Eine materialistische Perspektive auf geschlechtsspezifische Gewalt
Wir sind heute am 25. November auf der Strasse, um gegen geschlechtsspezifische Gewalt zu protestieren. Auch dieses Jahr wurden in der Schweiz und auch fast überall sonst auf der Welt zahlreiche Frauen, Lesben, inter, non-binäre, trans, agender und genderqueere Personen (FLINTAQ) aufgrund ihres Geschlechtes oder ihrer Geschlechteridentität Opfer von Gewalt. Diese Gewalt ist strukturell – und eine Folge patriarchaler Denk- und Handlungsmuster. Der Kampf gegen geschlechtsspezifische Gewalt ist nicht nur anti-patriarchal, sondern auch anti-kapitalistisch.
Als Kommunist_innen vertreten wir die Position eines materialistischen Feminismus. Konkret heisst das, dass wir in unserer politischen Analyse die ökonomischen Begebenheiten in den Blick nehmen wollen. Wir sehen sie als Grundbedingungen für kulturelles und soziales Handeln, also als Basis dafür, wie sich eine Gesellschaft strukturiert und entwickelt. Deshalb interessiert uns besonders, wie in unserer Gesellschaft Wert produziert wird. Es fällt auf, dass gewisse Tätigkeiten besonders viel Lob und Anerkennung erhalten und deshalb als «Arbeit» betrachtet werden. Jene Tätigkeiten, welche nicht als Arbeit verstanden werden, sollen «gratis» verrichtet werden. Es entsteht also eine Hierarchie von «kostbaren» und «weniger kostbaren» Arbeiten. Es ist kein Zufall – weder historisch noch aktuell – dass FLINTAQ-Personen hauptsächlich diejenigen Arbeiten zugewiesen bekommen, welche sich auf die Reproduktion beziehen. Weshalb? Der Kapitalismus braucht das Patriarchat als Legitimation für all die Gratis-Arbeit, auf die der Kapitalismus aufbaut. Dies wird seit Jahrtausenden mit dem Argument begründet, sie seien «dafür geschaffen», das Haus zu hüten und die Ware «Arbeitskraft» herzustellen beziehungsweise zu reproduzieren. All jenen, welche als «weiblich» gelesen werden, wird diese Gratis-Arbeit zugeschoben und gleichzeitig wird diese «weibliche Arbeit» entwertet. Dazu gehört das Kinder kriegen und erziehen (damit diese später einmal arbeiten gehen können), das für den Ehemann kochen, aber auch die emotionale Unterstützung sowie alles an Sorgearbeit dazu, was es überhaupt möglich macht, am nächsten Tag wieder fit zur Arbeit zu gehen.
Diese schlecht oder nicht bezahlte Reproduktionsarbeit, die für den Kapitalismus grundlegend ist, werden aber nicht einfach so von FLINTAQ-Personen übernommen. An diesem Punkt kommen häufig kulturelle Vorstellungen wie beispielsweise geschlechtsspezifische Rollenbilder oder Heteronormativität ins Spiel. Eine materialistische Perspektive bedeutet dabei nicht, den Einfluss dieser kulturellen Konstrukte zu verneinen, sondern diese kulturellen Phänomene in Beziehung mit der materiellen Struktur der Gesellschaft zu setzen. Denn kulturelle Vorstellungen entspringen nicht einfach aus dem Nichts, sondern entwickeln sich aus und mit den materiellen Begebenheiten und ökonomischen Notwendigkeiten der kapitalistischen Produktionsweise. Ein materialistischer Feminismus versucht an dieser Stelle die Verschränkung des Patriarchates und des Kapitalismus zu thematisieren.
In Bezug auf geschlechtsspezifische Gewalt heisst dies in erster Linie den Fokus auf die Funktion und die Beziehung zwischen geschlechtsspezifischer Gewalt und Kapitalismus in den Blick zu nehmen. Damit die Reproduktionsarbeiten, welche für den Kapitalismus essenziell sind, überhaupt an FLINTAQ-Personen abgegeben werden können und diese auch ja nicht dagegen aufmucken, muss abweichendes Verhalten von FLINTAQ-Personen ständig bestraft werden. Konkret heisst das: FLINTAQ-Personen werden durch alltagssexistische Praktiken wie beispielsweise Cat Calling ständig daran erinnert, dass sie minderwertig sind und das im Patriarchat über ihre Körper verfügt werden soll. FLINTAQ-Personen werden durch sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ständig daran erinnert, dass sie dort nichts zu suchen haben und froh sein können, überhaupt Teilzeit zu arbeiten. Personen mit Geschlechtsidentitäten, die sich den binären Kategorien Mann und Frau entziehen, werden beispielsweise durch transphobe Praktiken immer daran erinnert, dass sie sich nicht diesen Reproduktionsarbeiten, die die kapitalistische Produktionsweise für sie vorsieht, entziehen können. All dies: Frauenverachtung, Transphobie und Homophobie erfüllen immer die Funktion, FLINTAQ-Personen ständig an ihren Platz innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft zu erinnern und gleichzeitig abzuwerten Und es erinnert FLINTAQ-Personen permanent daran, dass die kapitalistische Produktionsweise den Anspruch hat, über ihre Körper zu verfügen, denn diese sollen für die Reproduktionsarbeit eingesetzt werden.
Eine materialistische Perspektive richtet den Blick also auch auf Alltagssexismus, strukturelle Benachteiligung von FLINTAQ-Personen auf dem Arbeitsmarkt (Gender-Pay-Gap) oder Transphobie, setzt diese patriarchalen Phänomene aber mit dem Kapitalismus in Beziehung. Dabei stimmt es zwar, dass extreme Gewalt wie Femizide für den Kapitalismus keinen spezifischen direkten Nutzen haben. Der Nährboden für diese Morde und die patriarchale Gewalt ist jedoch gewollt und entspringt der ökonomischen Struktur unserer Gesellschaft. Aus diesem Grund müssen wir die Verschränkung von Kapital und Patriarchat bekämpfen, wenn wir uns eine befreite Gesellschaft erkämpfen wollen!
Gegen geschlechtsspezifische Gewalt
Reproduktionsarbeit kollektivieren heisst Geschlechter befreien!
Für einen revolutionären Feminismus!