ZH: Farbe gegen kantonale Sicherheitsdirektion

In der Nacht auf den 12.11.2021 haben wir der Zürcher Sicherheitsdirektion einen neuen Anstrich verpasst. Diese Aktion versteht sich als Akt der Solidarität mit unserer Genossin Andi, die nächste Woche vor das Bundesstrafgericht in Bellinzona muss.

Die Anklage bezieht sich zum einen Teil auf Demonstrationen während der ersten Covid-Phase im Frühjahr 2020. Sie ist damit Ausdruck einer allgemeinen Strategie des Staats angesichts einer Krisensituation, die sich im Besonderen auch gegen jene richtet, welche aus einer revolutionären Perspektive agitieren und agieren. Der zweite Teil der Anklage betrifft einen Angriff gegen das türkische Generalkonsulat in Zürich, in Solidarität mit der kämpfenden türkisch-kurdischen Linken und gegen den türkischen Faschismus.

Schauen wir zurück: Anfangs Covid-Pandemie zeigt der Klassenstaat sein ganzes historisches Klassenbewusstsein: Angesichts einer sich anbahnenden Pandemie, welche das Potenzial für weitgehende geselllschaftliche Verwerfungen hat und auf eine andauernde und umfassende kapitalistische Krise trifft, bereitet sich der Staat auf die kommenden möglichen Konfrontationen vor. Es folgt eine Konzentration der Entscheidungen bei der Exekutive und die Einrichtung verschiedener Krisenstäbe, die diese Entscheidungen entwickeln, umsetzen und überprüfen, sowie die Bindeglieder zwischen der kantonalen und föderalen Ebene bilden. Stets zuvorderst präsent sind darin die organisierten Gewaltinstanzen des Staats wie Militär und Polizei und stets ist der Nachrichtendienst in irgendeiner Form eingebunden, der die strategische Analyse der Situation zu liefern versucht.

Im Kanton Zürich wird dieser Krisenstab in der Sicherheitsdirektion von Mario Fehr eingerichtet, dem parteilosen Sozialdemokraten. Verantwortlich dafür zeichnet Bruno Keller, der als Kommandant bei der Kantonspolizei Zürich in zahlreichen vergangenen Einsätzen (darunter jeweils am World Economic Forum in Davos) viel Erfahrung sammelte. Ähnliche Strukturen werden in den anderen Kantonen eingerichtet, ein Strang, über den man sich austauscht, ist dabei die KKJPD, welche als Instanz stets mit Blick auf die präventive Aufstandsbekämpfung in dieser ersten Phase der Pandemie immer wieder entsprechende Vorschläge (wie bspw. die Einschränkung und Kontrolle des öffentlichen Raums) medial lanciert.

Diese Realität erstaunt uns wenig. Genau wie wir, wissen die bewussteren Teile im Staat durchaus um den labilen Charakter ihrer Gesellschaftsordnung. Diese Ordnung, die eigentlich eine Unordnung ist, insofern sie die gesamte Gesellschaft, ihre Bedürfnisse und ihre produktive Kraft den Interessen einiger weniger Monopole unterordnet. Der Staat hat viele Aufgaben, im Wesen aber ist seine Aufgabe die Absicherung dieser kopfstehenden Gesellschaftsordnung. Gerade der Schweizer Klassenstaat kann sich dafür neben seiner Polizei und Justiz eines breiten und gestaffelten Arsenals bedienen. Mächtige PartnerInnen, von den Medien bis zu den Gewerkschaftsführungen, eine über Jahrhunderte gefestigte ideologische Basis von Patriarchat und nationalem Chauvinismus, ein parlamentarischer Betrieb mit all seiner Integrationskraft, gut gefüllte Kassen der sozialen Abfederung, etc etc. Mittels all dieser Vermittlungsorgane schafft es die Schweizer Bourgeosie ihre eigenen Interessen als jene der Gesamtgesellschaft zu verkaufen und der Blick auf den Staat als Klassenstaat wird neblig.

Doch die Hegemonie des bürgerlichen Staates ist nicht naturgegeben. Auch nicht in der Schweiz. Schon seit Jahrzehnten stockt der Motor der kapitalistischen Mehrwertproduktion, Kriseneinbrüche von systemischer Tragweite sind an der Tagesornung, ebenso wie blutig geführte Konkurrenzkämpfe zwischen den nationalen Bourgeosien, und an vielen Orten der Welt versuchen Aufstände und Revolutionen die imperialistische Logik zu brechen. Viele der geo- und sozialpolitischen Gewissheiten der letzten Jahrzehnten lösen sich in jüngster Vergangenheit in Luft (leider oft eher: in Krieg und Barbarei) auf und mit ihnen erodiert die Legitimität der bürgerlichen Herrschaftsapparate. In Krisen wi der Klimakatastrophe oder eben der Covid-Pandemie schafft es auch der Schweizer Staat immer weniger seinen Klassencharakter zu kaschieren: Zu offen steht das Interesse der Gesellschaft nach Leben und Gesundheit im Widerspruch zum Profit-Interesse der KapitalistInnen-Klasse.

Es macht also durchaus Sinn, dass die Herrschenden in Krisenzeiten ihren Repressionsapparat ausbauen. Die partielle Aussetzung bürgerlich-demokratischer Kontrollinstanzen und Gesetze, die Errichtung von Krisenstäben unter polizeilicher und nachrichtendienstlicher Führung sowie der Versuch revolutionäre Perspektiven in Polizeikesseln zu ersticken entstammen allesamt der Angst des Staates vor dem Wegbrechen seiner übrigen Vermittlungskategorien.

Aus dem hier Gesagten lassen sich aber nicht nur die Handlungen des bürgerlichen Staates und seiner Institutionen in der gegenwärtigen Krise begreifen. Für uns viel zentraler noch ist, was daraus an Aufgaben für Linke folgt, nämlich dass es gilt den Kampf für eine revolutionäre Überwindung des Kapitalismus gerade in diesen historischen Krisen-Perioden mit grösster Klarheit und Hingabe zu führen. Angesichts grosser Unsicherheiten wie es weitergeht und angesichts reaktionärer Massenmobilisierungen, die sich diese zunutzen machen können, ist es manchmal gar nicht so einfach sich der Versuchung zu widersetzen eine abwartende Kauerstellung einzunehmen.

Im Gegenteil aber muss uns die Angst des Bürgertums eine Motivationsquelle sein! Mit seinen Wasserwerfern, Gerichten und Krisenstäben versucht der bürgerliche Staat ein Bild der Stärke zu vermitteln, wo tatsächlich Schwäche ist, nämlich der (reale und potentielle) Verlust seiner gesellschaftlichen Legitimität. In dieser Situation ist es wichtiger denn je die Autorität des Staates weiter und forciert und nicht zuletzt mit militanten Mitteln anzugreifen. Nicht nur in dem wir dem ausgedienten Kapitalismus laut unsere revolutionären Perspektiven entgegensetzen, sondern auch in dem wir diesen nur noch löchrig kaschierten Klassenstaat zwingen seinen Charakter weiter zu entblössen. Nur der unbedingte Bruch mit dem Staat der Herrschenden eröffnet uns Wege nach vorne.

Nutzen wir den Prozess gegen Andi – einer Genossin, die mit ihrem ganzen Leben für diesen Bruch steht – um den Spiess umzudrehen: Nicht wir müssen uns verteidigen sondern der Staat der AusbeuterInnen muss sich verteidigen. Er muss sich verteidigen gegen den Lauf der Zeit, der ihn zunehmend in die Defensive rückt. Nutzen wir seine Defensive deren Ausdruck dieser Prozess in Bellinzona ist, um selber als revolutionäre Bewegung in die Offensive zu kommen!

Solidarität mit Andi – dem Kapitalismus den Prozess machen!

https://barrikade.info/article/4838