Proteststreik auf dem Bau

Nach den Aktionen in Basel und dem Tessin fand heute im Kanton Zürich ein Streiktag auf den Baustellen statt. Ein Erfahrungsbericht über einen kämpferischen Protesttag.

(az) Der Landesmantelvertrag der Baubranche läuft aus. Für den neuen Vertrag fordern Gewerkschaften wenig: Es braucht kürzere Arbeitstage und klarere Regelungen der Arbeitszeit, besonders bei Hitze und bei schlechtem Wetter. Und ältere Bauarbeitende sollen einen besseren Kündigungsschutz erhalten. Dem entgegen will der Baumeisterverband mehr Flexibilisierung. Darunter fallen die unverschämte Forderung nach einer 58-Stunden-Woche inklusive Reisezeit oder vermehrt Arbeit auf Abruf. Damit es nicht so weit kommt, kommt es seit einigen Wochen zu Protestaktionen der Bauarbeiter_innen.

Um 5:00 Uhr geht es los. Gemeinsam mit Aktivist_innen unterschiedlicher Bewegungen, Funktionär_innen und Kolleg_innen vom Bau teilen wir uns in Busse auf. Auf verschiedenen Baustellen sollen wir verhindern, dass heute gearbeitet wird und so dafür sorgen, dass sich die Arbeitenden uns anschliessen können. An einer ersten Grossbaustelle in der Zürcher Innenstadt klappt das teilweise gut. Wir stehen vor den verschiedenen Eingängen und sprechen mit den ankommenden Arbeitenden. Während der Bauleiter, der in seinem Tesla ankommt, mürrisch die Situation beäugt, schliessen sich uns zehn Arbeiter an. Allerdings hat die Baustelle ihre Tücken. Die Vorgesetzten liessen den Arbeiter_innen gestern mitteilen, dass sie heute eine Stunde später kommen sollen, damit sie nicht mehr auf uns treffen. Und auf der Baustelle arbeiten auch Angestellte des Baunebengewerbes. Das machen sich einige Arbeitende, die nicht streiken wollen, zunutze, und geben an, dass sie Elektriker seien und deswegen auf die Baustelle gelassen werden müssen. Dennoch fährt der Bus nach einer Stunde gut gefüllt zurück zum Helvetiaplatz.

Unterwegs hören wir immer wieder die Klagen, wie existenziell bedrohend Forderungen wie die 58-Stunden-Woche sind – aber auch wie wichtig Solidarität an einem Tag wie diesem ist. Am Helvetiaplatz angekommen bleiben die ersten Streikenden beim hier aufgebauten Zelt und wir brechen zur nächsten Baustelle auf. Unterwegs fahren wir an vielen Baustellen vorbei, die heute geschlossen bleiben. Doch wir selbst haben in unserem zweiten Einsatz etwas weniger Glück. Erst müssen wir uns den Zutritt zur Baustelle erkämpfen, dann erreichen wir zwar, dass wir mit den restlichen fünf Arbeitenden auf der Baustelle sprechen dürfen, doch die wollen nicht streiken. Nichts zu machen.

Nicht immer ist klar, ob es Angst, Individualismus oder tatsächliche politische Überzeugung ist, die für den Streikbruch sorgen. In einigen Baustellen wird in Gesprächen schnell klar, dass der Polier und der Bauleiter am Tag zuvor eine Drohkulisse aufgebaut hat. Entweder sagen die Bauarbeitenden das direkt und äussern auch ihre Angst. Oder man merkt es, weil sie sich dem Gespräch entziehen wollen, aber uns gleichzeitig helfen, Zugang zur Baustelle zu verschaffen. Dann gibt es aber auch die, bei denen klar wird, dass sie politisch den Schulterschluss mit dem Chef suchen. An einer Grossbaustelle im Kreis 3 versucht ein Vorarbeiter mit seinem bellenden Hund den Streikposten zu durchbrechen. Später geht das Gerücht von ehemaligen Arbeitskollegen um, dass dieser nicht nur antigewerkschaftlich ist, sondern auch ein Fascho sei.

Von anderen Streikposten hören wir erfolgreichere Berichte. Dort ging man etwas entschlossener vor. So berichten uns Kolleg_innen, die später zurückkehren, wie sie Eingänge verbarrikadiert, ihre Baustelle aktiv geschlossen haben und so dafür sorgten, dass heute tatsächlich gestreikt wird. In diesen Fällen ist die Gewerkschaft jeweils im Kontakt mit Vertrauensleuten der jeweiligen Baustelle. Meist warten die Streikwilligen bis die Kolleg_innen mit der Gewerkschaft kommen, um sich dann direkt anzuschliessen.

Gegen Mittag treffen schliesslich alle wieder auf dem Helvetiaplatz ein. Erst folgt eine kleine Demo inklusive Aktion beim HB. Dort wird die Stimmung aufgeheizt. Die Gewerkschaften agitieren laut, weil noch einige Bauarbeiter auf einer Baustelle am HB weiterarbeiten. Aber an der Spitze der Demo wollen Basisleute die Streikbrecher zu Abbruch zwingen. Sie skandieren «Baustelle zu» und wollen die Absperrgitter umkippen. Die Polizei schreitet ein und versucht sich breit zu machen. Das beeindruckt die Bauarbeitenden wenig, die Funktionär_innen hingegen werden nervös. Nach vielem verbalem hin und her, hören die Streikbrecher kurz auf zu arbeiten. Das nutzen die Funktionär_innen und versuchen die wütenden Streikenden abzuwiegeln und zurück zu schicken. Es gelingt ihnen – aber nicht ohne, dass immer wieder in verschiedenen Sprachen darüber geflucht wird, dass man erst gehen will, wenn die Maschinen abgestellt sind, dass eine Pause kein Streik sei oder dass man uns nicht verarschen solle. Später hören wir auch – was sich den ganzen Morgen schon als Problem durchzieht –, dass gewisse Arbeitende vielleicht nicht zum Bauhauptgewerbe gehörten.

Danach geht es zurück zur grossen Demo, für die auch Arbeiter_innen aus anderen Kantonen wie Bern oder St. Gallen anreisten. Am Bahnhof wird als Protestaktion Mittagessen serviert – offenbar nicht bewilligt, aber geduldet. Danach geht es zum Baumeisterverband. Damit endete ein kämpferischer Tag, der gerade in der sich abzeichnenden Krise ein wichtiges Signal aussendet. Natürlich kommt es allerorts zu Verschlechterung. Von durchschnittlich 2.2 Prozent Reallohnverlust ist die Rede. Doch in dieser Zeit öffnen sich auch kämpferische und kollektive Momente, die zeigen, dass man nicht in der Defensive verharren muss. Und wir sind bereit, sollte es ab Januar tatsächlich zu einem vertragslosen Zustand kommen.¨