Interview: «Die Dringlichkeit der Revolution muss man verstehen, sie muss und wird passieren.»

Wir haben mit zwei revolutionären Klimastreikenden über die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Klimabewegung gesprochen. Was ist der Zustand der Bewegung, welche Strategien verfolgen sie und wie gehen sie mit Widersprüchen um?

(gpw) Wo verlaufen die Konfliktlinien zwischen dem revolutionären und dem reformistischen Flügel der Klimabewegung?

M: Die beiden Flügel mussten sich zuerst herauskristallisieren und tun dies immer noch. Zu Beginn war die Bewegung so heterogen, dass sie bis ins bürgerliche, liberale Lager hineinreichte und Leute von der GLP dabei waren. Diese sind mittlerweile aber nicht mehr präsent. Der links reformistische Teil hingegen ist immer noch sehr aktiv bzw. setzt alles auf die parlamentarische Karte. Diesen Flügel darf man auf keinen Fall unterschätzen. Durch Reibungsflächen und in den Auseinandersetzungen mit ihnen ist aber der Diskurs in Richtung eines anderen Gesellschaftsmodells vorangekommen. Das war wichtig. Dabei war es zentral, dass es innerhalb der Bewegung bereits Personen mit einem mehr oder weniger gefestigten revolutionären Bewusstsein und einer revolutionären Perspektive gab. Dadurch konnte man viele Leute für den revolutionären Flügel gewinnen. Insbesondere in der Romandie ist der revolutionäre Flügel stärker als der reformistische.

T: Die reformistischen Kräfte werden vor allem rund um Abstimmungen aktiv, wie letztes Jahr beim CO2-Gesetz. Sie scheitern daran, eine konkrete Strategie oder Perspektive für und über den Klimastreik hinaus formulieren zu können. Die Konstanz in der Bewegung kommt von uns, dem revolutionären Flügel. Die meisten Menschen verstehen, dass es in der Klimafrage um mehr geht als um einzelne, kleine Forderungen und Errungenschaften.

Eine Parole lautet «System Change not Climate Change». Gibt es eine Debatte darüber, was den «Change», den Wechsel ausmacht? Wohin will man?

T: Im Herbst 2020 hatten wir ein nationales Treffen wo solche strategischen Fragen diskutiert wurden. Im Vorfeld gab es schweizweit verschiedene Gruppen, die sich über Systemwandel und das Funktionieren des Kapitalismus, des fossilen Kapitalismus, ausgetauscht hatten. Da wurde auch darüber diskutiert, wie wir aus diesem mörderischen und ausbeuterischen System rauskommen. Am Ende konnte eine Linie definiert werden, die sich einer Intersektionalität verschrieb und zum anderen die konkrete Organisierung innerhalb des «Strike for Future»Zusammenschlusses ins Zentrum rückte – es wird keinen Wandel ohne Organisierung geben.

Eine der der drei Hauptforderungen des Klimastreiks neben Netto Null 2030 und Klimagerechtigkeit, ist diejenige nach der Ausrufung eines Klimanotstandes. Dies stellt eine konkrete Forderung an den Staat dar. Wie geht ihr mit dem Widerspruch zwischen dieser Forderung und eurer gleichzeitigen Bruchpositionen dem Staat gegenüber um?

T: Im erwähnten Strategiefindungsprozess sind diese Forderungen eigentlich überarbeitet worden und der Klimanotstand wurde gestrichen. Wir sind im Klimastreik in den verschiedenen Regionen der Schweiz leider gescheitert, die neu diskutieren Punkte zu implementieren. Dies hängt auch damit zusammen, dass die Diskussionen darüber mit der Abstimmung um das CO2-Gesetz zusammenfielen und diese Abstimmung viel Raum einnahm. Weiteren strategischen Fragen wurde dadurch weniger Gewicht beigemessen.

M: Man darf das auch nicht zu starr betrachten. Die drei Forderungen waren nicht von Anfang an da. Die Systemklausel, welche besagt, dass wenn diese drei Hauptforderungen in der gegenwärtigen kapitalistischen Produktionsweise nicht erfüllt werden, es einen Systemwechsel braucht, kam noch später hinzu. Ich denke, es ist sinnbildlich für die Bewegung, dass sie sich in Ungleichzeitigkeiten entwickelt. Die Forderung Klimanotstand war in der ersten Jahreshälfte 2019 zentral, als die Bewegung sehr stark war. In der Zwischenzeit ist diese Forderung in den Hintergrund getreten. Die anderen Forderungen haben deutlich an Gewicht gewonnen.

Wie ist Klassenzusammensetzung der Klimabewegung?

T: Zu Beginn waren es mehrheitlich Schüler_innen und Gymischüler_innen. Diese machen immer noch den Grossteil unserer Mobilisierungen aus. Was es immer auch schon gab sind Lernende, die sich einbrachten. In der Vergangenheit formierten sich zum Beispiel auch in Zürich «Workers for Future». Dieses Gefäss bietet eine Plattform für den Austausch zwischen Arbeiter_innen, Klimastreikenden und den Gewerkschaften. Durch den konkreten Kontakt gibt es mehr und mehr Arbeitende, die sich mit dem Klimastreik solidarisieren. Dies ist strategisch, gerade wenn es um dem «System Change» geht, von immenser Wichtigkeit. In der konkreten politischen Arbeit jedoch sind Schüler_innen und Studierende in der klaren Mehrheit.

Klima ist weltumspannend, so ist auch der Klimakampf international. Wie steht es um die internationale Vernetzung?

M: Die Klimagipfel der bürgerlichen Staaten sind international, umso wichtiger ist es uns, eine internationale Antwort darauf geben zu können. Das schaffen wir manchmal besser und manchmal schlechter.

T: Der Klimastreik formierte sich ursprünglich im Kontext der «Fridays for Future»-Proteste, einer globalen Bewegung mit Gruppen in vielen Ländern der Welt. Über die Jahre hat aber die interne Kritik an der europäisch dominierten und oft reformistisch geprägten FFF-Bewegung zugenommen. Zudem ist es schwierig, eine weltumfassende Bewegung zu koordinieren. Trotzdem halten wir den Kontakt aufrecht und machen an international koordinierten Demonstrationstagen auch in der Schweiz Aktionen.

Was für Lernprozesse konntet ihr in den letzten Jahren machen?

T: Einen Lerneffekt löste das Versagen des Druckaufbaus gegenüber dem bürgerlichen Staat aus. Wir mussten feststellen, dass alle unsere Demonstrationen und Aktionen ihn am Ende kalt liessen und er keinen Willen zum Handeln zeigte. Nicht im Moment, aber auf die lange Perspektive. Vermutlich gingen da viele zu naiv an die Sache ran. Anhand dieser Frage kristallisierten sich auch die verschiedenen Flügel und Positionen heraus. So der bereits am Anfang thematisierte reformistische Flügel, der sagt, wir gehen jetzt in die Parlamente und versuchen dadurch etwas zu ändern. Eine zweite Position verbreiterte das Aktionsspektrum, so kam beispielsweise die Bundesplatz-Besetzung zustande. Die dritte Position, die Hauptgruppe, prägt den Klimastreik am meisten und führt wie gesagt strategische Diskussionen rund um Systemwandel und Revolution. Das hat auch eine internationale Dimension.

Die Klimabewegung ist sehr heterogen. Gegen aussen kann sie aber immer wieder geeint auftreten. Wie bewerkstelligt ihr dies?

T: Alle die in der Bewegung aktiv sind, sehen, dass sie Teil einer nationalen Bewegung sind, die eine grosse Schlagkraft aufweist. Diese wollen viele nicht aufs Spiel setzen. Gleichzeitig haben viele eine emotionale Verbundenheit. Das gegen aussen geeinte Auftreten ist gleichzeitig aber auch hindernd. Oft scheitert man daran, harte Diskussionen über wichtige Fragen zu führen, weil es emotional wird. Wichtig ist sicher auch, dass sich einzelne Teile der Bewegung nie voneinander abgegrenzt haben. Man respektiert die Vielfalt der unterschiedlichen strategischen Ansätze.

M: Für uns als revolutionäre Klimastreikende birgt die Heterogenität der Bewegung auch grosse Schwierigkeiten, da wir genau abwägen müssen, wann wir welche Debatten führen, wann wir einen Kompromiss eingehen und wann wir uns selber treu sein müssen. Wann beharrst du in einer Diskussion auf deinen Positionen und wann lässt du etwas stehen? Es besteht die Gefahr, dass man seine Positionen verwässert oder aber irrelevant wird. Beides ist schlecht.

Was habt ihr für kurz-, mittelund langfristige Ziele?

T: Wir glauben, dass es eine breite revolutionäre Organisierung braucht und hierbei sehen wir die Moblisierungskraft des Klimastreiks als zentralen Aspekt. Wir wollen nicht ins Szenische abgleiten. Um die Mobilisierungen nutzen zu können, braucht es aber Revolutionär_innen mit einem starken Bewusstsein. Zudem muss in der Frage der Revolution und im Sinne einer breiten revolutionären Organisierung unbedingt die Zusammenarbeit mit den organisierten Arbeiter_innen verstärkt gesucht und ausgebaut werden. Nur so können wir Gegenmacht aufbauen.

M: Wir müssen die Vernetzung der Bewegungen weiter fokussieren. Der nächste Aktionstag findet am 9. April statt. Das Thema wird Arbeitszeitverkürzung sein, was nicht nur eine Klimafrage ist, sondern viele andere gesellschaftliche Fragen mitträgt. Von uns her wird die Organisierung ins Zentrum gestellt. Mehr arbeitsfreie Zeit bringt mehr Zeit für Organisierung. Gleichzeitig müssen wir uns gegen neoliberale Vorstellungen von Arbeitszeitverkürzung wehren, da wir nie die gleichen Vorstellungen davon haben werden wie sie.

Aus: Aufbau 108