11 Thesen zum revolutionären Kampf um die Natur

Pour la version française, clique sur ce lien.

Die durch den fossilen Kapitalismus ausgelöste Klimakrise schreitet unverzüglich voran und bedroht menschliches Leben weltweit, besonders stark betrifft sie jedoch diejenigen Menschen im Globalen Süden und diejenigen aus den unteren Klassen. Doch es regt sich Widerstand im Namen der Natur gegen die ausbeutenden Klassen. Was charakterisiert den Kampf für/um die Natur? Wie steht es um das Verhältnis von Mensch zu Natur? Um eine Basis zu schaffen für die praktische Arbeit des Aufbaus zu den Themen Klimakrise und Ökologie, haben wir uns mit solchen und weiteren Fragen auseinandergesetzt. Aus diesem Prozess sind 11 Thesen entstanden, welche uns nun als Arbeitsgrundlage dienen. Sie sind thematisch eng aneinandergebunden und sollten als Ganzes gelesen werden. Die Thesen sollen nicht als allumfassend und abgeschlossen verstanden werden. Wir freuen uns über Rückmeldungen und solidarische Kritik.

11 Thesen zum revolutionären Kampf um die Natur

  1. Der Mensch ist ein Teil der Natur. Zugleich ist er in der Natur eine Besonderheit, da er sein eigenes Verhältnis zur Natur erkennen und diese bewusst umgestalten kann. Das zeichnet ihn vor der übrigen Natur aus.
  1. Den Menschen erschien die von ihnen nicht kontrollierbare Natur als eine blinde und irrationale Macht, die ihnen gegenüberstand. In einem Jahrtausende langen Kampf lernten sie diese immer besser zu beherrschen. Diese Herrschaft und ihr Heraustreten aus der Natur bezahlten sie jedoch mit dem Entstehen einer «Art zweiter Natur» (Lukacs) «deren Ablauf ihnen mit derselben unerbittlichen Gesetzmäßigkeit entgegentritt, wie es früher die irrationellen Naturmächte getan haben.» Diese zweite Natur sind die kapitalistischen Produktionsverhältnisse.
  1. Die Produktion unter kapitalistischen Verhältnissen wird durch den Zweck des Profits bestimmt. Sie abstrahiert daher von den konkreten Gebrauchswerten und der konkreten Arbeit. Welche Ware produziert wird ist nicht entscheidend, da die Ware als Träger von Tauschwert produziert wird. Natur wird in diesem Produktionsprozess als Produktionsmittel oder Arbeitsgegenstand einverleibt unter Abstraktion von ihren konkreten Qualitäten, ihren eigenen Gesetzen und den Auswirkungen auf sie selbst. Für den Zweck der Produktion, die Erzielung von Profit, ist es irrelevant, ob dabei ein Schaden an Natur und Mensch entsteht. Wo die Natur selbst zur Ware wird, ist sie bloss noch ein Träger von Tauschwert, ein Mittel zur Erzielung von Profit.
  1. Das Kapital ist aufgrund seiner Funktionsweise zur Akkumulation also zum Wachstum gezwungen. Am Ende jedes Produktionsprozesses muss mehr Profit herausspringen, als zu Beginn Investition nötig war. Aufgrund der Konkurrenz kann sich kein Einzelkapital diesem Zwang zum Wachstum entziehen, der Vorteil der Konkurrenten würde über kurz oder lang seinen Untergang bedeuten. Dieser Zwang zum Wachstum ist direkt verantwortlich für die zunehmende Zerstörung der Natur. Die kapitalistischen Produktionsverhältnisse werden allerdings nicht bewusst eingegangen, sondern erscheinen als ökonomische Sachzwänge. Ob einzelne Verantwortliche auch ein «ökologisches Bewusstsein» haben, spielt daher keine Rolle. «Die kapitalistische Produktion entwickelt daher nur die Technik und Kombination des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, indem sie zugleich die Springquellen alles Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter.» (Karl Marx)
  1. Dass der Kapitalismus zwangsläufig die Natur und damit sich selbst zerstört, ist eine falsche Zusammenbruchtheorie. So haben sich auch frühere Vorhersagen eines automatischen Untergangs des Kapitalismus als irrig erwiesen, die sich auf ökonomische Gesetzmässigkeiten gestützt hatten. Der Kapitalismus hat sich seit seinem Bestehen als sehr wandlungs- und anpassungsfähig erwiesen und alle Vorhersagen seines automatischen Unterganges als falsch. Hier zeigt sich insbesondere die Funktion des Staates als «ideeller Gesamtkapitalist», der das Kapital vor sich selbst zu schützen weiss. Doch das Überleben der Natur unter der Herrschaft des Kapitals ist ein blosses Dahinvegetieren: Voranschreitende Zerstörung von Lebensräumen, Ausrottung von Tieren und Pflanzen, Verödung von Landstrichen, Verpestung der Luft, Verschmutzung des Wassers, Vervielfachung von extremen Wetterphänomenen wie Überschwemmungen, Dürren, Wirbelstürmen und Bränden – all das sind die augenscheinlichen Auswirkungen dieser Herrschaft. Sie betreffen besonders die unteren Klassen und die ausgebeuteten Länder des Trikonts, daher ist der Kampf gegen die Naturzerstörung in erster Linie ein Klassenkampf. Das subjektive Interesse des Proletariats gegen die Naturzerstörung zu kämpfen trifft aber hier mit dem objektiven Interesse der gesamten Menschheit zusammen.
  1. Wenn wir von Kapitalismus sprechen, meinen wir ein gesellschaftliches Verhältnis. Im Kern geht es nicht um Fragen von Verteilung und Eigentum, sondern um die Art, wie Menschen zueinander in Beziehung treten. Ebenso bestimmen die kapitalistischen Produktionsverhältnisse aber auch das Verhältnis der Menschen zu der Natur. Das heisst, im Kern geht es nicht um ein Abmildern der Naturzerstörung oder um alternative Technologien, sondern es geht darum, das Verhältnis der Menschen zur Natur zu ändern. Daher kann es in der Frage der Ökologie auch keine technischen Lösungen geben.
  1. Technik ist nicht neutral, sondern geprägt von ihren gesellschaftlichen Bedingungen. Das zeigen besonders auch die sozialistischen Erfahrungen in der Sowjetunion und in China. Die revolutionäre Linie der chinesischen KommunistInnen kritisierte die Übernahme von kapitalistischen Produktionstechniken im Sozialismus und suchte praktische Alternativen dazu. Sie hat aufgezeigt, dass die Übernahme der Technik des Kapitalismus auch ein entsprechendes Bewusstsein mit sich bringt. Das betrifft die Beziehungen zwischen den Menschen ebenso wie die Beziehung zur Natur. Auch wenn damals ein Bewusstsein über ökologische Fragen höchstens ansatzweise vorhanden war, können wir methodisch viel aus diesen Erfahrungen lernen.
  1. Fragen des individuellen Konsums nützt das Kapital als moralisches Ablenkungsmanöver, um die Verantwortung für die Umweltzerstörung auf Einzelne abzuwälzen. Sie verschleiern den gesellschaftlichen Charakter der ökologischen Frage und dürfen nie im Zentrum stehen. Dass in der Umweltbewegung bereits heute nach einem neuen Verhältnis zur Natur gesucht wird, ist aber als eine Reaktion auf die Entfremdung von der Natur unter der Herrschaft des Kapitals zu sehen und damit ein Vortasten in die richtige Richtung.
  1. Die Natur ist kein Subjekt im Kampf, was diesen Kampfbereich von allen anderen unterscheidet (daher ist auch der Kampf für die Tiere nicht mit dem Klassenkampf vergleichbar). Die Umweltbewegung kämpft für die Natur, die selbst nicht kämpfen kann. Da der Mensch allerdings auch ein Teil der Natur ist, ist der Kampf um die Würde der Natur auch ein Kampf um seine eigene Würde.
  1. Die Ursache der Umweltbewegung kann nicht auf eine abstrakt-wissenschaftliche Kritik an Klimawandel oder Erderwärmung reduziert werden. Die Bewegung kämpft nicht nur gegen die Zerstörung der Natur, sondern sie kämpft auch für die Natur. Es besteht offensichtlich ein starker positiver Bezug zur Natur, welcher diesen Bewegungen Kraft und Entschlossenheit gibt. Dieser positive Bezug entsteht aber auch, da die Natur als Gegensatz zu den gesellschaftlichen Verhältnissen empfunden wird, die das Kapital hervorbringt. Lukacs schreibt über diese Bedeutung des Begriffs Natur: «Es handelt sich dabei in steigendem Maße um das Gefühl, dass die gesellschaftlichen Formen (die Verdinglichung) den Menschen seines Wesens als Menschen entkleiden, dass, je mehr Kultur und Zivilisation (d. h. Kapitalismus und Verdinglichung) von ihm Besitz ergreifen, er umso weniger imstande ist, Mensch zu sein. Und die Natur wird – ohne dass die völlige Umkehrung der Begriffsbedeutung bewusst geworden wäre – zu dem Behälter, in dem sich alle diese gegen die zunehmende Mechanisierung, Entseelung, Verdinglichung wirkenden inneren Tendenzen zusammenfassen.»
  1. Die Trennung zwischen Mensch und Natur kann nicht rückgängig gemacht werden. Doch das Verhältnis ist ein dialektisches. Der Mensch ist zugleich Teil und Nicht-Teil der Natur. Unter dem Kapital erscheint die Trennung jedoch zunehmend absolut. Der Mensch entfremdet sich immer stärker von der Natur und damit auch von sich selbst. Als Reaktion auf diese Entfremdung gibt es aber auch immer Versuche, sie zu überwinden. Bereits die Arbeiterbewegung des 19. Jahrhunderts kannte Naturvereine und der Versuch, ein neues Verhältnis zur Natur zu finden, ist wichtiger Bestandteil der Umweltbewegung. Es kann kein Zurück-zur-Natur geben im Sinne einer ursprünglichen Einheit mit der Natur. Aber es kann ein Vorwärts-zur-Natur geben im Sinne einer dialektischen Aufhebung der Trennung, ein vorwärts zu einer differenzierten Einheit mit der Natur und eines Verhältnisses der Kooperation.

«Und so werden wir bei jedem Schritt daran erinnert, dass wir keineswegs die Natur beherrschen, wie ein Eroberer ein fremdes Volk beherrscht, wie jemand, der außer der Natur steht, sondern dass wir mit Fleisch und Blut und Hirn ihr angehören und mitten in ihr stehen, und dass unsere ganze Herrschaft über sie darin besteht, […] ihre Gesetze erkennen und richtig anwenden zu können. […] Je mehr dies aber geschieht, desto mehr werden sich die Menschen wieder als Eins mit der Natur nicht nur fühlen, sondern auch wissen.» (Friedrich Engels)