Die Schulen kämpfen mit einer Ressourcen- und Personalkrise. Die komplexe Maschine klemmt an vielen Zahnrädern. Viele Lehrpersonen sind frustriert und wütend. Seit einigen Monaten entwickeln sie zunehmend ihre Kampffähigkeit.
(az) Ende März ist Stichtag für Kündigungen von Lehrpersonen für das kommende Schuljahr. Dutzende Schulleitungen im ganzen Kanton Zürich bibbern um ihr Personal. Die Fluktuation von Lehrpersonen ist immer noch hoch, viele werden pensioniert, Abgänge können nur mit viel Glück gut ersetzt werden. Viele Lehrpersonen landen im Erschöpfungszustand oder schützen sich auf eigene Kosten mit Pensenreduktionen oder einer längeren Auszeit. Als nun Dauer-Notlösung dürfen ab Sommer, das dritte Schuljahr in Folge, unausgebildete Personen unterrichten.
Die Schule brennt – so formuliert es die Basisgruppe krilp, Kollektiv der kritischen Lehrpersonen. Mit guten Gründen: Die Aufgaben der Schulen und somit auch der Lehrpersonen wurden in den letzten 15 Jahren konstant ausgebaut. Die Schüler_innen sollen sich bilden können und gleichzeitig für die Arbeitswelt fit gemacht werden. Das soll alles genau dokumentiert werden. Die in der Wirtschaft erforderlichen Kompetenzen sollen einerseits vermittelt und dabei auch noch die Eigeninitiative der Kinder und Jugendlichen aktiviert werden. Gesellschaftlich hat die Schule auch eine früherkennende Funktion und ist damit auch Projektionsfläche für Prävention und Intervention bei allen möglichen gesellschaftlichen Problemen. Die Kinder und Jugendlichen sollen vor den Gefahren der digitalen Technologien geschützt werden und auch Schüler_innen mit Lernschwierigkeiten und Verhaltensauffälligkeiten sollen integrativ unterrichtet werden. Die Eltern und ihre Kinder sollen sozial und psychologisch abgeklärt, gestützt und in Erziehungsfragen beraten werden. Mit dem Konzept der Tagesschulen sollen Eltern für mehr Arbeit frei gemacht werden, während Kinder sich in einer gut ausgestatteten «Bildungslandschaft» Schule selbstgewählt pädagogisch wertvollen Freizeitaktivitäten widmen können.
Die Ressourcen zur Bewältigung dieser Aufgaben sind nicht ansatzweise genug ausgebaut. Viele Klassenlehrpersonen unterrichten immer noch alleine, obwohl es längst zwei oder mehr Personen im Unterricht, für administrative Aufgaben und zur Begleitung der Schüler_innen bräuchte. Die Ressourcen für Heilpädagog_innen werden nur aus kantonalen Kontingenten verteilt und nicht dem Bedarf vor Ort angepasst. Schulen mit vielen fremdsprachlichen Kindern bekommen einen Fremdsprachen-Status (QUIMS) und Fremdsprachen-Lehrpersonen (DAZ), angesichts des Integrationsbedarfs nur Tropfen auf den heissen Stein. Zurzeit kommen zusätzliche jedes Jahr noch Aufnahmeklassen für Schüler_innen mit besonderem Integrationsbedarf hinzu, auch sie sind knapp ausgestattet. Die vor rund 15 Jahren eingeführte Schulsozialarbeit ist notorisch unterdotiert, weil die Ressourcen nach einem statistischen Schlüssel berechnet werden, der einerseits den Grundbedarf viel zu knapp berechnet und andererseits soziale Ungleichheit viel zu wenig miteinbezieht. Insbesondere bei sozialen und integrativen Themen sind viele Schulen also nicht mit den nötigen Mitteln ausgestattet. Nicht bearbeitete Probleme werden chronisch. Das wiederum strapaziert Schulsozialarbeitende und Schulpsycholog_innen, die z.B. chronische Stresszustände und psychische Probleme triagieren bzw. bearbeiten.
Die Schule brennt, ja. Neben der Schule stehen auch Horte, Tagesschulen, Kitas, sozialpädagogische Heime, Kriseninterventionen und Psychiatrien in Flammen. Es ist eine Krise der gesellschaftlichen Reproduktion mit noch vielen weiteren Gesichtern. Eine im Kapitalismus veranlagte und politisch gewollte Krise mit grossem menschlichem Leid als Resultat.
Abgrenzung und Anpassung
Wer auch mit Menschen arbeitet oder Kinder hat, kennt die Herausforderungen der Lehrpersonen: Sie ermöglichen, vermitteln und geben Halt. Sie halten viele Verhaltensweisen aus, die ihre Ursache in den verschiedenen Entwicklungsschritten der Sozialisation haben. Abgrenzungsfähigkeiten sind darum bis zu einem gewissen Mass auch normal oder gar arbeitsnotwendig. Die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen ist ohnehin schon manchmal krisenhaft, doch multipliziert sich das, wenn die Ressourcen im System, bei den Kindern oder zuhause fehlen. Der Stress bei den Lehrpersonen nimmt zu und Hilfestrukturen können im aktuellen Kontext wegen Überlastung oft nicht adäquat reagieren. Diese Fälle summieren sich, belasten Mitschüler_innen, die Schulklasse und können auch auf den ganzen sozialen Raum Schule ausstrahlen. So reproduziert sich soziale Ungleichheit und sammelt sich verstärkt in proletarisierten, sozio-ökonomisch schwächeren Quartieren.
Die Kinder und Jugendlichen selber haben eine erstaunliche Anpassungsfähigkeit. Wenn sie sich jedoch an prekäre Zustände anpassen müssen, führt das z.B. zur Übernahme von grenzverletzendem Verhalten, zu Mobbing, zu psychischen Auffälligkeiten oder zu Schulabsentismus. Die Aufarbeitung dieses erlernten Verhaltens wird viele von ihnen lange beschäftigen und ist sehr ressourcenintensiv.
Personalisierter Unterricht und selbstreguliertes Lernen ist auf der besonders betroffenen Sekundarstufe nach wie vor aufwändiger, darum wird immer noch verhältnismässig viel klassisch «frontal» unterrichtet. Da Zeit für angemessene Aufarbeitung fehlt, wird auf Verhaltensauffälligkeiten manchmal autoritär statt bildungsorientiert reagiert. In grossen Klassen, im Kanton Zürich von Gesetzes wegen bis zu 28 Kinder oder Jugendliche, ist individuelle Förderung sowieso nahezu ein Ding der Unmöglichkeit. Es ist nicht überall so, aber viel zu oft. Auch Gymnasien oder Berufsschulen sind betroffen: Der Leistungsdruck führt dort zu einem hohen Stresslevel mit entsprechenden psychischen Begleiterscheinungen. Viele Gymnasien führen zudem gerade erst Schulsozialarbeit ein. Ein Teil des Personals in der Schule geht mit dem Widerspruch zwischen Anforderungen und Ressourcen individualisiert um: Wer es gelernt hat, grenzt sich ab, um nicht selbst auszubrennen.
Zunehmende Kampfbereitschaft
Die Widersprüche im Schulsystem und die Ressourcenknappheit landen schlussendlich im Alltag bei den Lehrpersonen. Neben denen, die sich anpassen und abgrenzen, gibt es auch solche, die sich ein weiteres Handlungsfeld im Umgang damit erschliessen: Aktivismus und Arbeitskampf. Noch tun es beschränkt viele in der Deutschschweiz, aber Tendenz zunehmend und z.T. an unerwarteten Orten. Im Kanton Schwyz demonstrierten erst im Februar 600 Lehrpersonen für Entlastung und Aufwertung des Berufs. In der Romandie gab es um den Jahreswechsel herum eine regelrechte Arbeitskampfwelle.
In der Deutschschweiz sind auch Lehrpersonenverbände medial präsenter, schlagen Alarm und fordern in vier Kantonen mit Petitionen mehr Bildungsqualität. Der Stil eines Berufsverbandes mit stärker fachlich-technischen («Ja zu Bildungsqualität») und weniger politischen Stossrichtung, lässt wiederum links Platz für selbstorganisierten Aktivismus. Den Füllen in Zürich zurzeit die kritischen Lehrpersonen (krilp). Sie entstanden rund um den feministischen Streik 2019. Wie auch in anderen selbstorganisierten Basisgruppen (wie z.B. Kriso oder Trotzphase) zu beobachten, argumentieren sie zeitgleich fachlich und politisch – sie verknüpfen also Arbeitsbedingungen, Qualitätsfragen und gesellschaftliche Kritik.
Nun blasen sie zur Offensive: Für eine Bildungsdemonstration am 1. Juni 2024 proben sie den Schulterschluss mit anderen Basisgruppen wie der Kriso (Sozialarbeitende) und der Trotzphase (Kita-Angestellte), sowie der Gewerkschaft VPOD, um die Kritik und Forderungen gemeinsam auf die Strasse zu tragen. Es werden also die ganze Bandbreite von Bildungsarbeitenden mobilisiert. Von der vorschulischen Betreuung, über die Volksschule, schulergänzende Betreuung, Schulsozialarbeit, bis hin zur Sozialpädagogik und den Schulpsycholog_innen. Initiativen wie diese sind immerhin ein erster Schritt aus der Ohnmacht. Es stimmt positiv, dass sich die Aktiven der verschiedenen Bereiche der Care-Arbeit nun aktiv aufeinander beziehen. Mögen ihre Bemühungen offensiv, kampfbereit, ausdauernd und erfolgreich sein.
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