«Bleibt optimistisch! Zieht nicht aus!»

Seit Ende 2020 tobt ein Häuserkampf am Sihlquai im Zürcher Kreis 5. Mieter_innen, später auch Zwischenmieter_innen und Besetzer_innen wehren sich gegen den Plan der Eigentümerin Coop Immobilien und der Zwischennutzungsfirma Intermezzo. Interview mit einer beteiligten Person.

(agj) Was ist der aktuelle Stand am Sihlquai?

Eigentlich wollte Coop am 1. April in beiden Häusern mit den Bauarbeiten beginnen. Sie hatten gehofft, dass alle bis dann draussen sind. Die Schreinerei im Erdgeschoss hat einen anderen Mietvertrag als die Bewohner_innen und kann daher wahrscheinlich bis 2027 bleiben. Die Vertragsverhandlungen sind noch am laufen. Coop will um die Schreinerei herum bauen. Es ist noch nicht klar, wie das ausgehen wird. Die Untermieter_innen, die über Intermezzo gemietet haben, hätten eigentlich am 31. März raus müssen, aber tollerweise haben verschiedene Leute den Anfangsmietzins angefochten und danach im Januar auch eine Erstreckung der Mietverhältnisse gerichtlich beantragt.

Und wie haben Coop Immobilien und Intermezzo reagiert?

Diese Schlichtungsverhandlungen liess Intermezzo zwei Mal sehr kurzfristig platzen, sodass sie nun im Juni stattfinden. Sprich die Zwischenmieter_innen können sicher bis dahin noch bleiben und sehr wahrscheinlich bis September 2022, da eine einzige Mietpartei der ursprünglichen Mieter_innen vor Mietgericht eine Erstreckung bis September bekommen hat. Wir werden sehen, wie Coop tatsächlich mit Bauen beginnen will. Wir wissen auch als Mietende nicht, was ihre Pläne genau sind. Sie haben aber jetzt beide Häuser nochmal abgesichert. Es stehen wieder Sicherheitsleute vor der Tür. Am 1. April bei der Schlüsselabgabe der Zwischenmieter_innen ohne Erstreckungsverfahren ist Coop sehr aggressiv aufgetreten. Sie stehen unter grossem Druck.

Was hat euch am Anfang ermutigt, die Kündigung im Gegensatz zu vielen anderen Betroffenen nicht einfach hinzunehmen, sondern euch zu organisieren und zu wehren?

Coop Immobilien hat alle Mieter_innen zu einem persönlichen Gespräch eingeladen, oben im Swiss Mill Tower, und Kaffee und Schokolade und so angeboten und betont, was für ein Privileg es sei, dass man hier oben dieses Gespräch führen dürfe mit diesem tollen Blick über die Stadt, und dann im Gespräch haben sie uns allen gekündigt. Diese Art und Weise hat uns sehr wütend gemacht, verständlicherweise. Wir Mieter_innen haben uns dann sehr schnell getroffen, konnten reden und uns austauschen. Das war wichtig, zu sehen, dass man nicht alleine ist.

Ausserdem haben die Häuser eine spezielle Geschichte. Sie wurden 1899 erbaut hier am Sihlquai und stehen sinnbildlich für dieses Industriequartier und dieses Arbeiter_innenquartier. Viele der langjährigen Mieter_innen haben auch die 90er-Jahre in diesen Häusern verbracht. Sie haben den Platzspitz erlebt, den Strassenstrich, der vor ihrer Haustür stattfand, und auch sehr viel Gewalt. Sie haben sich einfach gesagt: Hey, wir haben damals in diesen Häusern gewohnt und wir sind nicht gegangen, wir sind geblieben. Wir möchten hier wohnen und wir lassen uns nicht einfach so vertreiben!

Was habt ihr aus dem Kampf um eure Häuser gelernt?

Wir haben alle ganz viele unterschiedliche Dinge gelernt. Das ist vielleicht auch bei allen ein bisschen anders. Aber das Entscheidende ist, dass wir das gemeinsam machen, dass wir eine Gruppe und dadurch viel stärker sind und uns gegenseitig unterstützen können. Das hat wahnsinnig viel Kraft gegeben in diesen zwei Jahren – nein, nicht zwei Jahre – ein Jahr, mir kommt alles schon so lange vor. Wichtig ist auch die ganze Öffentlichkeitsarbeit, die wir gemacht haben. Wir haben versucht alle Leute irgendwie auf dieses Thema aufmerksam zu machen mit den beschränkten Mitteln, die wir haben. Wir haben sehr schnell gemerkt, dass es ein Problem ist, das viele Menschen in dieser Stadt bewegt. Es ist eine existenzielle Angst da, dass man eine Wohnungskündigung erleben könnte und sein Zuhause verlieren. Wir haben gelernt: zusammen sind wir stärker! Wir haben erlebt, dass sehr viele Menschen durch diese Geschichte bewegt wurden, und das ist wahnsinnig schön.

Was möchtet ihr anderen Betroffenen von Leerkündigungen aber auch solidarischen Menschen, die Mieter_innen unterstützen, mit auf den Weg geben?

Bleibt optimistisch! Zieht nicht aus! Verliert nicht die Nerven! Wichtig ist, dass man sich zusammenschliesst, organisiert und dieses Problem nach aussen trägt. Denn es ist ein Riesenproblem in der Stadt Zürich, diese Leerkündigungen. Es sind viele Menschen betroffen und es werden immer mehr. Dadurch, dass wir an die Öffentlichkeit gegangen sind, haben wir sehr viel Unterstützung erfahren. Viele solidarische Menschen und Gruppen haben sich bei uns gemeldet. Das war schön.

Wie hat die Organisierung der Mieter_innengruppe funktioniert?

Das Wichtigste ist wirklich, dass man nicht die Nerven verliert, dass man Geduld hat und sich gegenseitig unterstützt. Wir als Mieter_innengruppe haben diesen gemeinsamen Fokus, diesen gemeinsamen Kampf, wir wollen in diesen Häusern bleiben, wir wollen dieses Bauprojekt verhindern, aber wir haben sonst sehr diverse und unterschiedliche Meinungen und das ist manchmal auch schwierig. Daher ist es zentral, die Gemeinsamkeiten in den Vordergrund zu stellen, auch für Menschen, die sich solidarisieren möchten, dass man wirklich mit den Mieter_innen, mit den Betroffenen die Gemeinsamkeiten hervorhebt und die Differenzen ein bisschen bei Seite lässt.

Das Interview wurde in der Sendung zum Stadtspaziergang der Stadtgruppe auf Radio LoRa ausgestrahlt und lässt sich nachhören:

Hintergrund

Coop wollte die Häuser am Sihlquai mit Umweg über die Zwischennutzungsfirma Intermezzo leer kündigen und dann umbauen. Coop und Intermezzo gingen taktisch vor, um mit ihrem Vorgehen nicht ins Rampenlicht zu gelangen. Doch die Bewohner_innen und Besetzer_innen machten genau dies: das taktische Vorgehen der Immobilienfirmen in die Öffentlichkeit tragen. Neben den Verhandlungen um die Häuser kam es zur Besetzung von Wohnungen. Weiter gab es eine Kundgebung, einen Stadtspaziergang, Comics und Transpis in Solidarität mit den widerständigen Bewohner_innen. Häuserkämpfe wie dieser zeigen den Immobilienfirmen, dass sie mit Widerstand rechnen müssen. Und der Widerstand kann weitere Kämpfe inspirieren. Die Aktionen, Plakate und Communiqués rund um die Häuser am Sihlquai können auf Barrikade nachgelesen werden.

Aus: Aufbau Zeitung Nr. 110, September/ Oktober 2022