Städtische Zentren im Visier der «Naxaliten»

INDIEN Die CPI (Maoist) ist wohl eine der  bedeutendsten revolutionären Kräfte weltweit. Die indische Bourgeoisie tut alles, um sie zu bekämpfen. Polizeiliche Sondereinheiten werden geschaffen, Bürgerwehren aufgebaut und ganze Landstriche entvölkert. Trotz der massiven Repression, ist die maoistische Bewegung in Indien nicht aufzuhalten und verbreitet sich nun auch kontinuierlich in den Städten.

(agkk) Gemäss dem Konzept des langandauernden Volkskrieges in einem bäuerlich und halbfeudal dominierten Land, operiert die CPI (Maoist)i vorwiegend auf dem Land. Das Konzept sieht vor, die Städte vom Land her einzukreisen. Ziel ist die Neue Demokratische Revolutionii in einem ersten, der Aufbau des Sozialismus in einem weitergehenden Schritt. Doch durch die sich objektiv verändernden Bedingungen, dem Erstarken der proletarischen Bevölkerung, dem Anwachsen der Städte und ihrer industriellen und ökonomischen Bedeutung in Indien, richtet die Partei ihr Augenmerk mehr und mehr auch auf die städtische Politik.
Der neue Rahmen für diese Politik sind ebenso die Entwicklung von sog. Sonderwirtschaftszonen (SEZ) und die Umwandlung von Ackerland in Industriezonen. Nicht weniger als 250 Vorschläge für SEZ in 21 indischen Staaten liegen der Regierung zur Genehmigung vor. Gegen die SEZ existieren allerdings grosse Massenbewegungen, denn es werden dafür auch gewaltsame Vertreibungen vorgenommen, minimale ArbeiterInnenrechte ausgeschaltet und keine oder minimale Steuern für die Kapital-EigentümerInnen erhoben.
In ihrem Papier CPI (Maoist) Urban Perspectiveiii erläutert die Partei die Veränderungen auf objektiver und subjektiver Ebene, kritisiert ihre vergangenen Fehler und stellt ein korrigiertes Konzept für die urbanen Gebiete vor. Die Partei leistet damit eine originäre Antwort auf die konkrete Situation des heutigen Indiens. Damit gelingt es ihr offensichtlich, immer grössere Massen von einer revolutionären Alternative zu überzeugen.
Die CPI (Maoist) operiert insbesondere im Osten des Landes, wo sich eine befreite, «rote» Zone von der nepalesischen Grenze im Norden quer durch das Land bis in den Süden in den Bundesstaat Karnataka zieht. In diesen ärmsten, sehr ländlich geprägten Regionen, in der die in Stämmen lebenden Ureinwohner beheimatet sind, hat die maoistische Bewegung den bürgerlichen Staat ersetzt und ihre eigenen Räte eingesetzt, welche die lokalen Angelegenheiten regeln. Die Menschen organisieren hier Produktion, Bildung und Kultur, Verwaltung und Justiz mittels Volkskomitees.CPI (Maoist) Urban Perspective
In ihrem Text belegt die CPI (Maoist) ihre erhöhte Konzentration auf die Städte mit einigen Zahlen, um die objektive Situation zu beleuchten. So leben heute in Indien bereits 27.5% der Bevölkerung in Städten. Während 1950 noch 56% der Produktion auf die Landwirtschaft fiel, sind es heute noch weniger als 25%. Die CPI(M) sagt dazu grundsätzlich: «Wir sollten nicht die Wichtigkeit der Tatsache unterschätzen, dass die Städte starke Zentren des Feindes sind. Das Aufbauen einer starken revolutionären Bewegung heisst, dass unsere Partei ein Netzwerk aufbauen sollte, welches fähig ist, fortwährend unseren Kampf zu führen bis der fortgeschrittene Volkskrieg die Ebene der strategischen Offensive erreicht. Aufgrund dieser langfristigen Perspektive sollten wir eine geheime Partei, eine geeinte Front und bewaffnete Teile des Volkes entwickeln; den Klassenkampf in den urbanen Gebieten intensivieren und die Unterstützung Millionen städtischer Massen für den Volkskrieg mobilisieren.»
Innerhalb der Städte findet ein Prozess der De-Industrialisierung statt. Arbeitsstellen in Fabriken werden durch neue  Banken, ITiv- und andere Dienstleistungen ersetzt. Entlassene ArbeiterInnen werden arbeitslos oder werden gezwungen, unsichere, temporäre Jobs anzunehmen. Auch die jungen Leute arbeiten meist temporär. Seit den 80er Jahren hat sich die Situation der Frauen verschlechtert, die oft zu kleineren Löhnen angestellt werden. Als Folge dieser Prekarisierung der Lebens- und Arbeitssituationen kommt es nicht selten zu militanten Strassenkämpfen.
Die Partei sieht es als ihre Aufgabe, das Proletariat in den Städten als führende Kraft aufzubauen und zu organisieren. Von dort werden Kader aufs Land geschickt, um die enge Verbindung zwischen Proletariat und bäuerlichen Massen zu gewährleisten. Sie verweist auf ein dialektisches Verhältnis zwischen der Entwicklung der städtischen Bewegung, wo der bedeutende Teil der Führung rekrutiert werden muss, und der Entwicklung des Volkskrieges auf dem Land.
Die CPI (Maoist) findet sich mit der Tatsache konfrontiert, dass sie in den Städten eine schwache Position einnehmen, der Staat jedoch stark ist. Sie sehen sich dort primär in der Defensive und arbeiten darauf hin, die Kräfte der Partei zu bewahren und weiter aufzubauen, gleichzeitig aber auch die urbanen Massen auf den revolutionären, bewaffneten Kampf hin vorzubereiten. Eines der Mittel für diese Arbeit sind verschiedene Massenorganisationen mit unterschiedlichem Charakter. Die Partei unterscheidet zwischen: a) verdeckten revolutionären Massenorganisationen, die nur im Untergrund operieren und die Linie der Partei propagieren. Diese rekrutieren ihre Kräfte hauptsächlich aus der Jugend, der Studentenschaft und der ArbeiterInnen. Neben Plakaten, Broschüren, etc. werden auch militante Aktionen als Teil der Propaganda verstanden; b) offenen und halboffenen revolutionären Massenorganisationen, die die Politk der Neuen Demokratischen Revolution offen propagieren und die Bevölkerung auf den bewaffneten Kampf vorbereiten. Sie benutzen legale Möglichkeiten in Situationen, wo die Repression noch nicht allzu stark ist. Die führenden Kräfte werden jedoch verdeckt gehalten; c) offene legale Massenorganisationen, die keine direkte Verbindung zur Partei haben. Hier wird entweder Fraktionsarbeit geleistet, oder eigene Organisationen aufbaut, wo keine solchen bestehen zu Themen wie Frauendiskriminierung, Anti-Imperialismus, gegen das Kastensystem, u.a.
Am Ende des Papiers verkündet die CPI (Maoist) den Beginn einer Kampagne zur urbanen Perspektive. In den Partei-Komitees soll grösseren Wert auf die Spezialisierung zu urbanen Klassen gelegt werden; gesamtindische und bundesstaatliche Pläne verfasst werden; die breite Mobilisierung der städtischen Klassen verstärkt werden; und eine Front zwischen Bauern und ArbeiterInnen geschaffen werden, um die gegenseitige Solidarität zu stärken.Vom Feind bestätigt
Gemäss einer Analyse des Institute for Defence Studies & Analyses (IDSA)v gelang es der CPI (Maoist) den Volkskrieg in ganz Indien vorwärts zu bringen. Die People’s Liberation Army (PLA), der militärische Arm der Partei, sei gestärkt und über die militanten Massenbewegungen gegen Globalisierung und Privatisierung seien neue Kader gewonnen worden. Gemäss offiziellen Angaben sind die «Naxaliten»vi heute in 18 der 28 Bundesstaaten aktiv. Der Analyse ist zu entnehmen, dass am 9. Kongress der Partei im Februar 2007 über 100 maoistische Führungspersonen aus 16 indischen Bundesstaaten, drei nepalesischen MaoistInnen und je ein Aktivist aus Bangladesch und den Philippinen teilnahmen. Dort wurde entschieden, den bewaffneten Kampf auf städtische, insbesondere industrialisierte Gebiete auszudehnen. Das Papier stellt fest, dass trotz massiver staatlicher Sicherheitsvorkehrungen an der Jharkand-Orissa-Grenze der Kongress erfolgreich abgehalten werden konnte und die Aufstandsbekämpfung der Regierung und deren Intelligenz in Frage zu stellen sei.
Den MaoistInnen wird attestiert, dass sie mit flexibler Taktik auf die Besonderheiten verschiedener Regionen reagieren. Es werde nicht etwa abrupt der bewaffnete Kampf aufgenommen, sondern Schritt für Schritt graduelle Konsolidierungen vorgenommen, die revolutionäre Gewalt den Gegebenheiten der Region angepasst. Die lokalen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Bedingungen und die Schwachstellen des Feindes würden sorgfältig analysiert. In ungünstigen Bedingungen bevorzugten die MaoistInnen ein niedriges Profil. Wenn die Situation es rechtfertige, beschränke die Partei die Bewegungen auf politische Mobilisierungen und thematisiere lokale Probleme durch die Front-Organisationen.Demoralisierte Elite-Einheiten
Die indische Bourgeoisie, respektive ihre Schergen in Form von sogenannten «Anti-Rebellen»-Sondereinheiten, rüsten ihre Kapazitäten stetig auf. Doch diese erleiden durch Angriffe der MaoistInnen empfindliche Schläge. So wurde beispielsweise nachts das Haus eines ranghohen BJPvii-Führers angegriffen. Als anderntags eine Sondereinheit ausrückte, um die GenossInnen aufzureiben, wurde die ganze Sondereinheit aus einem Hinterhalt  erschossen. Ein ähnlich kühner Angriff auf ein Motorboot forderte 35 tote sowie dutzende verletzte Polizisten. Die stets zunehmenden erfolgreichen Angriffe führen zu einer totalen Demoralisierung der Beamten. Viele weigern sich, weiter zu kämpfen oder müssen mit Sonderprämien bei der Stange gehalten werden.
Mit Blockaden von Strassen und Eisenbahnlinien und dem vertreiben der Polizei erreicht die Bewegung ebenfalls eine Abschreckung für potentielle Investoren, die sich diese ärmsten Regionen Indiens gerne unter den Nagel reissen würden, da sie reich an lebenswichtigen Ressourcen wie Kohle und Eisen sind. Die bürgerliche Zeitung Panthic Weeklyviii sieht in den viel beachteten Aktionen der Peoples Liberation Army der CPI(Maoist) gar einen qualitativen Sprung vom Guerillakrieg zum Bewegungskrieg.Verbranntes Land, bewachte Lager
Eine andere Methode, um die Bewegung zu liquidieren, ist Salwa Juddum. Salwa Juddum ist eine Art Bürgerwehr, die 2005 vom Staat zur Unterstützung der Polizei im Dschungelkrieg geschaffen wurde. Diese geht gnadenlos gegen die Stammesangehörigen, die Adivasi, vor. Bei ihren Feldzügen durch den Dschungel vertreiben diese und die sog. Special Police Force die Adivasi aus ihren Gebieten und stecken sie in scharf bewachte Lager. Allein im Distrikt Danteware in Chhattisgarh sind bereits 644 Dörfer verlassen. Verbrannte Dörfer, vergewaltigte Frauen und Erschiessungen sind an der Tagesordnung. Die Camps gleichen Slumsiedlungen, in denen die Ureinwohner dahinvegetieren, ohne Arbeit und Perspektiven.Auch die Schweiz profitiert
Dieses Jahr feiern Indien und die Schweiz ihren 60jährigen Freundschaftsvertrag, der insbesondere auf wirtschaftlichen Interessen beruht. Zu den schweizer Pionierfirmen, die ersten grösseren Investoren nach der «Unabhängigkeit», gehörten die Maschinenfabrik Oerlikon-Bührle, die Eisenbahnwagon-Produzenten Schlieren und Schindler und die Textilindustrie-Firmen Sulzer und Rieter. Der Pharmakonzern Ciba richtete Ende der 1950er Jahre in Bombay das grösste Forschungslaboratorium Asiens ein. Bereits während der Kolonialzeit waren Nestlé, Geigy und Brown Boveri da und bauten ihre Präsenz ständig weiter aus. Die Swissair war das erste Luftfahrtunternehmen, das einen Teil seiner Buchhaltung und seiner Reservations-Systeme nach Bombay auslagerte.

2007 exportierte die Schweiz Waren im Wert von 2,3 Milliarden Franken nach Indien, 22,3% mehr als gegenüber 2006. Mit dem geplanten Freihandelsabkommen könnten es bald noch viel mehr sein.
Es existieren grosse staatlich geförderte Projekte im Bereich des Wissenschaftsaustausches der beiden ETH mit den Indian Institutes of Technology (IIT) und seit 20 Jahren die Zusammenarbeit im Bereich der Biotechnologie.
Und selbstverständlich haben Firmen wie z.B. ABB grosses Interesse daran, in den Sonderwirtschaftszonen Sonderprofite erwirtschaften zu können. Der Konzern Rieter beschäftigt heute 650 Angestellte in reinen Rieter-Firmen und 450 Leute in Joint-Venture-Unternehmen. «Das Land ist einer unserer Schlüsselmärkte», meint der Chef von Rieter Indien, Michael Enderle.

Solidarität ist eine Waffe

Wir sind von dieser Analyse der CPI(Maoist) überzeugt, da sie die sich ändernden Bedingungen in Indien mit einbezieht. Nach einer vertieften Auseinandersetzung mit dem Papier werden wir weiter in dieser Zeitung darüber berichten.
Wer sich weitergehend für die CPI (Maoist) und ihren Kampf interessiert, soll sich nicht scheuen, mit uns Kontakt aufzunehmen. Wir sind gerne bereit, Informations-Veranstaltungen mit Filmvorführungen zu organisieren und Solidaritätsaktionen zu unterstützen. Des Weiteren vertreiben wir eine Broschüre zur Situation in Indien, mit einem beigelegtem Film zum indischen Volkskrieg.

Fussnoten

 

[1]  Kommunistische Partei Indien (Maoistisch)

[2]Die «neudemokratische» Revolution wurde von Mao Tse-Tung für halbkoloniale, halbfeudale Länder entwickelt, da die Bedingungen für eine proletarische Revolution fehlen. Ihr Ziel ist die Verjagung der imperialistischen Mächte, die Zerstörung des Grossgrundbesitzes und Verteilung des Bodens an die BäuerInnen sowie die Enteignung des Grosskapitals.

[3]  http://resistanceindia.wordpress.com/2007/10/30/cpi-maoist-urban-perspective/

[4]  Informations-Technologie

[5]  www.idsa.in/publications/stratcomments/NiharNayak060307.htm

[6]  Der Name bezieht sich auf den Ursprung des maoistischen Aufstandes im Dorf Naxalbari, Westbengalen, 1967

[7] Bharatiya Janatha Party (Hindu-faschistische Partei)

[9]  http://naxalrevolution.blogspot.com/2006/09/blazing-trail-journey-through-indian.html