Prozesserklärung und Flugblatt (+ Update: Freispruch)

+++ Update zum Prozess +++

+++ Prozesserklärung +++

Kämpfen lohnt sich – Errungenschaften gegen reaktionäre Angriffe verteidigen. Erklärung zum Prozess vom 15. Februar 2022 («Marsch für’s Läbe» 2019)

Das Recht auf Abtreibung ist eine der vielen Errungenschaften der Frauenbewegung. Seit Anfang des 20. Jahrhunderts kämpfen Frauen in Europa und der ganzen Welt darum, eine Abtreibung vornehmen zu können, ohne dafür bestraft zu werden. Die Kämpfe mündeten in der Schweiz 2002 in der Fristenregelung, welche bis zur 12. Schwangerschaftswoche einen selbstbestimmten und straffreien Schwangerschaftsabbruch erlaubt. Doch nicht nur die Kämpfe für das Recht auf Abtreibung haben eine lange Geschichte, sondern auch die Angriffe auf diese Errungenschaft vonseiten reaktionären und fundamental-christlichen Kräften des «Marsch für’s Läbe». Diese inszenieren sich als Lebensschützer_innen, vertreten aber nichts anderes als erzreaktionäre und patriarchale Geschlechterpolitik. Sie wollen es den Frauen absprechen, selbstbestimmt über eine Mutterschaft entscheiden zu können, denn Frauen sollen sich der ihnen von Gott zugedachten Rolle als fürsorgliche Mutter unterordnen. Die gottgewollte Rolle der Frau spielt in Ehe und Familie, mit dem Mann als deren Oberhaupt. Die Männer werden in die Rolle des Ernährers gedrängt; die klassische Aufteilung in bezahlte Produktions- und unbezahlte Reproduktionsarbeit wird zementiert.

Diese Angriffe finden nicht nur auf der Strasse statt, auch im Parlament wird gegen unsere Errungenschaften vorgegangen. So lancierte die SVP kürzlich zwei Initiativen, welche das Recht auf Abtreibung beschränken sollen. Die erste will vor jeder Abtreibung einen Tag Bedenkzeit zur Pflicht machen und somit den Frauen diese eh schon schwere Entscheidung noch mehr erschweren. Dadurch glauben die Initiant_innen zehn Prozent der jährlichen Abtreibungen, der Zahl nach an die tausend, verhindern zu können. Die zweite Initiative zielt darauf ab, auch Schwangerschaftsabbrüche nach der 12. Schwangerschaftswoche, welche mit der heutigen Gesetzgebung legal sind, zu kriminalisieren. Gründe für legale Spätabtreibungen sind beispielsweise die Gefährdung des Lebens der Mutter, eine seelische Notlage oder eine Behinderung des Fötus.

Dass eine Frau in die Situation kommt, ein Kind nicht haben zu wollen oder zu können, kam schon immer vor und wird auch in Zukunft immer vorkommen. Ein Abtreibungsverbot, wie es der «Marsch für’s Läbe» fordert, verhindert Abtreibungen nicht, sondern es kriminalisiert sie. Die Folgen sind Pfuscherei, Selbstabtreibungen, Ärzte die sich auf Kosten der Schwangeren bereichern, Zwangsgeburten und massiver finanzieller und moralischer Druck auf die Betroffenen. Das Recht auf Abtreibung ist also nicht nur ein wichtiges Moment der weiblichen Selbstbestimmung; die Möglichkeit von medizinisch seriösen Schwangerschaftsabbrüchen und ideologiefreier Beratung bedeutet auch einen Schutz der körperlichen und psychischen Gesundheit von Frauen.

Wohin der Weg führen kann, wenn die rechten Fundamentalisten freien Lauf haben, wird am Beispiel von vielen Ländern der Welt deutlich. In Polen und in vielen Bundesstaaten der USA ist das Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch in grosser Gefahr oder bereits beschnitten. Ein besonders krasses Beispiel ist El Salvador. Dort gilt ein totales Abtreibungsverbot. Das heisst, dass jede Schwangerschaft ausgetragen werden muss,

auch wenn die körperlichen und psychischen Folgen verheerend sind. Wenn das Leben einer Frau durch die Schwangerschaft bedroht ist, steht sie vor der Entscheidung eine illegale Abtreibung durchzuführen und damit eine jahrzehntelange Haftstrafe zu riskieren, oder sie riskiert ihren eigenen Tod, wenn sie dies nicht tut. Wenn Frauen eine Fehlgeburt erleiden, werden sie wegen schwerwiegenden Mordes verurteilt und erhalten Haftstrafen von bis zu 40 Jahren. Wenn Mädchen vergewaltigt und dadurch schwanger werden, sind sie gezwungen, die Schwangerschaft auszutragen.

Diese Realität zeigt, dass mit einem Abtreibungsverbot keinesfalls Leben geschützt werden, im Gegenteil: Es führt zum Tod hunderter Frauen und Mädchen. Sie müssen sich heimlichen, gefährlichen Abtreibungen unterziehen oder sind gezwungen, gesundheitsgefährdende Schwangerschaften auszutragen. Oder aber sie werden wegen Mordes zu jahrzehntelangen Haftstrafen verurteilt. Dass diese Praxis hauptsächlich proletarische Frauen betrifft, liegt auf der Hand. Denn diese haben keine Möglichkeit, ins Ausland zu reisen um dort einen Schwangerschaftsabbruch auf legale und sichere Weise durchführen zu können oder sich im eigenen Land in teuren Privatkliniken behandeln zu lassen, welche sichere Abtreibungen durchführen und die Frauen nicht denunzieren.

Das Erstarken der rechtsklerikalen Kräfte ist kein Zufall. Es ist Teil des derzeitigen Rechtsruck, welcher Ausdruck der kapitalistischen Krise ist. Rassismus und Sexismus sind auf dem Vormarsch, emanzipatorische Positionen geraten in Bedrängnis. Dabei gewannen in den letzten Monaten auch Neonazis immer mehr an Boden. Diese Tendenzen gilt es ernst zu nehmen und im Keim zu ersticken.

Dass Kämpfen sich lohnt, zeigt sich anhand der Geschichte des Widerstands gegen den «Marsch für’s Läbe» in der Schweiz. Dank der massiven Gegenproteste, welche Jahr für Jahr stattfinden, wird es für die rechten Christen immer schwieriger, ihre frauen- und menschenverachtende Propaganda zu verbreiten. Die breiten Gegenproteste nehmen ihnen die Öffentlichkeit, so dass sie nur noch an abgelegenen Orten oder gar nicht mehr marschieren können. Dabei sind die verschiedensten Mittel, die darauf abzielen, ihnen die Plattform zu nehmen und sie zu verjagen, nicht nur wichtig und richtig, sondern eben genau notwendig. Den Versuch des Staates, die Bewegung zu schwächen, indem er sie in friedlich und militant spaltet, darf nicht zugelassen werden.

Vieles haben unsere Genossinnen und Genossen schon erreicht, vieles mehr muss die Frauenbewegung noch erkämpfen. Dass sie sich dabei nicht auf den Staat verlassen kann, wird gerade am heutigen Prozess einmal mehr sichtbar. Wir kriegen nichts geschenkt, wir kriegen nur das, was wir mit geeinter Stärke erkämpfen.

Es gilt, emanzipatorische und feministische Kämpfe zu verbinden. Deshalb: Heraus zum 8. März!

+++ Flugblatt zum Prozess +++

Kämpfen lohnt sich!

Am Dienstag, 15.2.22, steht eine Genossin vor Gericht. Sie wird angeklagt, weil sie Teil der breiten Proteste gewesen sein soll, die im Herbst 2019 den “Marsch fürs Läbe” in Zürich in seiner Marschroute empfindlich störten. Viele kamen damals zusammen, um gemeinsam ein klares Zeichen zu setzen: Kein Fussbreit den Fundamentalist_innen, kein Fussbreit jenen, die die Errungenschaften der Frauenbewegung angreifen, kein Fussbreit denen, die am liebsten das Rad der Zeit zurückdrehen würden. Sie wollen vieles davon rückgängig machen, was in vergangenen Jahrzehnten hart erkämpft wurde, darunter etwa das Recht auf Abtreibung – wir sagen klar: Nicht mit uns! Aus dieser Haltung speist sich der breite Protest gegen ihren Marsch, der an dem Tag dafür sorgte, dass sie sich nur auf einer arg verkürzten Route unter konstantem Polizeischutz bewegen konnten. Ein Erfolg, weil es ihre Mobilisierungsfähigkeit schmälert, weil es ihnen erschwert, ihre re- aktionäre Propaganda auf die Strassen zu bringen, weil es – kurz und knapp gesagt – den versuchten rechten Vormarsch in die Schranken weist.

Rechte Angriffe abwehren!

Seit zehn Jahren versucht der “Marsch fürs Läbe” auf der Strasse voranzukommen,
seit zehn Jahren tun wir unser Möglichstes, um das zu verhindern. Das ist wichtig und richtig. Dieser Marsch ist dabei kein isoliertes Phänomen. Insbesondere nicht, wenn
wir die Entwicklungen der vergangenen Jahren und Monate betrachten, in denen als Ausdruck der kapitalistischen Krise – zugespitzt durch die wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Auswirkungen der Covid-Pandemie – die rechte Mobilisierung zunimmt. Faschistische Gruppen bewegen sich in den Demonstrationen und Strukturen der Covid-Massnahme-Gegner_innen, verbreiten braune Hetze und versuchen – wie jüngst in Bern – sich an die Spitze dieser Bewegung zu stellen. Es ist wichtig zu ver- stehen, dass diese Entwicklungen nicht aus dem Nichts kommen, sondern eine Art bürgerlicher Reflex zur Krisenbewältigung ist, welcher scheinbar radikal ist, in Realität aber in weit zugespitzer Form eine individualistische Ideologie repräsentiert. Diese kann keine kollektiv-progressive Antwort auf die Krise sein, sie reproduziert Kapitalismus in verschärfter Form statt ihn zu zerschlagen.

Solidarität!

Umso wichtiger, dass wir angesichts dieser rechten Bemühungen zusammenkommen, und uns im Rahmen antifaschistischer Fronten so aufstellen, dass wir ihnen entgegen- treten können – auf allen Ebenen. Wir vertrauen und bauen dabei auf die eigenen Kräfte, auf die Antifaschist_innen weltweit. Gerade jetzt, wo eine Genossin vor Gericht gezerrt wird, gilt es eindeutig festzuhalten, dass der bürgerliche Staat in diesem Ansinnen kein Partner ist. Im Gegenteil, angesichts der Tatsache, dass ein konsequenter Antifaschis- mus an den Stützen des Kapitalismus rütteln muss, verfolgt dieser Staat jene, die sich den Rechten und ihm entgegenstellen – erinnert sei an die Basel-Nazifrei-Prozesse. Angesichts dessen ist die Solidarität, dieses zärtliche und zähe Band des Zusammen- rückens und -stehens, eine der wesentlichen Voraussetzungen im antikapitalistischen Kampf. Es mag einiges geben, das uns voneinander unterscheidet, aber so viel mehr, das uns im Kampf für eine revolutionäre Perspektive eint – darauf bauen wir, auf die So- lidarität als Ausdruck der Erkenntnis gemeinsamer Interessen, welche es zu verteidigen und umzusetzen gilt.