Berichte aus der Arbeitskampfzone Serbien

(az) Am Freitag den 5. März besuchen drei VertreterInnen von Arbeitskämpfen in Serbien Zürich. Jemand vom «Koordinationskomitee für den ArbeiterInnenwiderstand in Serbien» und die zwei Vorsitzenden des TextilarbeiterInnenverbandes. Alle drei waren und sind in Kämpfen aktiv, alle drei haben Kampferfolge miterlebt, die niemand erwartet hätte und die Signalwirkung haben. In Serbien stehen gegenwärtig schätzungsweise 30’000 ArbeiterInnen im Kampf und die Organisierung der Kämpfe schreitet voran. Es bietet sich die einzigartige Gelegenheit, direkten Einblick in die Geschehnisse zu erhalten.

 Im Norden: Koordinationskomitee für den ArbeiterInnenwiderstand

Von uns im Westen zumeist unbemerkt, hat sich im Norden Serbiens eine unglaublich beeindruckende ArbeiterInnenbewegung formiert. Sie setzt auf Kollektivität, Vernetzung und ArbeiterInnenautonomie, sie will nichts weniger als die Bestimmung über die Betriebe, denn alles andere würde sie als Symptombekämpfung betrachten. Dafür kämpfen die ArbeiterInnen an allen Fronten: sie streiken, besetzen Werke, demonstrieren in Belgrad, vernetzen ihre Streikkomitees und gründen politische Organisationen, publizieren Zeitungen und lassen sich in den Gemeinden zur Wahl aufstellen. Das heisst, sie haben längst die Ebene des ökonomischen Abwehrkampfes verlassen und befinden sich in einem politischen Machtkampf. Die genaue politische Ausrichtung dieser Organisationen ist von hier aus schwer zu beurteilen, doch ohne jeden Zweifel handelt es sich um eine progressive Tendenz, die wirklich in der ArbeiterInnenklasse verankert ist und keine Stellvertreterpolitik anstrebt. Erkennbar ist das auch daran, dass jene Belegschaften, die ihren Kampf erfolgreich geführt haben, im «Koordinationskomitee für den ArbeiterInnenwiderstand in Serbien» eine treibende Kraft bleiben und gemeinsam mit bedrohten Betrieben weiterkämpfen. Sie wissen sehr genau, dass sie mehr verändern müssen, um ihren Sieg langfristig zu verteidigen und sie wissen auch, dass sie das nur gemeinsam mit den anderen Belegschaften können. Und sie sind selbstbewusst. Ihre Plattform schliesst auch mit den Worten: «Wenn wir nicht innerhalb eines angemessenen Zeitrahmens eine Antwort bekommen, werden wir unseren Protest radikalisieren, bis die Regierung realisiert, dass sie ohne uns nicht länger Entscheidungen über unser Leben treffen kann.»Der Erfolg von Jugoremedija live in Zürich

 
Im August 2009 riefen die kämpfenden ArbeiterInnen der Zastava-Elektro zur Vernetzung auf, schon im September wurde dann das Koordinationskomitee von Streikkomitees aus vier Betrieben gegründet, heute sind schon deren acht darin vertreten. Das Streikkomitee des Pharmaunternehmens Jugoremedija gehört dazu und einer ihrer Vertreter wird in Zürich sprechen. Nachdem der neue Besitzer die Fabrik in den Bankrott geführt hatte, haben sie diese besetzt. Die Fabrik steht in einem Gebiet, in dem bereits 35% Arbeitslosigkeit herrscht: Alle wissen um die Bedeutung des Erhalts von Arbeitsplätzen. Sie haben sich mit ihrer Besetzung durchgesetzt! Das Management wurde abgesetzt und die Produktion wieder aufgenommen. Ein Sieg ohne Vergleich und mit wirksamer Ausstrahlungskraft.Im Süden: Prekäre Textilarbeiterinnen
Im Süden des Landes sieht die Situation düsterer aus, aber nicht minder kämpferisch. Hier war die Textilindustrie angesiedelt, heute ist diese mehr oder weniger tot: Kleider werden importiert. Hier kämpfen hauptsächlich Arbeiterinnen, zu 80% alleinerziehende Mütter, die das Einkommen dringend brauchen, um sich und ihre Kinder durchzubekommen. Sie kämpfen um die seit Jahren ausstehenden Löhne und Pensionen, die Hoffnung auf Rettung der Arbeitsplätze ist jedoch gering. Beispielsweise im Werk RASKA arbeiteten früher 4’000 Arbeiterinnen, seit 1993 wird abgebaut. 2006 hatten sie gestreikt, doch da der neue private Unternehmer ohnehin die Produktion einstellen wollte, liefen sie leer. Die 1523 ArbeiterInnen waren bereits zwangsbeurlaubt, theoretisch hätte der Staat ihre Lohnfortzahlung übernehmen müssen. Das tat er aber nicht. Viele sind deshalb in den Hungerstreik getreten, was ignoriert wurde.Raska: Mit einschneidenden Massnahmen zum Erfolg
Erst die spektakuläre Selbstzerstümmelung des Arbeiterführers Zoran Bulatovic, er hat sich den kleinen Finger abgeschnitten, hat die Medien hinter dem Ofen hervor geholt. Ursprünglich wollte seine Kollegin Senada Rebronja zum Messer greifen. Da sie aber Bosniakin ist und Zoran Serbe, schien ihnen mehr Aufmerksamkeit gewiss, wenn er es tun würde. Auf solche Details müssen sie achten, wenn sie die Medien auf ihrer Seite wissen wollen. In diesem Fall, hat es gewirkt. Als Ende 2009 der Betrieb die Insolvenz erklärte, strömten die ArbeiterInnen zur Fabrik und drohten mit radikalen Kampfmassnahmen sowie weiterer Selbstzerstümmelung, die Regierung lenkte ein. Raska ist inzwischen die grosse Ausnahme, die Fabrik, die weiterarbeitet.Das Nord-Süd-Gefälle
Noch selbstzerstörerischer kämpften zehn TextilarbeiterInnen der AD Trokotaza, die sich nach einem erfolglosen Hungerstreik kollektiv verbrennen wollten. Der Verband der TextilarbeiterInnen hat sich zwar nie für derartige Kampfmassnahmen ausgesprochen, stellt sich aber hinter die verzweifelten Arbeiterinnen. Dies und die Tatsache, dass sich der Verband mit der Schliessung der Werke abgefunden hat und nunmehr «nur noch» um Geld kämpft, trennt ihn vom Koordinationskomitee, er ist nicht darin vertreten.
Ein stiller Vorwurf an die Adresse des TextilarbeiterInnenverbandes liegt darin, wenn Milenko der Organisation «Pokret za slobodu» (Freiheitskampf) sagt: «Die Tatsache, dass die ArbeiterInnen solche Protestformen benutzen, die nur im Gefängnis benutzt werden, spricht dafür, dass die Situation für manche Leute in Serbien ausweglos ist. Aber jeder Mensch sollte einen Ausweg haben. Die Möglichkeit , dass man über diese ausweglose Situation hinausgehen kann, hängt vom Grad der ArbeiterInnenorganisierung und von der Unterstützung, die diese Organisation erhalten wird, ab.» Die TextilarbeiterInnen hingegen halten «Pokret za slobodu» für einen intelektuellen Kleinbürger-Verein, der das Koordinationskomitee dominiert. Der Konflikt gärt zwischen den Zeilen, wird aber nicht eskaliert. Was sie eint ist dennoch wichtiger als was sie trennt.Am 5. März sind RepräsentantInnen beider Kampfzonen im Volkshaus zu hören. Branislav Markus, Belegschaftsvertreter von «Jugoremedija» und des «Koordinationskomitees», sowie Zoran und Senada, die beiden Vorsitzenden des TextilarbeiterInnenverbandes, berichten über vergangene und laufende Kämpfe und über die Organisierung der ArbeiterInnenklasse in Serbien.  

Bild1: Arbeiterinnen der Zastava-Elektro blockieren den Zug und klagen an. Sie verhungern und der Direktor platzt aus allen Nähten.

 

Bild2: August 2009, nach einem halben Jahr Streik. Arbeiter der Zastava Elektro vor der Privatisierungsbehörde in Belgrad. «Ich bin hungrig»

Bild3:  Zoran Bulatovic schneidet sich Finger ab.