Hitlergruss zeigend mit. Sie warfen am Rande der Demo (im Schutze der Bullen) Steine auf Gegendemonstrant_innen. Beobachtungen deuteten darauf hin, dass sie von den Bullen – als denen das Gummischrot ausging und sie in Bedrängnis kamen – aktiv dazu aufgefordert wurden. Doch die linke Gegendemo war entschlossen und wütend. Ab April 1997 wendete sich im Niederdorf das Blatt definitiv, die Leute hatten die Schnauze voll: Als Antwort auf das rassistische und antisemitische Treiben wurden regelmässige antifaschistische Gegen-Aktionen und Abendspaziergänge durchgeführt. Den Nazis wurde Paroli geboten. Auch militant!
Neben der Brasserie Federal am HB Zürich und der Gräbli-Bar, war auch die Pumpi-Bar im Niederdorf ein beliebter Treffpunkt der Faschos. Offensichtlich wurden die Nazi-Skins dort nicht nur toleriert, sie waren gern gesehene Gäste. Eine kraftvolle und militante Antifa-Demo mit mehreren 100 Teilnehmenden zog im April 97 vor die Pumpi-Bar und zerstörte diese komplett. Mehrere Aktionen und Warnungen waren dieser Aktion vorangegangen. Die Demo war schlussendlich das Tüpfelchen auf dem i. Die Botschaft kam an, die klare wurde Sprache verstanden! In der Pumpi-Bar hatte es sich danach ausgetrunken und viele andere Kneipen im Niederdorf verhängten Hausverbote für Nazi-Skins. Kein Lokal wollte ein ähnliches Schicksal wie die Pumpi-Bar erleiden. Die Faschos bekamen kalte Füsse und konnten nun Meter für Meter aus dem Niederdorf verdrängt werden.
Etwa 10 Jahre später trafen sich die Faschos vor dem Bierladen «Drinks oft the World» am Zürcher Hauptbahnhof. Sie schienen gut befreundet mit den Securitys zu sein, welche sie zuweilen mit Handschlag begrüssten. Auch die zahlreichen Kameras im HB versprachen ihnen Schutz vor antifaschistischen Vertreibungsaktionen. Diese fanden trotzdem statt. Auch wurde von antifaschistischer Seite ein offener Brief geschrieben, eine Warnung an die Ladenbesitzer im Zürcher Shopville. Sollten sich Nazis weiterhin dort treffen, würden entschiedene Massnahmen dagegen ergriffen. Dieser Brief zeigte Wirkung, die Faschos waren daraufhin aus dem HB verschwunden.
Jahre später fand ein weiteres Ereignis in Zürich statt: Im Juli 2015 wurde, im Rahmen eines Polterabends von Neonazis, ein orthodoxer Jude in Zürich Wiedikon angerempelt, beschimpft und bespuckt. Federführend war dabei Kevin Gutmann, Aushängeschild der Zürcher Neonaziszene und B&H. Was konnte eine Antwort auf diesen Übergriff sein? Kommen die Nazis zu uns, dann gehen wir zu ihnen! Es gab eine Antifa-Demo in Hombrechtikon, einer Hochburg von B&H. Dass sich die Nazis tief getroffen fühlten, zeigte eine Flyeraktion einige Tage darauf. Der mit «Blood&Honour» unterschriebene Flyer bemühte sich um eine beschönigte Darstellung der Ereignisse in Wiedikon.
Auch heute in Bewegung bleiben
Im Sommer 2019 zogen Neonazis erneut pöbelnd und mit Hitlergrüssen durch das Niederdorf. Sie wurden auch dieses Mal von entschlossenen Antifaschist_Innen aufgehalten und ihr feuchtfröhlicher Polterabend zerschlagen. Ein Genosse wurde deswegen am 10. März vor Gericht zitiert, da ihm die Beteiligung an diesem antifaschistischen Schlag vorgeworfen wurde. Der Prozess wurde als Anlass genommen, um den antifaschistischen Widerstand im Rahmen einer Aktionswoche in Zürich sichtbar zu machen.
In der Aktionswoche bildete der Prozess und eine abendliche Demo durch den Kreis 3 den Auftakt. Danach wurden an verschiedenen Orten der Stadt Transparente zum Thema aufgehängt, es wurde plakatiert und gesprayt, zum Abschluss fand eine Veranstaltung statt. Antifaschistische Präsenz sollte jeden Tag dieser Woche in der Stadt sichtbar sein. Auch um klarzustellen: Wir lassen uns von der Repression und aufwändig inszenierten Prozessen nicht einschüchtern. Viele haben in unterschiedlicher Form dazu beigetragen. Dank Social Media konnten Momente eingefangen und für noch mehr Leute zugänglich gemacht werden. (Instagram @antifa_zuerich)
Im Rahmen der Aktionswoche und der Veranstaltung wurde betont, dass schon immer in der Geschichte des Widerstandes gegen den Kapitalismus, der Kampf gegen die reaktionären und faschistischen Kräfte ein zentrales Kampffeld war und es darum auch heute sein muss. Obwohl die Schweiz nicht unmittelbar von einer faschistischen Machtübernahme bedroht ist, so ist sie dennoch ein Land, das mit seiner Asylpolitik (Beteiligung an Frontex, Asylbunker), dem Druck auf die sozial Schwachen (Sozialdetektive) und diversen rassistischen Verfassungsartikeln (Minarettverbot, neu Burkaverbot) eine Wohlfühloase für rechte Gesinnung ist. So verwundert es nicht, dass sich Neonazis aus ganz Europa hierhin zurückziehen um sich zu erholen, ungestört Konzerte zu besuchen und Geld zu verdienen. Damit sie keine Sichtbarkeit erhalten, muss, egal wo, jederzeit die Gegenoffensive gestartet werden um ihnen den öffentlichen Raum zu nehmen. Es braucht organisierte Strukturen, die sich offensiv zeigen und den Neonazis weder im Niederdorf noch in Wiesendangen ihre Ruhe lassen. Das ist aber nur möglich, indem sich die Bewegung der Notwendigkeit von Militanz bewusst ist. Zudem gilt es jederzeit darauf hinzuweisen, dass ein bürgerlicher Antifaschismus ein Widerspruch in sich selbst ist. Es kann keinen Antifaschismus ohne Antikapitalismus geben, keinen Kampf gegen die Reaktion ohne Kampf für die Revolution.
Aus: aufbau 105