Frauen und Queers als Zielscheibe

Rechte Parteien und Bewegungen sind weltweit im Aufwind. Sie stellen Regierungen, hetzen als Opposition gegen Minderheiten oder sind Teil von Protestbewegungen auf der Strasse. Neben «Ausländer_innen» sind Feminist_innen, Frauen und LGBTIQ-Personen beliebte Zielscheiben. Themen wie Geschlecht und Sexualität sind zentral für die aktuellen Mobilisierungserfolge der Rechten und lassen sich erfolgreich in ihrem Sinne politisieren.

(agfk) Rechtspopulistische Strategien versuchen in ihren Diskursen oft zwei Widersprüche aufzubauen. Einerseits einen vertikalen Antagonismus (zwischen unten und oben), also die Herstellung eines «Wir» gegen die politische Elite oder die «Lügenpresse». Andererseits benutzen sie auch einen horizontalen Antagonismus (also innerhalb der Bevölkerung) zwischen «Wir» und «den Anderen» und meinen damit Migrant_innen, Muslim_innen und immer öfter auch Feminist_innen oder LGBTIQ-Personen. Die SVP hat in ihrem neuen Parteiprogramm von 2023 ein gesamtes Kapitel, in welchem sie Strategien entwickelt, um dem «Gender-Terror» entgegenzutreten. Ein weiteres Beispiel ist die rechtsradikale «Junge Tat», die – inspiriert von der identitären Bewegung in Österreich – im Herbst 2022 eine Kinder-Vorlesung von Drag Queens in Zürich störte. Natürlich ist eine antifeministische Politik seit jeher fixer Bestandteil rechter Ideologien und entsprechenden Parteiprogrammen. Früher standen eher die «Emanzen» und ihre Gleichstellungspolitik im Fokus. Aktuell modernisieren und schärfen die Rechten ihre Positionen. Die Debatte verschiebt sich hin zur «Verteidigung» der heterosexuellen Kleinfamilie, zum Kindswohl und gegen Homosexuelle und trans Personen.

Geschlecht und Sexualität stellen sich also als besonders geeignete Themen für reaktionäre Kräfte heraus. Genau dieser Frage gehen Birgit Sauer und Otto Benz in ihrem Buch «Konjunktur der Männlichkeit – Affektive Strategien der autoritären Rechten» nach und untersuchen darin vor allem den Aufstieg der Rechten in Deutschland und Österreich. Sie sehen die Ursache für den Aufschwung der Rechten in Europa in den 80er Jahren, wo eine allmähliche Repräsentationskrise der etablierten Parteien beginnt. Dieser Krise der Repräsentation gehen massive ökonomische, politische und gesellschaftliche Veränderungen voraus, die oft als neoliberale Politik beschrieben werden und die auch von sozialdemokratischen Parteien durchgesetzt wurden. Es ist faktisch eine Reaktion des Kapitals auf die ökonomische Krise, die auf die arbeitende Bevölkerung abgewälzt wird. Um versiegende Profitquellen zu kompensieren, werden Privatisierungen, Sozialabbau und Präkarisierung von Arbeitsverhältnissen durchgesetzt. Das ist der Kontext, in dem viele «Protestparteien» entstanden, teilweise auch linke, doch mehrheitlich rechte.

Gemäss Sauer und Benz greift aber eine simple ökonomische Verunsicherungstheorie zu kurz, um den Erfolg der Rechten zu erklären. Vielmehr sei es ein «Zusammenspiel von ökonomischen Transformationen, sozialen Kämpfen und Veränderungen von Geschlechter- und Sexualitätsregimen». Die These lautet, dass die Erfolge der rechten Parteien daher rühre, dass sie konkrete Widersprüche in der Mitte der Gesellschaft aufgreifen und nicht einfach nur den «abgehängten Rand» mobilisieren. Sie thematisieren Widersprüche rund um die Arbeits- und Lebensbedingungen der Bevölkerung, die sich durch die «neoliberalen» Veränderungen verschlechtert haben. Die rechtspopulistische Strategie ist erfolgreich, weil sie Angst und Unsicherheit, die aus diesen Veränderungen entstehen, mobilisiert und diese Gefühle zu Wut auf «die Anderen» macht (leider weniger oft auf «die Oben»).

Verschiebungen in den Geschlechterverhältnissen

Neben den bekannten «neoliberalen Veränderungen», wie Abbau des Wohlfahrtsstaates, Globalisierung der Finanzmärkte, Prekarisierung und Flexibilisierung der Arbeitsbedingungen, wollen wir nun den Fokus auf fünf Veränderungen legen, die die Geschlechterverhältnisse geprägt und mitunter relevant verändert haben.

Erstens: Ab den späten 1990er Jahre entwickelte sich ein starker Zuwachs an Frauenerwerbstätigkeit, verbunden mit einer Befreiung aus der direkten wirtschaftlichen Abhängigkeit vom Ehepartner. Damit einher ging auch ein enormer Aufholprozess bei der Bildung, wodurch Frauen im deutschsprachigen Raum die Männer in diesem Bereich eingeholt, ja teilweise überholt haben. Diese beiden Prozesse haben dazu beigetragen, dass Frauen über mehr Macht und Mittel zur Eindämmung männlicher Vorherrschaft verfügen als je zuvor in der Geschichte des Kapitalismus. Gleichzeitig bestehen weiterhin gravierende strukturelle Benachteiligungen von proletarischen Frauen, die durch die neoliberalen Veränderungen nicht beseitigt, sondern im Gegenteil verstärkt wurden. Deutliches Beispiel dazu ist die meist prekäre und schlecht bezahlte Teilzeitarbeit von Frauen. Die marxistische Soziologin Christa Wichterich redet bei diesem Phänomen von «neoliberalem Empowerment»: Frauen erreichen zwar eine materielle Unabhängigkeit gegenüber den Ehemännern, sind zugleich aber mit prekarisierten Lebensumständen konfrontiert. Parallel dazu entwickelt sich die Erosion der männlichen Lohnarbeit. Einerseits wird diese ebenfalls schlechter bezahlt, andererseits sind auch immer mehr Männer im wachsenden Dienstleistungssektor tätig. Dort sind die Männer zusätzlich damit konfrontiert, dass neben dem Sachwissen auch kognitive und emotionale Fähigkeiten – die traditionell mit Weiblichkeit assoziiert werden – wichtig sind. Beispielsweise Kommunikation, Einfühlungsvermögen, Fürsorglichkeit. Diese «affektiven Kompetenzen», welche die Frauen in ihrer Sozialisation durch die unbezahlte Haus- und Sorgearbeit entwickeln, wird vermehrt auch in der Lohnarbeit kapitalistisch verwertet und somit auch von den Männern verlangt. Was für die traditionelle Männlichkeit durchaus eine Herausforderung sein kann.

Zweitens: Die Aufteilung bei der Haus- und Familienarbeit hat sich hingegen nicht signifikant verändert. Eine deutsche Studie aus dem Jahr 2017 stellt fest: «Die Wirkung von gleichstellungspolitischen Massnahmen in der Sozial- und Familienpolitik auf die Struktur der geschlechtstypisch geprägten innerfamilialen Aufteilungen können (…) nicht nachgewiesen werden». Ansehnliches Beispiel dazu ist, dass rund 66% der deutschen und 80% der österreichischen Väter keine Elternzeit beanspruchen. Frauen sind weiterhin Hauptverantwortliche für diese Arbeit, eine Mehrbelastung ist die Folge.
Drittens: Reformen des Ehe- und Familienrechts in den 1970er Jahren sorgten für Gleichberechtigung in der Ehe und erleichterten die Scheidung. Dies führt dazu, dass Gefühle wie Liebe, Begehren aber auch Verlustangst mehr denn je ausschlaggebend werden für die Partnerschaft. «Bei Männern droht dieses Gemenge an Affekten, die Angst vor Macht- und Kontrollverlust, zudem in Aggression und physische Gewalt bis hin zu Femiziden, umzuschlagen», schreiben Sauer und Benz.

Viertens: Häusliche und sexualisierte Gewalt wurde bis in die 1990er Jahre vom Staat ignoriert. Dank der erstarkten feministischen Bewegungen werden aktuell Sexismus und sexualisierte Gewalt vermehrt in einer breiteren Öffentlichkeit verhandelt. Das trägt dazu bei, dass männliche Aggressionen nun stärker durch neue gesetzliche Massnahmen eingeschränkt werden. Diese Massnahmen gegen Gewalt an Frauen und queeren Personen werden von der autoritären Rechten besonders vehement angegriffen, da sie in eine vermeintliche, vom Mann als Familienenobehaupt präsidierte Privatsphäre, eingreifen. Der Mann lässt sich so als Opfer von Verleumdungen darstellen.

Fünftens: Entscheidende Veränderungen gab es auch im Bereich der sexuellen Vielfalt. Vor nicht allzu langer Zeit wurde Homosexualität noch strafrechtlich verfolgt. Mit der «Ehe für alle» hat sie es nun in die Mitte der bürgerlichen Gesellschaft geschafft. (Paradoxerweise hat der Kampf gegen die Heteronormativität darin gemündet, das Recht auf die konventionelle Kleinfamilie für alle zu ermöglichen, was ebendiese bürgerliche Institution stärkt.) Auch andere Entwicklungen haben die Zwangsheteronormativität durchaus nachhaltig erschüttert. Sauer und Benz schreiben dazu: «Während sich das Ende des männlichen Ernährermodells seit den 1970er Jahren ankündigt, stellen jüngere Entwicklungen (des Wirtschafts- und Sozialgefüges) die Binarität der Geschlechter und die damit verbundene Hierarchisierung und biologistischen Rechtfertigungen der Ungleichheit zur Diskussion. (…) Nicht nur im Familienrecht, sondern auch in Personenstandsfragen, begann die Gesetzgebung im 21. Jahrhundert stärker die sexuelle Identität sowie die gefühlte Geschlechtszugehörigkeit zu berücksichtigen – um letztlich die binäre und biologistische Geschlechterordnung ein Stück weit zu dekonstruieren.»

Zusammenfassend sehen wir also einen widersprüchlichen Prozess, der einerseits geprägt ist durch weiterhin stark verankerte Geschlechterrollen, wie beispielsweise in der Familien- und Hausarbeit. Andererseits sehen wir Prozesse, die gewisse Rollen grundlegend in Frage stellen: Durch die ökonomische Unabhängigkeit der Frauen wird sowohl die dominante Position der Männer in der Familie wie auch in der Berufswelt aufgeweicht. Aber auch im Bereich der Sexualität und der Geschlechteridentität sehen wir substanzielle Veränderungen, die sich sowohl aufgrund von emanzipatorischen Kämpfen als auch aufgrund von ökonomischen Veränderungen entwickelt haben.

«Anti-Genderismus»

Die oben beschriebenen Veränderungen bilden den Nährboden, den rechts-autoritäre Kräfte weltweit nutzen, um mit dem Thema Geschlecht und Sexualität Politik zu machen. Vorreiter dieser Bewegung war der Vatikan, der sich 1995 aktiv gegen die UN-Frauenkonferenz in Stellung brachte, wo reproduktive Rechte für Frauen festgehalten wurden. Erst eine Dekade später entdeckten die rechts-autoritären Akteur_innen dieses Feld für populistische Mobilisierungen. Unter dem Begriff «Anti-Genderismus» (als neue Form von Antifeminismus, mit stärkerem Fokus auf genderqueere Personen), lässt sich eine globale Bewegung zuordnen, die eine vermeintlich übertriebene Gleichstellungspolitik sowie sexuelle und geschlechtliche Vielfalt und reproduktive Rechte bekämpfen will. Dazu benutzen sie den oben beschriebenen doppelten Antagonismus: «Die Oben» sind die EU, die etablierten Parteien oder das «Regenbogenimperium», die mit Gender-Mainstreaming und übertriebener Sprachpolitik eine Politik gegen «den kleinen Mann» führen. Hinter dieser Politik stecke «die totalitären Machtansprüche einer kleinen Gruppe radikaler Frauen», während die rechten Parteien sich für die «ganz normale, weisse Heterofrau» einsetzen. Der bürgerlich-liberale Feminismus, der Teil der bürgerlichen Regierungen und wirtschaftlicher Eliten ist, ist insofern Wasser auf die Mühlen der Rechten. Gleichzeitig bietet sich das Thema Geschlecht/Sexualität an, weil es als politischer Kleber für verschiedene reaktionäre Institutionen und Strömungen dient: Während sich früher gewisse Gruppen eher distanziert gegenüberstanden, so finden wir beispielsweise am «Marsch fürs Leben» von rechtsradikalen, über konservativ gemässigte, bis hin zu evangelikalen und katholischen Organisationen, alle möglichen Kräfte. Der Anti-Gender-Diskurs eignet sich, um an den konkreten «Alltagserfahrungen» anzuknüpfen und darauf die rechten Ideologien aufzubauen.

Gemeinsame Interessen ins Zentrum stellen

Auch die linke Feministin Nancy Fraser teilt eine ähnliche Analyse zu den Veränderungen der letzten Jahrzehnte: Das Kapital setzt zur Erhaltung seiner Profitraten eine immer aggressivere Liberalisierung und Globalisierung der kapitalistischen Wirtschaft durch. Dem hat eine schwächelnde Arbeiter_innenbewegung nur wenig entgegenzusetzen. Zugleich gibt es aber fortschrittliche neue soziale Bewegungen, die Hierarchien aufgrund von Geschlecht, Rasse, ethnischer Zugehörigkeit und Religion überwinden wollen. Daraus entsteht ein überraschendes Ergebnis: Ein «progressiver Neoliberalismus», wo Emanzipation und Freiheit mit Vermarktlichung kombiniert werden, um den sozialen Schutz auszuhebeln. Genau da setzen die Rechten an: Sie mobilisieren Verunsicherung und Angst und lenken sie auf die Emanzipationsbewegungen, statt gegen das Kapital und die Wirtschaft. Damit verschleiern sie, dass ihre Programme meist genauso wirtschaftsfreundlich sind wie die der etablierten Parteien. Die berechtigte Wut auf die Herrschenden wird instrumentalisiert, um sie auf Frauen und LGBTIQ-Personen abzuwälzen – und zwar systematisch und weltweit.
Die zunehmende Prekarisierung und Liberalisierung der Arbeits- und Lebensbedingungen der proletarischen Bevölkerung stellen eine Bedrohung für die gesamte Klasse dar. Aktuelle Verschlechterungen in der Gesundheitsversorgung treffen sowohl trans Personen, die auf geschlechtsaffirmative Behandlungen angewiesen sind als auch proletarische und migrantische Frauen, welche den Grossteil der in diesem Sektor prekär angestellten Arbeiter_innenschaft stellen. Die Gentrifizierung unserer Städte verunmöglicht es, marginalisierten Menschen, ob trans, arm und/oder migrantisch, Wohnraum zu finden. Und Alleinerziehende mit schmalem Budget bleiben ebenso auf der Strecke.

Es braucht eine klare Abgrenzung vom herrschenden bürgerlichen Feminismus. Frauen und LGBTIQ-Personen mehr Sichtbarkeit und Anerkennung zu bieten, genügt nicht. Unsere Antwort auf diese Entwicklung ist klar: Für die freie Entfaltung von allen Menschen braucht es materielle Sicherheit. Es gilt, Kämpfe gegen Frauenunterdrückung, für sexuelle Vielfalt und diverse Geschlechtsidentitäten, mit Kämpfen für unsere materiellen Interessen zu verbinden. Schlussendlich ist es das Bedürfnis nach gutem Wohnraum, Bildung und Gesundheit, sowie guten Arbeitsbedingungen, das wir mit der gesamten arbeitenden Klasse teilen. So können wir aufzeigen, dass unser «Wir» ein proletarisches Kollektiv ist, welches sowohl die Kleinfamilie, die alleinerziehende Mutter, den Arbeiter im Betrieb, die migrantische trans Person oder den geflüchteten Schwulen mit einbezieht.

aus: aufbau 116