«Gleichheit lag in der Luft, die wir atmeten»

Die MCS war eine kleine und äusserst militante Gewerkschaft, die in der Zwischenkriegszeit und in den 40er Jahren wichtige Kämpfe für sich entschied. Ihre Mitglieder waren rot, schwarz oder queer oder alles zusammen. Jetzt laufen Bemühungen, sie aus der Vergessenheit zu holen.

(az) Stephen Blair formuliert es hart: «Was viele von euch jüngeren Schwulen heute zu tun versucht – was ihr Inklusion und Vielfalt nennt – haben wir schon vor Jahren in der MCS getan. Wir haben es in der Arbeiterbewegung als Arbeiterinnen mit linker Politik getan, und deshalb hat uns die Regierung zerschlagen, und deshalb wisst ihr heute nichts über uns.» Und das ist ein Fehler, der geändert werden soll. Die Erinnerung an die MCS soll aufleben.

Die kämpferische Gewerkschaft von Seeleuten MCS (Marine Cooks and Stewards Union) war an der Westküste der USA beheimatet und stand schwulen und nicht-weissen Mitgliedern offen. Keine Überraschung, dass sie politisch sehr links war und sich entsprechend viele Mitglieder als kommunistisch bezeichneten. Die MCS prägte einen Slogan, der die Diskriminierung von Queens – wie sich die schwulen Arbeiter selbst bezeichneten, Rassismus und Roten, also Kommunist_innen, verband und kämpfte fast zwei Jahrzehnte lang gegen Diskriminierung auf den Schiffen und in der Gesellschaft. Schliesslich wurde die MCS Opfer des vehementen Antikommunismus des kalten Kriegs.1 Ihr Slogan von 1936 «Roten-Hetze, rassistische Hetze und Queen-Hetze sind gewerkschaftsfeindlich. Wenn du zulässt, dass sie gegen Rote hetzen, werden sie rassistisch hetzen, wenn du sie rassistisch hetzen lässt, werden sie gegen die Queens hetzen. Deshalb müssen wir zusammenhalten» bewahrheitete sich damit auf tragische Weise. Indem ein Teil angegriffen wurde, wurde das Ganze zerstört.

Die 1901 gegründete MCS war nicht immer fortschrittlich gewesen. Die Arbeitsbedingungen auf den Kreuzfahrtschiffen waren zermürbend: An sieben Tagen die Woche 16 Stunden am Tag arbeiten war normal und schlecht bezahlt. Die Arbeit hatte den Ruf, Frauenarbeit zu sein, die kein ‚richtiger‘ Mann übernehmen wollte, wobei die Patrons damals ausschliesslich Männer dafür einstellten. Das führte wohl dazu, dass überdurchschnittlich viele Queens, die auf dem Arbeitsmarkt zu Land sehr diskriminiert waren, in diesem Bereich unterkamen. Unter Deck arbeiteten zahlreiche noch schlechter bezahlten schwarze und asiatische Küchenhilfen. Und obwohl ein hoher Prozentsatz der Köche und Stewards Queens waren, einige davon auch gewerkschaftlich organisiert, setzte sich die Gewerkschaft selten bis nie für sie ein, wenn sie von heterosexuellen Arbeitern verspottet – oder «queen-baited» – wurden. Für die Schwarzen, die sich damals gar nicht organisieren durften, ohnehin nicht.

Fortschrittliche Wende angesichts des übermächtigen Feindes

Das alles änderte sich während der grossen Hafenstreiks in den 1930er Jahren. Die Gewerkschaftsmitglieder sahen ein, dass sie für den Kampf gegen die mächtigen Reeder vereint sein mussten und sorgten dafür, dass die Gewerkschaftsführung einlenkte. Fortan durften sich alle in der MCS organisieren und tatsächlich schlossen sich schwarze und asiatische Arbeiter_innen sofort an und streikten mit. Am Ende waren sie erfolgreich und erzielten küstenweite Verträgen für MCS und die «International Longshore and Warehouse Union».

Während sich die MCS auf den Schiffen etablierte, waren ihre Mitglieder weiterhin Spott und Schikanen ausgesetzt, sei das wegen ihrer sexuellen Orientierung, ihrer Hautfarbe oder ihrer politischen Einstellung. Und das nicht nur seitens der Vorgesetzten und Passagiere, sondern auch seitens Mitglieder der konservativen «Sailors Union of the Pacific». Die MCS war nicht gross genug, um die gesellschaftliche Realität zu verändern, doch gab sie ihren Mitgliedern die Kraft und das Selbstbewusstsein, dafür zu kämpfen.

Der Historiker Allan Bérubé hat Zeugnisse von Aktivist_innen gesammelt. In seinem langen Vortrag, der online zugänglich ist, kommt Revels Cayton zu Wort, ein Steward, später MCS-Funktionär. Cayton betont, wie nur der Zusammenhalt den Kampf möglich gemacht habe. Stephen ‚Mickey‘ Blair erzählt, wie wichtig die MCS für die Bewältigung des Alltags gewesen sei: «Die Beleidigungen gingen weiter, aber die schwulen Gewerkschaftsvertreter wurden mutiger, weil sie wussten, dass ihre Gewerkschaft ihnen den Rücken freihält. Die Marine Cooks and Stewards haben die Würde, die in jedem von uns steckt, hervorgehoben und aufgebaut, so dass wir morgens aufstehen und uns sagen konnten: ‚Ich kann den Tag überstehen.‘ Gleichheit lag in der Luft, die wir atmeten.»

Die erste schwarze Stewardess

Während des Zweiten Weltkriegs wurden die Schiffe, auf denen MCS-Mitglieder arbeiteten, für den Transport von Truppen und Munition umgebaut. Die Zahl der MCS-Mitglieder  verdreifachte sich. Viele der neuen Mitglieder waren schwule Männer, die im Kampf gegen den Faschismus dienen wollten, aber wegen ihrer sexuellen Orientierung aus dem Militär geworfen worden waren. Nach dem Krieg setzte die MCS ihre Traditionen des militanten Kampfes erfolgreich fort. Die Löhne der Arbeiter_innen verdreifachten sich zwischen 1945 und 1949. Als die MCS eine schwarze Frau, Luella Lawhorn, auf das Luxus-Passagierschiff Lurline schickte und das Unternehmen sich weigerte, sie einzustellen, verliess die gesamte Stewards-Abteilung das Schiff. Das Unternehmen lenkte ein, und Lawhorn wurde die erste schwarze Stewardess auf einem US-Passagierschiff im Pazifik. 1949 waren mehr als die Hälfte der Mitglieder der MCS schwarz und nicht wenige asiatischer Herkunft. Die Gewerkschaft erkannte selbstkritisch, dass die weisse Führung die Mitglieder nicht mehr wiederspiegelte und diversifizierte innerhalb eines Jahres.

Die MCS fiel jedoch bald der Repressionswelle des Kalten Krieges zum Opfer.Zusammen mit der UE, der ILWU und acht weiteren Gewerkschaften wurde die MCS wegen «kommunistischer Dominanz» angeklagt und aus dem Dachverband CIO ausgeschlossen. Die Küstenwache erklärte MCS-Aktivisten zu «Sicherheitsrisiken» und hinderte sie daran, Arbeitsplätze auf Schiffen anzunehmen. Andere Gewerkschaften versuchten, die MCS mit Homophobie, Rassismus sowie Anitkommunismus zu zerstören. Schliesslich gelang es ihnen und die MCS ging in der konservativen Gewerkschaft «Seafarers International Union» auf.

Unamerikanische Umtriebe

Der Kalte Krieg in den USA ist durch einen gnadenlosen und völlig hysterischen Kampf gegen den Kommunismus gekennzeichnet. Nicht nur wurde alles, was fortschrittlich war, angegriffen. Auch die Erinnerung an sog. ‚Unamerikanisches‘ wurde bekämpft. Historiker Bérubé formuliert das folgendermassen: Die Geschichte der MCS «ist heute unbekannt, weil sie durch Angst und Einschüchterung zunächst als unamerikanische Umtriebe umgeschrieben, dann als unbedeutender Misserfolg abgetan und schliesslich aus dem Gedächtnis unserer Nation getilgt wurde, so als hätte es das, was sie erreicht hatten, nie gegeben.»

Peter Brownlee erinnert sich voller Stolz an den gemeinsamen Kampf: «Wir waren unserer Zeit 50 Jahre voraus. Wir waren so demokratisch, dass das Land es nicht ertragen konnte. Das Wichtigste war nicht, dass wir Schwule hatten. Es ging darum, dass ein Angriff gegen einen ein Angriff gegen alle war. Das haben wir gelebt. Wir haben uns umeinander gekümmert.» Und das ist, was eine Gewerkschaft ausmachen sollte. Sich an die MCS zu erinnern ist deshalb keine Nostalgie, sondern Hoffnung. Ihre Geschichte zeigt deutlich, dass nicht gemeinsame Lippenbekenntnisse zur Inklusion führen, sondern die gelebte Erkenntnis der Arbeitskräfte, dass Solidarität eine Waffe ist, Spaltung hingegen der Untergang. 1945 hatte die MCS 15’000 Mitglieder, die Mehrheit schwarz, rot und queer. Sie war fähig, die Schifffahrt der Westküste zu schliessen, das war zu viel der Macht für Regierung und Industrie.

1 In den USA der sog. McCarthy-Ära muss von einer Säuberungswelle durch das «Komitee für unamerikanische Umtriebe» gesprochen werden. Keine Prozesse, sondern Befragungen, die vom TV übertragen wurden. Wer nicht überzeugend vom Kommunismus abschwor, würde nie mehr Arbeit finden.

Aus: aufbau 106