Warum muss man von links gegen Zionismus sein?

Ende August 2022 wurde in Basel das 125. Jubiläum des ersten Zionistenkongresses von 1897 begangen. Wir nutzen den Anlass, um uns über den Zionismus als Ideologie Gedanken zu machen.

(rabs) Mit massivem Sicherheitsaufgebot und Staatsgästen wurde Ende August in Basel das Jubiläum des zionistischen Kongress von 1897 gefeiert, den sein Initiator Herzl als Geburtsstunde des Staates Israel bezeichnet hat. Ein Artikel zu Zionismus und zur Frage, warum wir als Linke ihn ablehnen, scheint ein heisses Eisen zu sein. Jegliche Kritik am Zionismus, ebenso wie am Staat Israel, wird schnell als antisemitisch angegriffen. Wir gehen das Thema zunächst historisch an.

Anfänge des Zionismus

Der Begriff Zionismus bezieht sich auf «Zion», einen Namen für den Tempelberg in Jerusalem. Im Judentum hat dieser Ort und die Aussicht, dort einen Tempel zu errichten, grosse religiöse Bedeutung.

Die Idee, in Palästina europäische Jüdinnen und Juden anzusiedeln, wurde z.B. schon im 16. Jahrhundert von Papst Clemens VII. aufgeworfen und Jahrhunderte später von Napoleon nach seinem gescheiterten Feldzug gegen Ägypten in seinen Memoiren wieder aufgenommen. Bei verschiedenen imperialistischen Mächten stiess der Plan immer wieder auf Zustimmung.

In der Zeit des aufkommenden Nationalismus in Europa kam auch die Annahme einer jüdischen Nation auf, die (noch) ohne eigenes Staatsgebiet sei. Wie andere nationalistische Bewegungen war auch der jüdische Nationalismus vor allem zu Beginn geprägt von bürgerlichen Männerbünden, oft aus dem studentischen Umfeld. Diese mussten nicht zwingend nur einer Nation anhängen. So gab es Burschenschaften, die gleichzeitig deutschnational und jüdisch national waren. Jüdischer Nationalismus innerhalb anderer Nationalismen war aber kompliziert, da eine antisemitische Haltung zu den meisten Nationalismen dazu gehört(e). Ausserdem hingen nicht alle jüdischen Personen jüdischem Nationalismus und Zionismus an.

Politisch uneins

Europäische Mächte unterstützten den Zionismus von Anfang an aus imperialistischen Motiven, um in der geopolitisch wichtigen Region eine Einflusssphäre zu schaffen. Dabei wurde diese Form des Zionismus von säkularen jüdischen Personen entwickelt und propagiert. Die Religionszugehörigkeiten bot die gemeinsame Klammer für den Nationalismus, der das koloniale Projekt zusammen halten sollte. Religiöse Motive können hier aber eher als vorgeschoben betrachtet werden.
Im religiösen Judentum dauerte es etwas länger, bis der Zionismus positiv aufgegriffen wurde. Gewisse streng religiöse Strömungen lehnen bis heute den Zionismus und den Staat Israel aus religiösen Gründen ab. Staatsgründung durch Menschen wirke Gottes Plänen entgegen, so diese Argumentation. Andere sprachen sich jedoch dafür aus, nicht auf die prophezeite Erlösung zu warten, sondern nachzuhelfen.
Im jüdischen Proletariat fanden jüdischer Nationalismus und Zionismus erst während dem Zweiten Weltkrieg breiten Anklang. Diejenigen, die für den Zionismus argumentierten, beriefen sich darauf, dass in Palästina ein neuer, sozialistischer Staat gegründet werden könnte. Im Gegensatz zu chauvinistischen zionistischen Strömungen, wollten sie die lokale Bevölkerung einbeziehen. Eine ganz andere Einstellung hatte der «Allgemeine Jüdische Arbeiterbund». Für die Mitglieder des Bunds stand die Klassenposition im Vordergrund. (Zur jüdischen Arbeiter_innenbewegung Osteuropas vgl. aufbau Nr. 6). Sozialistische Gruppen konnten sich innerhalb des Zionismus nicht durchsetzen. Mit der Kibbuzbewegung gelang es ihnen aber bis weit ins 20. Jahrhundert, das Bild eines progressiven Gesellschaftsmodells aufrecht zu erhalten.
Zionismus beruft sich stets auf das Judentum. Er ist aber eine politische Ideologie, und es besteht zwischen beidem kein zwingender Zusammenhang. Gerade evangelikale christliche Gruppen haben sich wiederholt als enge und zuverlässige Verbündete des Zionismus erwiesen, wenn auch aus ungemütlichen Motiven. So gehen sie davon aus, mit der Unterstützung des Staats Israel und damit der Bündelung der verstreuten Jüdinnen und Juden «Armageddon» herbeiführen zu können, und damit die Rückkehr von Jesus. Auch US-Präsident Joe Biden sagte, man brauche kein Jude, keine Jüdin zu sein um Zionist_in zu sein.

Antisemitismus in Europa

Gemeinsam ist den verschiedenen Strömungen des Zionismus, dass sie hauptsächlich in Europa und in den USA verortet waren und sind. Gerade in Europa sind antijüdische Ressentiments historisch und gesellschaftlich tief verankert: Ab dem 14. Jahrhundert sind Pogrome gegen jüdische Gemeinden belegt. Einen furchtbaren Höhepunkt fand das mit der Shoah im Nationalsozialismus.
Während die Verfolgung der Jüdinnen und Juden immer brutaler wurde, gab es bis Kriegsbeginn durchaus noch Gespräche zwischen den Machthabern und zionistischen Organisationen. Die Zionistische Vereinigung für Deutschland und die Jewish Agency versuchten, mit dem Haavaara («Transfer») Abkommen den Interessen der Nazis und den eigenen gerecht zu werden: Das Abkommen ermöglichte es ab 1933 jüdischen Personen, Vermögen bei Emigration nach Palästina, und nur nach Palästina, zu holen. Die Jewish Agency fungierte dabei als Bank. Von den Gebühren errichtete die zionistische Vereinigung Schulungsfarmen, damit die Ausreisewilligen Landwirtschaft lernen konnten. Dies war oft nötig, weil in Europa die Jüdinnen und Juden selten in der Landwirtschaft tätig waren. Ausserdem war das auch nötig, um den Siedlerkolonialismus besser durchsetzen zu können.
Die neuen Siedler_innen kamen nicht in das von zionistischen Grundlagentexten verheissene «Land ohne Volk». Von Anfang an waren sie dafür vorgesehen, die Region zu kolonialisieren. Angesichts der Verwerfungen und Verfolgungen in den meisten europäischen Ländern im Zweiten Weltkrieg entschieden sich jedoch auch viele nicht prozionistische Jüdinnen und Juden, zu einer Flucht aus Europa. Häufige Fluchtziele waren die USA und das heutige Israel.

Vertreibung und Apartheid

1948 wurde der Staat Israel gegründet. Die Region stand seit dem Sykes-Picot-Abkommen zwischen Frankreich und Grossbritannien von 1916 unter britischem Mandat. Verschiedene zionistische Organisationen hatten sich bereits Jahre oder gar Jahrzehnte zuvor dort angesiedelt. Die Nakba («Katastrophe») erstreckte sich über die Jahre 1947-49 und forderte über 700’000 Vertriebene. Als arabische Gebiete (Ägypten resp. Jordanien zugeschlagen) blieben Gaza und das Westjordanland übrig, viele Vertriebene fanden sich in den Nachbarstaaten wieder, wo ihre Nachkommen bis heute leben. Erst Mitte der 90er Jahre entstand die palästinensische Selbstverwaltung.
Das vom Staat Israel beanspruchte Gebiet ist heute zutiefst segregiert. Mit einer meterhohen Mauer werden israelische Siedlungen in palästinensischen Gebieten geschützt. Viele Strassen dürfen nur von Israelis benutzt werden. Palästinenser_innen müssen sich an Checkpoints täglichen Schikanen durch das israelische Militär aussetzen, auf dem Weg zur Arbeit oder zu Besuchen bei Verwandten. Dörfer sind von ihrem Landwirtschaftsland abgeschnitten Palästinenser_innen haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser, während in der israelischen Siedlung wenige 100 Meter weiter gut gefüllte Swimmingpools zwischen Rasenflächen stehen. Kurz: Gegenüber der kolonialisierten Bevölkerung Palästinas verhält sich Israel, wie sich eine Siedlerkolonialmacht eben verhält.
Die Konstituierung des Staats über die jüdische Nation hat zur Folge, dass nicht-jüdische Israelis von Rassismus betroffen sind. Die Gesellschaft ist aufgrund des Zustands der Besatzung stark militarisiert. Angst vor Angriffen von Aussen ist stets präsent, trotz des europäischen Aussehens mancher Städte.

Die Antisemitismus-Keule

Die Diskussion in Europa um Palästina/Israel hat diverse, mitunter seltsam anmutende Positionen hervorgebracht. Einerseits rückten gewisse Linke – vor allem in Deutschland – von der antiimperialistischen Position ab und unterstützen den israelischen Staat. Dabei berufen sie sich auf eine kollektive deutsche Schuld. Zudem haben linke Bezugspunkte im palästinensischen Widerstand abgenommen.
Auf der anderen Seite kamen Rechtsextreme von ihren offen antisemitischen Positionen weg und stellen eine neue Freundschaft zu Israel zur Schau. Aus unterschiedlichen Gründen kritisieren diese beiden Seiten den Antisemitismus, wobei gerade die Rechten vor allem links überall Antisemitismus wähnen. So werden die Begriffe verwässert und wirklicher Antisemitismus – wie er in Verschwörungstheorien oder im christlichen und muslimischen religiösen Extremismus beobachtet werden kann – wird auf die selbe Stufe gestellt wie die Kritik am israelischen Staat. Zur Verwirrung trägt bei, dass auch manche Antisemit_innen sich nicht so benennen, sondern «Antizionismus» als Codewort für Juden- und Jüdinnenhass benützt wird. Wenn «antizionistisch» drauf steht, heisst es also noch lange nicht, dass auch «progressiv» drin ist.