Günstiger Wohnraum in Winterthur bedroht

Die Winterthurer Stiftung für Kunst, Kultur und Geschichte (SKKG) plant, eine Milliarde Franken in ihre Liegenschaften zu investieren. Nicht nur für die Bewohner_innen und Benutzer_innen der Stefanini Liegenschaften, sondern für alle Winterthurer_innen wird dies weitreichende Konsequenzen haben.

(agw) Im Dezember 2018 ist der Milliardär, Kunstsammler und Immobilienbesitzer Bruno Stefanini verstorben. Nach einem langen Rechtsstreit, der bereits vier Jahre vor seinem Tod begann, wird die Stiftung nun von Bruno Stefaninis Tochter Bettina geführt. Sie präsentierte die für Winterthur einschneidenden «Renovationsoffensive» der SKKG im Januar. Sämtliche Immobilien Stefaninis, sowie die dafür zuständige Verwaltungsfirma wurden in Stiftungsbesitz überführt. Für die Bewohner_innen der gut 2100 Wohnungen ist dies eine schlechte Nachricht, denn Investitionen bedeuten höhere Mieten und höhere Mieten bedeuten für viele Vertreibung. Für Renovationen und Neubauten sind aktuell je 500 Millionen vorhergesehen. Den Bauunternehmen dürften bei diesen Aussichten das Wasser im Mund zusammenlaufen.

Kunstsammlung durchs Verlottern finanziert

Bruno Stefanini, in der Schweiz vor allem als Sammler von Kunstwerken und historischen Obskuritäten bekannt, finanzierte seine Leidenschaft durch die Mieteinnahmen der Bewohner_innen seiner Liegenschaften. Das Geschäftsmodell dahinter: Sanierungsbedürftige Häuser verlottern zu lassen und ohne Investitionen die Mieten einzukassieren. Obwohl Stefanini keineswegs ein Wohltäter war, führte diese Situation dazu, dass in der Stadt Winterthur günstiger Wohnraum wenigstens teilweise vorhanden blieb, auch wenn die Mieter_innen dafür auf einen gewissen Komfort verzichten mussten. In der Öffentlichkeit präsent sind vor allem die günstigen Wohnungen in der Winterthurer Altstadt, in welchen meist mit Holz geheizt wird und die Duschen in der Küche neben dem Kochherd stehen. Doch auch im Stadtteil Wülflingen an der Burgstrasse und in anderen Quartieren stehen zahlreiche Stefanini Wohnungen, die heute noch von Menschen mit kleinem oder gar keinem Einkommen bewohnt werden, darunter auch zahlreiche IV-/AHV- und Sozialhilfebezüger_innen.

Angesichts der sozialen Sprengkraft dieser Aufwertungspläne, ist die Imagekampagne und Charmeoffensive der SKKG keineswegs verwunderlich. Während die Verwaltungsfirma Terresta AG mit ihrem Slogan «faire Mieten» wirbt, faselt die steuerbefreite Stiftung SKKG, der die Terresta gehört, gerne von «sozialer Verantwortung» und «moderaten Mietzinsanpassungen». Währenddessen versucht sie, sich Verbündete im städtischen Umfeld zu erkaufen. So verteilte sie ungefragt 175’000 Franken an städtische Kultureinrichtungen und retteten beispielsweise das Kulturmagazin Coucou. Die Absicht dahinter ist klar: Die SKKG versucht, sich für ihre Pläne Goodwill zu erkaufen und sich als Wohltäterin darzustellen. Gleichzeitig betreibt sie eine auf Marktmieten fixierte Aufwertungsstrategie, welche letztlich soziale Vertreibung bedeutet.

Die Aufwertungspläne der SKKG kommen dann auch in einer Zeit, in der ohnehin kaum Wohnraum zur Verfügung steht. Der Leerstand an Wohnungen in Winterthur beträgt gerade einmal 0.41 %. Die Verteuerung von günstigem Wohnraum wird folglich nicht nur die Bewohner_innen der besagten Stefanini-Wohnungen hart treffen, sondern die Mietpreise in der Stadt allgemein hochtreiben.

Die Imagekampagne der SKKG und ihrer Verwaltungsfirma Terresta AG verfängt jedoch tatsächlich. Von Seiten der parlamentarischen Politik in Winterthur gibt es kaum kritische Stimmen. Und auch die Bewohner_innen der Liegenschaften, gerade jene in der Winterthurer Altstadt, begrüssen zum Teil die Aufwertungspläne ihrer Verwaltung. Wer vor vielen Jahren als Student_in eingezogen ist und damals auf eine verhältnismässig günstige Miete angewiesen war, verdient heute wohl ein Mehrfaches. So freut man sich nun eher über die Aussicht auf eine Dusche im eigenen Badezimmer statt in der Küche, ohne dass eine Mietpreiserhöhung tatsächlich eine Bedrohung darstellen würde.

Nichtsdestotrotz ist die Vertreibung der Bewohner_innen real. Doch in der Winterthurer Altstadt wurde die Vertreibung der arbeitenden und prekarisierten Klassen bereits weitgehend vollzogen. Für uns heisst das, dass wir den Fokus von den auch in den bürgerlichen Medien präsenten Altstadtwohnungen hin zu anderen Liegenschaften in den Quartieren verschieben müssen.

Besetzungen droht Räumung

Neben den zahlreichen Mieter_innen von Stefanini-Liegenschaften sind aber auch alle besetzten Häuser in Winterthur mittelfristig räumungsbedroht, da sämtliche Besetzungen in der Stadt Liegenschaften der Terresta AG betreffen. Einerseits heisst dies für uns, dass die Wohnorte unserer Freund_innen und Genoss_innen bedroht werden, andererseits stellt dies auch ein Angriff auf die politischen und unkommerziellen Orte in Winterthur dar.

Die Absicht der Terresta AG, die Bewohner_innen der besetzten Häuser schon bald auf die Strasse zu stellen, zeigte sich in ihrem Versuch, mit den Bewohner_innen der besetzten Häusern unsichere Gebrauchsleiheverträge mit sehr kurzen Laufzeiten abzuschliessen. Denn geht es nach der Terresta AG, sollen die Häuser schon sehr bald geräumt und abgerissen oder saniert werden – am liebsten unbemerkt von Anwohner_innen und Öffentlichkeit. Die Häuservernetzung Winterthur, die sich für den Erhalt des selbstverwalteten Wohnraums einsetzt, fordert hingegen, dass die Terresta AG den selbstverwalteten Wohnraum in eine kollektive Besitzstruktur überführt.

Die Widerstandsformen von unten gegen die Stadtaufwertung von oben sind vielfältig. Veranstaltungen, Infostände, Demos, Sprays, wildes Plakatieren und Besetzungen sind Ausdruck von verschiedenen Kämpfen, die im öffentlichen Raum und auf der Strasse, zusammenlaufen. In einem zweiten Teil soll auf den Widerstand und die personellen Veränderungen innerhalb der SKKG in einem Interview mit der Häuservernetzung Winterthur eingegangen werden.

Mehr infos unter:

Häuservernetzung Winterthur:

wohnraumverteidigen.noblogs.org

Interessengemeinschaft der BewohnerInnen und BenutzerInnen der Stefanini Liegenschaften:

igbbsl.wordpress.com