Im Januar hätte das World Economic Forum (WEF) wieder in Davos getagt. Auch wenn es verschoben wurde, so verweist deren Agenda auf zentrale Probleme des kapitalistischen Weltsystems und den Versuch der Herrschenden, mit diesen umzugehen.
Krisen überall – ein Zusammenhang
Die Krisenhaftigkeit des Kapitalismus äussert sich nicht nur global an verschiedenen Wider- sprüchen, sondern hat immer mehr seinen Ausgang im allgemeinen Bewusstsein der Menschen gefunden. Dabei pendelt der Zeitgeist zwischen Resignation, Zynismus und Irrationalität und konformistischer oder progressiver Rebellion und Hoffnung.
Dass der Kapitalismus zum Ende der Geschichte wird, wenn wir den Kapitalismus nicht zu Ende bringen, zeigt sich momentan am deutlichsten in der Klimakrise, der Pandemie oder der gefährlichen Zuspitzung imperialistischer Tendenzen. Diese sind keine Einzelphänomene, sondern Ausdruck einer kapitalistischen Weltgesellschaft, die zur Bedrohung für die Mensch- heit wird. Die Basis dieser Krisenenetwicklungen ist letzlich immer, dass unsere Welt- gesellschaft schon längst arbeitsteilig, vernetzt und kollektiv funktioniert. Wir produzieren den gesamten Reichtum gemeinsam. Gleichzeitig liegt die Bestimmung über diese kollektive Kraft bei einer immer kleiner werdenden Minderheit von Kapitalist_innen, die den gesellschaftlichen Reichtum privatisiert. Und diese Minderheit kann sich im Kapitalismus nur an einem orientieren: der Vermehrung von Kapital. Deshalb gleicht der Kampf der reichen Länder gegen COVID einem Kampf gegen Windmühlen. In einer globalisierten Gesellschaft sind eine profit- orientierte Pharmaindustrie und konkurrenzbasierte nationale Gesundheitspolitiken Pandemietreiber. Deshalb kommen wir seit Jahrzehnten keinen Schritt voran in der Klimakrise, weil die Probleme aller unteren Klassen auf dem Planeten nie die gleichen Probleme sind, wie die der wenigen Kapitalist_innen. Und deshalb treiben die Nationalstaaten trotz aller historischen Erfahrungen wieder auf Nationalismus zu und wir stehen im «Westen» heute wieder vor der imperialistischen ideologischen und militärischen Mobilmachung gegen den «Osten».
WEF: «Vertrauen wiederaufbauen»
Und diese fundamentalen Widersprüche im Kapitalismus äussern sich auf diffuse Weise im all- täglichen Bewusstsein vieler – und dies hierzulande resignativ und reaktionär. Deshalb stehen die Bourgeoisien in so vielen Ländern vor einer Legitimationskrise. Was sie predigen, wird schon lange nicht mehr geschluckt. Den Herrschenden gleitet die Kontrolle aus den Händen. Und dieser Kontrollverlust ist und war schon immer die Grundmotivation des WEF in Davos. Dort solle das unter den Eliten gekittet werden, was sonst auseinanderbricht. Am WEF finden keine teuflischen Verschwörungen statt und keine Allmacht setzt hier seine diabolischen Pläne um. Dort passiert, was Kapitalist_innen und Herrschende im Kapitalismus tun müssen – ihre Ausbeutungs- und Unterdrückungsinteressen untereinander so in Einklang zu bringen, dass der ganze kapitalistische Laden nicht auseinanderbricht. Und weil die Herrschenden genug Herrschaftswissen(schaft) haben, wissen sie auch, dass das nicht geht ohne eine minimale Zu- stimmung und Legitimation von uns Ausgebeuteten und Unterdrückten. Deshalb lautet das diesjährige Motto des WEF ja auch «zusammen zu arbeiten und Vertrauen wiederaufzubauen».
Einbindung und Instrumentalisierung bekämpfen
Gegen aussen geht es dem WEF immer darum, Wege zu finden, uns Ausbeutung und Unter- drückung ideologisch besser zu verkaufen – aktuell möglichst ökologisch, sozial verträglich und intersektional. Am WEF zeigt sich die Elite deshalb eben gerade nicht von ihrer reaktionärsten Seite, sondern von ihrer netten. Insofern erfüllt das WEF dieselbe Integrations- funktion, wie Liberalismus und Sozialdemokratie seit Jahrzehnten. Alles wird pluralistisch irgendwie diskutierbar sein, solange klar ist, dass die Herrschenden eben die Zügel in der Hand
haben und solange nichts die kapitalistischen Grundlagen real in Frage stellt. Wo es möglich ist, werden einzelne soziale Anliegen in eine innovative Zukunftsvision für den Kapitalismus integriert. Vielleicht fliegen die nächsten phallischen Raketen von Multimilliardären bald mit sehr diverser Besatzung in den Weltraum, vielleicht verpflichtet sich die NATO und QUAD auf ökologisch signifikant besser abbaubare Waffengattungen in ihrer militaristischen Aufrüstung in Asien und der Ukraine. Und natürlich werden Menschenrechte und demokratische Grund- prinzipien ganz wichtige Argumente sein, wenn «unser» Imperialismus die nächsten Bomben wirft.
Linke Werte wieder mit einer Perspektive verbinden
Diese Verlogenheit der herrschenden Zustände führt zu Zynismus, wenn es uns nicht gelingt, eine echte gesellschaftliche Alternative fassbar zu machen. Dieser Zynismus ist das Ergebnis einer jahrzehntelangen neoliberalen Strategie. Im ersten Schritt wurde in den 70er Jahren zuerst der materielle Ausdruck von Solidarität und Gegenmacht – nämlich die organisierte Arbeiter_innenbewegung – zerstört. Und dann wurden mit dem sozialdemokratischen Neo- liberalismus emanzipatorische Werte und Ideen für den Klassenkampf von oben und für imperialistische Kriege missbraucht. Damit das richtige Misstrauen in den Herrschenden nicht in reaktionären Zynismus kippt, braucht es wieder fassbare linke gesellschaftliche Alternativen, die es ernst meinen mit der Befreiung aller Unterdrückten und Ausgebeuteten. Es braucht eine revolutionäre Linke, die sich nicht mit der Einbindung von Partikularinteressen abspeisen lässt, die sich nicht mit dem Staat arrangiert, die glaubhaft und sinnlich spürbar am Wohl proletarischer Menschen interessiert ist und die praktische Solidarität in ihrem Einflussgebiet nicht unabhängig vom Blick auf globale Krisenprozesse entwickelt.
Die Zukunft in die eigenen Hände nehmen!
Das heisst auch, dass die revolutionäre Linke sich in einen grösseren globalen und historischen Bezugsrahmen setzt. Die historischen Erfahrungen zeigen, dass es in der Zuspitzung imperialistischer Konflikte die zentrale Aufgabe revolutionärer Kräfte war, Burgfriedenpolitik und die Unterordnung unter die «eigene» nationale Bourgeoisie zu bekämpfen und für eine eigenständige Politik von unten nach oben und in internationaler Solidarität zu kämpfen. Wenn wir nicht diese Kraft sind, die einen radikalen Bruch mit «unserem» Staat und «unserem» Imperialismus propagiert, ist es nicht verwunderlich, dass reaktionäre Kräfte sich in der Bewegung der Massnahmenkritiker_innen aufbauen können. Denn es waren ja gerade die reaktionären «Friedensmahnwachen» und Montagsdemos 2014 gegen den Krieg in der Ukraine, die als Vorboten der aktuellen konformistischen Rebellion wirkten.
Auch in der Schweiz sind wir konfrontiert sein mit einer ideologischen Aufrüstung für die imperialistischen Auseinandersetzungen der NATO und QUAD (Quadliteral Security Dialog zwischen USA, Indien, Japan und Australien) gegen Russland und China. Und diese ideo- logische Aufrüstung wird sich des ganzen liberalen und reaktionären Argumentationsarsenals bedienen, das wir schon kennen. Die Linke muss es deshalb schaffen, ihre Werte von Solidarität, Befreiung und Emanzipation so fassbar zu machen, dass sie unmissverständlich gegen Kapital und Staat gerichtet sind und nicht als Feigenblatt etwelcher Kriegsinteressen missbraucht werden können. Linke Werte müssen wieder selbstbewusst zu einer Orientierung werden, die nicht von den Herrschenden für antiproletarische oder nationalistisch-kriegerische Zwecke instrumentalisiert werden können. Die negativen Auswirkungen der jahrzehntelangen liberalen, sozialdemokratischen und grünen Spar- und Kriegspolitik auf die Linke sind enorm und haben emanzipatorische Werte korrumpiert. Es liegt an uns, linke Werte wieder mit Klassenkampf und revolutionärere Alternativ zu verknüpfen.
Für den Kommunismus! aufbau.org