Anlässlich ihres laufenden Prozesses vor dem Bundesstrafgericht reden wir mit Andi über den Kontext der Anklagepunkte, die präventive politische Repression in der Schweiz und wie Kontinuität im Kampf für eine revolutionäre Veränderung aussehen kann.
Du wirst wiedereinmal vor die Schranken der Klassenjustiz gezerrt. In Bellinzona vor dem Bundesstrafgericht, dem höchsten Gericht in der Schweiz, warst du ja auch schon. Schon allein darin könnte man eine gewisse Kontinuität erkennen.
Ja, das ist richtig. Wenn man eine revolutionäre Positionierung zu entwickeln versucht, dann gehört das natürlich mit dazu, dass man mit dem Gegner in Konflikt kommt. Wenn man diesen Weg zur Positionierung als langen Prozess versteht und die Kontinuität deshalb darin einen hohen Stellenwert hat – der revolutionäre Aufbau wird nächstes Jahr 30 Jahre alt, die Rote Hilfe International beging letztes Jahr ihr zwanzigstes Jubiläum -, dann gehört mit dazu, dass dies immer wieder geschieht. Der Gegner greift dabei auf das zurück, was er kennt, nämlich auf Repression und Spaltung und Einknastung. Das ist nichts Neues und vielmehr Ausdruck der Qualität der zugespitzten Widersprüche und Krisen innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft.
Die zwei verschiedenen Themen der Anklage, der Angriff auf das türkische Generalkonsulat in Zürich und die Demonstrationen während des Covid Lockdowns haben auf den ersten Blick nicht viel gemeinsam. Oder haben sie es trotzdem?
Sie haben es durchaus. Beide sind Ausdruck der historischen Phase, in der wir uns gerade befinden. Es ist nicht erstaunlich, dass dieser Prozess stattfindet, weil der türkische Staat seine Interessen mit Nachdruck durchgesetzt hat und sich die Schweizer Justiz seinem Diktat unterwirft. Schaut man in den Nahen Osten, oder in die zunehmenden imperialistischen Kriegs- und Krisenfronten, dann ist man nicht erstaunt. Überall da, wo kritische, klassenkämpferische und revolutionäre Kräfte sich dem türkischen Faschismus entgegenstellen und für das fortschrittliche Projekt Rojava und dem Kampf der Guerilla in den Bergen eintreten, wird von Kriminalisierung bis hin zu Todeslisten darauf reagiert. Tritt der bürgerliche Staat in eine politische Krise, reagiert auch er immer mit verschiedenen repressiven Mitteln. Das findet zur Zeit auch in anderen Krisen- und Kriegsregionen statt. In diesem Sinne befinden wir uns international in bester Gesellschaft.
Bleiben wir noch einen Moment bei der Türkei. Die Komplizenschaft der Schweiz läuft ja nicht nur auf juristischer Ebene…
Ja, denn ein Krieg wie ihn die Türkei gegen Rojava führt ist ohne vielfältige Unterstützung und Billigung der NATO nicht zu führen. All die differenzierten kriegerischen Handlungen, die einzelnen Schritte von Drohnenangriffen, Luftraumüberwachung und so weiter können nur unter Mithilfe der kapitalistischen Politik stattfinden und die Wirtschaft mischt mit oder schweigt, weil sie profitiert. Der Kapitalismus existiert nicht einfach unabhängig neben dieser faschistischen Aggression, er ist fester Bestandteil davon. In Bezug auf die Schweiz ist es unter anderem, aber nicht nur die Chemie- und die Rüstungsindustrie welche schon lange mit der Türkei Geschäfte macht.
Dazu gab und gibt es ja auch in der Schweiz eine grosse Rojava-Solidaritätsbewegung, welche viele verschiedene auch ganz konkrete Aktionen gemacht hat.
Ja, es bewegt viele verschiedene Menschen aus ganz unterschiedlichen Zusammenhängen. Ein faschistischer Staat, der alles Fortschrittliche, egal ob im eigenen Land oder in der Region, bekämpft und mit Unterstützung aus der Schweiz Krieg führt gegen ein emanzipatorisches Projekt, das für viele weltweit eine revolutionäre Perspektive bietet. Antikapitalismus, Antifaschismus und direkte internationale Solidarität kommen hier zusammen. Anknüpfungspunkte für direkte Solidarität gibt es getreu der Parole „Bei jeder Schweinerei ist die Schweiz mit dabei“ also mehr als genug.
Kommen wir zum zweiten Zeitfenster der Anklage, dem Ausbruch der Pandemie in der Schweiz. Was passierte in dieser Zeit deiner Meinung nach?
Der Ausbruch der Corona Pandemie hier in Europa, also auch in der Schweiz, hat die Herrschenden überrascht. Die gesamte Gesellschaft wurde mit unvorstellbarer Wucht für einmal auch im Zentrum der kapitalistischen Bestie getroffen. Die pandemische Krise hat speziell die politischen Momente der bestehenden kapitalistischen Krise verschärft und eine Situation geschaffen, die sehr wohl eine historische Bedeutung annimmt.
Wie habt ihr auf diese Situation zu reagieren versucht?
Für uns war sehr schnell klar, dass sich die Frage nach der historischen Bedeutung stellt. Es kommt darauf an was das, je nach Antwort, für die klassenkämpferische und revolutionäre Politik zu bedeuten hat. Ein Eigenverantwortlicher und solidarischer Selbstschutz der Militanten und der ganzen Bewegung, um in dieser sich entwickelnden Krise möglichst prompt und geschützt eine offensive, initiative Politik betreiben zu können: Das war und ist für uns zentral. Nur wer Teil der gesellschaftlichen Dynamiken ist, kann wirklich verstehen und analysieren, was passiert. Das heisst sich die Strasse nehmen, fassbar sein, statt in Isolation gedrängt zu verharren. Sich neue Räume anzueignen um kollektive Prozesse zu stärken. Wir müssen lernen, uns in dieser speziellen Situation neue Wege und Methoden anzueignen. Natürlich immer die Solidarität und den gesundheitlichen Schutz der Menschen im Auge behaltend.
Nach welchen Maximen versucht das Kapital und der bürgerliche Staat diese Krise zu lösen?
Dort dominieren Profit, Konkurrenz und Macht. Der Abbau und die Privatisierung des Gesundheitssystems sind ein gutes Beispiel dafür. Ein weiteres Beispiel für diesen Zynismus: Auf der einen Seite der Zwang zum Impfen, auf der anderen Seite werden Menschen in prekären Situationen (beispielsweise Flüchtlinge) zusammengepfercht, von der Gesellschaft isoliert und in ihren Rechten noch stärker eingeschränkt. Der Staat delegitimiert sich selbst, lebt vor, dass man die Schwächsten opfern kann und wundert sich dann, wenn dieser Zynismus reaktionäre bis hin zu faschistischen Kräften die Gunst der Stunde wittern lässt.
Wundert dich das?
Nein, an sich ganz und gar nicht. Denn wir gehen davon aus, dass der bürgerliche Staat mit seinen kapitalistischen Prinzipien und Freiheitsbegriffen gar nicht in der Lage sein kann, diese Krise anders in den Griff zu kriegen, als er es jetzt eben versucht: Profitorientiert, autoritär, Klassenspaltend. Der bürgerliche Freiheitsbegriff beinhaltet und bejubelt den Individualismus als höchsten Wert. Eine pandemische Krise ist aber damit nicht lösbar, im Gegenteil. Der Staat begegnet in der Krise diesem Individualismus autoritär, die Menschen entwickeln Wut und Empörung, gehen auf die Strasse.
Was können wir dem aus linker und revolutionärer Perspektive entgegenhalten?
Unsere grundsätzliche Staatskritik schwächt sich nicht ab in der Krise, sie sollte im Gegenteil noch klarer fassbar und sichtbar sein. Wenn wir eine Gesellschaft aufbauen wollen, die alle schützt, dann müssen wir das selbst in die Hand nehmen. Wir können nicht auf einen Staat vertrauen, der von oben herab Massnahmen im Sinne der Wirtschaft und Macht erlässt. Im Sozialismus gibt es, unter anderem sehr wohl Werte, die kollektive Solidarität und Verantwortung beinhalten – das sehen wir zum Beispiel im gesellschaftlichen Umgang mit der Pandemie in Kuba. Überall dort auf der Welt, wo die Interessen und der Schutz des schwächsten Glieds in der Gesellschaft im Zentrum stehen.
Also der Mensch und nicht der Profit und die Ausbeutung. Wo die schwächeren Länder und Kontinente solidarisch von den reicheren Zentren getragen werden. Keine Klassenjustiz kann den Kampf um eine revolutionäre Perspektive aufhalten!
Fight4Rojava – united in the resistance – smash fascism and capitalism