Beitrag eines ehemaligen Militanten für die PC p-m (Kommunistische Partei politisch-militärisch) über die Frage des Verrats anlässlich des Prozesses gegen Antifaschist:innen in Leipzig.
Mao sagte: “Wo es Unterdrückung gibt, gibt es Widerstand”. Aber auch das Gegenteil ist der Fall: Wo gekämpft wird, gibt es Repression. Zwei Seiten derselben Medaille, die hauptsächliche Seiten des Klassenkampfes, in ständiger dialektischer Entwicklung, in enger, der offenen und entscheidenden Konfrontation tendierend.
Diese Dynamik ist seit vielen Jahren mit der globalen politisch-ökonomischen Dynamik des Systems und der bürgerlichen Staaten verwoben, in Bezug zur Verschärfung der kapitalistischen Krise (historischen Ausmaßes) und der damit verbundenen Tendenz zum imperialistischen Krieg. Ein bedeutender, gar epochaler Wendepunkt war die Ausrufung des „endlosen Kriegs gegen den Terror“ durch die USA nach dem 11. September 2001, gleichsam Erklärung einer Perspektive des permanenten, weltweit diffusen Krieges. Konventionell gegenüber nicht unterwürfigen oder konkurrierenden Staaten; und asymmetrisch, mit „geringer Intensität“ gegenüber (revolutionären oder auch reaktionären) Rebellenbewegungen und somit auch gegenüber dem „inneren Feind“. Immerhin Krieg!
Vom „Patriot Act“ in den USA bis hin zu der Reihe von Sondergesetzen in allen Ländern sind wir Zeug:innen einer echten Aushöhlung des „Rechtsstaates”, der verfassungsmäßigen Freiheiten und der – wenn auch formalen – bürgerlichen Demokratie. „Terrorismus“ ist zum Schlüsselwort geworden, zum Stigma, mit dem man Bewegungen, Organisationen, Militante brandmarkt, mit dem man sogar ganze Staaten isolieren mag. Alles, was sich den neuen Strategien der imperialistischen Herrschaft in den Weg stellt, wird zum Terrorismus (in zynischer Umkehrung der historischen Wahrheit). Und wir wissen, wie sehr diese Gesetzgebung nur der formaljuristische Beginn einer kontinuierlichen repressiven Eskalation war.
Dies ist die Realität, in der wir uns befinden (wenn auch mit wichtigen Nuancen zwischen den großen Weltregionen, zwischen den imperialistischen und den unterdrückten Regionen), und mit der sich die sozialen und politischen Kämpfe und Bewegungen auseinandersetzen müssen. Das heißt, jede Bewegung, die eine gewisse Bedeutung hat, muss früher oder später mit Aggressionen der repressiven Kräfte rechnen. Die Fortführung der Debatten, die Weiterentwicklung des Bewusstseins sind daher von entscheidender Bedeutung. Allzu oft werden solche Situationen jedoch unüberlegt angegangen, indem lediglich versucht wird, den persönlichen Schaden zu begrenzen und dabei die Solidarität und die Motivation des Kampfes vergisst. Oder man zieht sich politisch zurück, nimmt rechtfertigende und abschwächende Positionen ein, und sucht die Sympathie und Nachsicht der Macht. Dies ist in der Tat die schlechteste Haltung, denn sie ist politisch und ist die Positionierung eines bedeutenden Teil der Bewegung, um die es geht.
In der klassenkämpferischen und revolutionären Bewegung im Italien der 1970er/80er Jahre war die erste Haltung die Reue, die zweite die der Abschwörung1. Sobald diese Wege eingeschlagen sind, verlieren die Aktivist:innen ihre Identität, bis hin zum offenen Verrat, vermitteln Defätismus und Verunglimpfung, vergiften die sozialen Beziehungen und stellen sich in den Dienst der Macht, um deren konterrevolutionäre Narrative zu verstärken. In der Geschichte der aufständischen Bewegungen haben die Auswirkungen repressiver Phasen oder zwischenzeitlicher Niederlagen im Klassenkampf immer wieder zu Auflösungen und Zerfall geführt. Das Gefängnis ist immer ein Indikator der politischen Konsistenz, der Beständigkeit einer Bewegung, einer Organisation, ihrer Aktivisten. Und leider treten Fehler und Schwächen deutlich zutage, die genau diesen Schaden verursachen.
Aber nicht nur das, auch die Stärke und Konsequenz der reiferen, entschlosseneren Militanten werden hervorgehoben. Gerade angesichts der Niederlagen, der unvermeidlichen Schwierigkeiten und Komplexität des revolutionären Prozesses, gehen diese Militante konsistent von den Gründen des Kampfes als wesentliche Grundlage für die Überwindung der Schwierigkeiten aus. Sicherlich mit kritischer und selbstkritischer Analyse, mit positiver Einstellungen gegenüber Bilanzdiskussionen und Reflexionen, aber unter Beibehaltung einer revolutionären Ausrichtung. Und so kam es, dass viele Militante im Gefängnis weiterhin eine aktive und dialektische Rolle in der revolutionären Bewegung einnahmen. Im Laufe der Jahre, manchmal Jahrzehnte, gewannen sie an Wert und Beachtung, denn ihr Widerstand gegen die harten Lebensbedingungen zeugt von der Stärke und der historischen Verwurzelung derjenigen Bewegung, welche diese Militante hervorgebracht hat. Bedenken wir, wie viele Bewährungsproben und schwierige Momente während langer Haftzeiten durchgemacht werden können, auch und gerade in Bezug auf Entwicklungen, politische Ereignisse in der Gesellschaft und der Welt. Um dies zu veranschaulichen, haben wir das leuchtende Beispiel eines Genossen wie Georges Ibrahim Abdallah und, wie er, in Italien etwa zwanzig Militante (insbesondere der Brigate Rosse), die seit den 1980er Jahren inhaftiert sind. Es geht nicht um „Heldentum“, sondern (wie sie selbst von sich sagen) darum, dass sich in den Menschen die Kraft, der Wert und die tiefgründigen Überlegungen einer historischen revolutionären Bewegung widerspiegeln.
Dies ist der Ansatz, der es uns ermöglichen kann, mit der Unterdrückung, ihren verschiedenen Facetten und Auswirkungen richtig umzugehen. Wir dürfen uns niemals auf den „antirepressiven“, defensiven oder spezialisierten Aspekt (z. B. Anti-Knast) beschränken, sondern müssen diese Situationen als einen inhärenten Teil, eine interne Artikulation des Gesamtkonflikts betrachten. Und zwar nicht nur lokal, sondern international. Gerade die fortgeschrittenen Realitäten zeigen dies: Wie kann man die Frage der Gefangenen in der Türkei und in Kurdistan von der Dynamik des laufenden revolutionären Kriegsprozesses trennen? Oder in Lateinamerika, in Indien? Und es ist klar, dass die Macht Haftdrohungen als Erpressungsmittel und die Gefangenen als Geiseln benutzt. Um die Gefangenen herum wird immer ein wichtiges Spiel gespielt: Der Staat zielt darauf ab, dass die Gefangenen sich ergeben, abschwören, sich distanzieren, was einen Auflösungsprozess, eine Implosion der Bewegung oder Organisation auslöst. Schließlich zur Entwaffnung. Mit Entwaffnung meinen wir eine vielschichtige Entwaffnung, die politische, ideologische und natürlich auch die militärische. Wir beobachten, wie in allen Fällen, historisch und aktuell, dieses Ziel von den Staaten hartnäckig verfolgt wird, wie im Mittelpunkt der Verhandlungen immer die Erpressung über das Schicksal der Gefangenen steht. Und wir beobachten, wie das Ergebnis dieser „Friedensprozesse“ immer eine Katastrophe für die revolutionären Bewegungen und Organisationen ist: Während unser Lager demobilisiert, demoralisiert und entwaffnet wird, erntet der Staat die politischen Früchte, bekräftigt seine unbestreitbare Macht und… setzt den Krieg fort! Die auffälligsten aktuellen Fälle sind in Kolumbien und im Baskenland zu verzeichnen. Aber das gilt auch für die Osloer Abkommen für Palästina.
Das ist der entscheidende Punkt: Man darf niemals das Wesen, die Seele einer revolutionären Bewegung aufgeben, man darf niemals eine Entwaffnung akzeptieren. Auch wenn die Schwierigkeiten einer bestimmten Phase einen “strategischen Rückzug”, einen taktischen Rückzug erzwingen können (die Geschichte, das konkrete Leben, besteht aus solchen Haarnadelkurven), müssen diese als Ergebnis einer internen Ausarbeitung der Bewegung selbst erfolgen, unter der Ablehnung, diese zu einem Objekt der Kollusion und Kollaboration mit dem Staat zu machen.
Unsere beste Geschichte ist daher die der kollektiven Annahme einer eigenen politischen Identität durch die Gefangenen, ihrer eventuellen Organisationsmitgliedschaft, der Umwandlung des Gefängnisses in eine Kampffront in Kontinuität mit der äußeren. Es ist genau die Dialektik von der wir gesprochen haben, die den Widerstand im Gefängnis zu einem großen Wert werden lässt, die ihn zu einem Element der Stärke für die revolutionäre Bewegung als Ganzes werden lässt. Und dies, das muss betont werden, geschieht sicherlich nicht auf lineare, homogene Weise in der Bewegung, ohne Widersprüche und interne Auseinandersetzungen. Schwere Repression, lange Inhaftierungen werden unweigerlich zu einem Prüfstein, der die wahre Konsistenz und die Grenzen jeder organisierten Erfahrung offenbart. Leider ist die Selektion immer hart, aber sie ist auch ein Prozess der Reifung und des Wachstums, der die Bewegung reifer und stärker macht, um den Aufgaben gewachsen zu sein, die der revolutionäre Prozess erfordert. Ein Beweis dafür ist das verbissene Streben des Staates nach totaler Kapitulation und die Kriminalisierung sowie Delegitimierung von langjährigen Gefangenen und revolutionären Organisationen. In Italien beispielsweise ist nicht nur die lebenslange Haftstrafe für militante Gefangene, die sich nicht ergeben haben, wirksam, sondern es wird nun auch die Anwendung des 41bis-Gefängnisregimes ausgeweitet. Der Inhalt, die politische Bedeutung dieser Hartnäckigkeit ist offensichtlich. Wir müssen unsererseits diese Konfrontation annehmen, d.h. uns mit den Gefangenen aufs Äußerste solidarisieren, sie in ihrem harten Widerstand auf jede Weise unterstützen.
Ein grundlegendes Konzept ist, dass das Gefängnis weder „Verlust an Leben“, noch „Aussetzung der Zeit“, „Abzug vom Kampf“ und schließlich „schwarzes Loch“ ist, in dem man die Gründe für den Kampf vergisst und das einzige Ziel darin besteht, so schnell wie möglich wieder herauszukommen. Diese Ansätze führen mit Sicherheit zu einer wirklichen Niederlage, und zwar der wesentlichsten, nämlich der Aufgabe unserer Kampfründe, unserer revolutionären Motivationen. An Stelle dessen werden verschiedene Kampagnen aufgenommen, die sich auf Ziele wie Amnestie, Kronzeugenregelung, Gesetzesrevisionen und die Befriedung des Konflikts konzentrieren. Gefängnisse und Gerichte sind eine Front des Kampfes der Bewegungen und Organisationen, welche sich ernsthaft und konsequent den Horizont der sozialen Transformation setzen. Dies gilt umso mehr in der gegenwärtigen tiefen Degeneration des kapitalistisch-imperialistischen Systems. Die Erscheinungen davon sind allzu offensichtlich: Die Entfesselung imperialistischer Kriege und Aggressionen auf allen Kontinenten als Ergebnis eines wütenden marktwirtschaftlichen und neokolonialistischen Wettbewerbs, die allesamt immense soziale und ökologische Verwüstungen, Exodus und Deportationen, die Ausplünderung von Primärressourcen, unterstützt durch Militarisierung und Staatsterrorismus. Der imperialistische Krieg wird zunehmend mit der internen Kriegsführung gegen das Proletariat, den sozialen Widerstand und die revolutionäre Opposition kombiniert. Die Liste ist leider sehr lang… das Wesentliche bleibt zu verstehen, dass dies nun der gepanzerte Horizont der kapitalistischen Gesellschaft ist. Die Implikationen zu begreifen, die Konsequenzen anzunehmen, ist der grundlegende Schritt: Revolutionärer Kampf, Aufbau von Klassenkräften, um einen revolutionären Prozess in Gang zu setzen und zu entwickeln, der auf den Sturz von Staat und Kapital abzielt. Im Rahmen einer streng internationalistischen Dynamik. Entschlossenheit, Kohärenz und kollektive Solidarität als entscheidende Mittel zur Bewältigung des „langen Marsches“.
Ich schließe diese Notizen mit solidarischen Grüßen an die Genoss_innen in Deutschland, die vor einem schwierigen Übergang stehen, nach dem Verrat eines ehemaligen antifaschistischen Aktivisten, der jetzt mit den Behörden in einer weitreichenden repressiven Operation zusammenarbeitet. Ich kann mir die Enttäuschung und die Demoralisierung, die dies hervorruft, vorstellen und verstehen, sowohl menschlich als auch politisch. Aber gerade aufgrund der in Italien (auch persönlich) gesammelten Erfahrungen komme ich nicht umhin, auf dem Vorherigen zu bestehen: Nur Entschlossenheit, politische und organisatorische Konsequenz ermöglichen es, sich zu wehren, aktiv zu reagieren und manchmal sogar die teilweise Niederlage in einen neuen politischen und organisatorischen Fortschritt umzuwandeln. Dabei stets das kollektive Interesse ins Zentrum stellend, die Entwicklung unserer antifaschistischen, antiimperialistischen, revolutionären Sache vorantreibend. Je stärker und entschlossener diese Reaktion ist, desto mehr wird der durch Verrat verursachte Schaden begrenzt (und das war der Fall bei unseren Prozessen wegen der PC p-m – Partito Communista politico-militare).
Darüber hinaus ist auch in Deutschland die gemeinsame Offensive mit dem faschistischen Regime in der Türkei gegen die kurdische Befreiungsbewegung und internationalistische Solidarität dringende Aktualität. Diese ist ein weitere sehr wichtige Bewährungsprobe, die jede Unterstützung und aktive Solidarität verdient. Wir werden bald mit massiven Auslieferungsversuchen und anderen Formen der Repression in Verbindung mit der türkischen Angriffe in Kurdistan konfrontiert werden. Die europäischen demokratischen Fiktionen sind zusammengebrochen. Wir müssen uns auf unsere eigenen Stärken stützen und sie zu einer klassenkämpferischen, internationalistischen Praxis ausbauen, in enger Zusammenarbeit mit den Organisationen, die sich dort an den verschiedenen Fronten engagieren. Mit dieser Perspektive können wir die Situation auch auf juristischem Terrain umkehren und vor allem aufrecht bleiben!
Ein ehemaliger Kämpfer der PC p-m (Kommunistische Partei politisch-militärisch)
Turin, 9. Juli 2022
1 Mit diesen beiden Begriffe wird unterschieden zwischen: 1. die Reumütigen (pentiti), welche von der Repression gebrochen werden, defensiv kollaborieren und vor allem militärischen Schaden anrichten und 2. die Abschwörenden (dissociati), welche darüber hinaus sich aktiv abwenden und im Dienste der Gegenseite an der politischen Delegitimierung der revolutionären Sache arbeiten.
https://rotehilfech.noblogs.org/post/2022/07/26/solidaritat-und-revolutionare-tendenz/