Warten auf den europäischen Betriebsrat. Aber wer ist das?

ALSTOM Entlassungen sind angekündigt, auch Verhandlungen mit dem europäischen Betriebsrat. Ansonsten hüllt sich der Energiekonzern Alstom in Schweigen.

(az) Anfangs Oktober hat die Gewerkschaft im Aargau einen Anruf erhalten, die Schweizerische Depeschenagentur wollte wissen, was sie von den Kündigungen bei Alstom halte. Die Gewerkschaft war überrascht und fragte beim Amt für Wirtschaft und Arbeit nach, welches ebenfalls verduzt reagierte. Ausser der Depeschenagentur hatte offenbar noch niemand von der Restrukturierung gehört.So überfordert war es dann auch an der hastig einberufenen Gewerkschaftsversammlung der Unia und Syna. Immerhin 60 ArbeiterInnen sind an die Versammlung gekommen, was bei der generell schlechten Verankerung der Gewerkschaft in der Schweiz nicht wenige sind.Die Stimmung war empört, die Leute fühlen sich im Stich gelassen. Doch die Hoffnung, an der Versammlung informiert zu werden, wurde enttäuscht. Vielmehr schienen die Gewerkschaftsfunktionäre vorerst Informationen von der Belegschaft zu wünschen. 

Hoffnung ist kein Kampfmittel

Die Versammlung wurde vom Unia-Funktionär Max Chopard geleitet. Mit Filzstift wurden auf dem Flip-Chart erste Massnahmen und Forderungen gesammelt. Diese überrsaschen nicht, stehen sie doch im hilflosen Repertoir der Gewerkschaftsfunktionäre.

  1. Reduktion des Stellenabbaus
  2. Einhaltung der Gesetze und des GAVs
  3. Task-Force mit allen Beteiligten

Alleine das Wort „Task-Force“ ist Ausdruck des mangelnden Handlungsspielraums der Gewerkschaft, welche sich aufgrund ihrer sozialpartnerschaftlichen Illusion die Hände bindet und keinerlei reale Kampfkraft hat. Deshalb muss sie in der Task-Force die Unterstützung lokaler PolitikerInnen suchen, um vom Betrieb und den Medien überhaupt noch ernst genommen zu werden. Das ist nun aber auch nicht eingetroffen. Alstom lehnt die Task-Force ab, so der Alstom-Schweiz-Chef Andreas Koopmann und damit steht die Gewerkschaft ziemlich nackt da. Einige ArbeierInnen forderten noch einen vierten Punkt. Die innerbetriebliche Kommunikation und Organisation solle gestärkt werden. Die Forderung ist verständlich und richtig. Organisierung wäre das Mittel, um dem Gefühl, im Stich gelassen zu werden zu entgegen und dem Entscheid nicht ohnmächtig gegenüberzustehen. Unabdingbare wäre es, sollte die Belegschaft entscheiden, die Restrukturierung nicht einfach so hinzunehmen. Nur mit betrieblicher Organisierung könnte reale Verhandlungsmacht aufgebaut werden. Aber dieser vierte Punkt fand den Weg von der Flip-Chart bis in die Resolution nicht. Die Resolution des AGB (Aargauer Gewerkschaftsbund) beschränkte sich auf diesen  „Dreipunkte-Plan“, der auf die „Stärkung des Denk- und Werkplatzes Schweiz und Aargau“ aus ist.

Kein Mitwirkungsrecht

Die Gewerkschaften führen diesen Konflikt aber nicht nur extrem defensiv bis gar nicht, sie tun es auch auch noch mit nationalistische und protektionistische Argumenten. So wird hauptsächlich kritisiert, dass die Schweizer Arbeitsplätze bei der Abbauwelle überproportional getroffen werden. Tatsächlich ist die Situation gerade für die schweizerischen PersonalvertreterInnen speziell schwer. Denn hier kommen sich die verschiedenen europäischen und schweizerischen „Mitwirkungsrechte“ in die Quere. So sind die schweizerischen Gewerkschaften nicht einmal am Konsultationsverfahren auf europäischer Ebene vertreten und bekommen damit auch keine Informationen. Lediglich zwei PersonalvertreterInnen aus der Schweiz sind an der Konsultation der europäischen Betriebsrates anwesend. In diesen Verhandlungen wird der Abbau für die einzelnen Standorte abgesegnet. Und dann wird den Gewerkschaften in der Schweiz nur noch übrig bleiben, den Abbau möglichst sanft abzuwickeln.Auf diesen Umstand reagieren der Angestelltenverband und die Unia unterschiedlich. Der Angestelltenverband kritisiert per Rechtsgutachten, dass in diesem Falle das Mitwirkungsrecht in der Schweiz unterhöhlt wird. Deshalb fordert der Verband eine Anpassung des schweizerischen an das europäische Mitwirkungsrecht, damit die Personalvertretung in der Schweiz gleichzeitig mit dem europäischen Betriebsrat an Informationen kommt. Natürlich wird damit weiter die Illusion in das Instrument der Konsultationsverfahren geschürt. Diese suggerieren schliesslich eine schlicht nicht vorhandene Mitbestimmung und sollen nur den Stellenabbau legitimieren und die Belegschaften bei Laune halten. Dennoch versucht der Angestelltenverband damit, sich auf eine gemeinsame Ebene mit den europäischen Betriebsräten zu heben, was rein theoretisch auch zu einem standortübergreifenden Austausch führen könnte.Die Uniafunktionäre hingegen schiessen komplett in die falsche Richtung. Statt das gemeinsame Schicksal der Alstom-Belegschaften in der Abbau-Welle zu betonen, lässt sich Chopard direkt für die Entsolidarisierung unter den ArbeiterInnen einspannen. Als Nationalrat der SP vertritt er deren rechte Linie und so ist er sich nicht zu schade in der Fernseh-Sendung „Duell-Aktuell“ (5.10.10) verlauten zu lassen: „Wir müssen jetzt vor allem für den Werkplatz Aargau schauen, dass wir die Zahl 750 runterbringen können. Es tröstet mich nicht, wenn in einem anderen Land mehr oder weniger abgebaut wird. Es geht um unsere hochqualifizierten Arbeitsplätze da.“

Sich international gemeinsam wehren

Dabei wäre das ideale Komplett-Packet der Gewerkschaft durchaus möglich: Man kann gegen die Bosse kämpfen, den Stellenabbau verhindern und dies sogar solidarisch über Ländergrenzen hinaus machen. Das hat die Belegschaft der Alstom in Mannheim gezeigt. Noch 2005 hatte diese gegen den Stellenabbau an ihrem Standort gekämpft und gesiegt. Sie hatte eine Vereinbarung gegen die Pläne der Konzernleitung durchgesetzt, welche den Ausschluss von Kündigungen beinhaltete. Dies ohne Zugeständnisse ihrerseits zu machen. Und diesen Erfolg will die Belegschaft aus Mannheim jetzt weiterziehen und fordert, dass eine solche Vereinbarung auch für alle anderen Standorte in Europa gelten soll. Der Betriebsrat aus Mannheim, Wolfgang Alles, fasst die einfache Losung so zusammen: „Wir wollen uns lokal, bundesweit und international gemeinsam wehren.“ Dementsprechend haben in Mannheim – kaum wurde der geplante Stellenabbau bekanntgegeben – auch schon 2000 ArbeiterInnen demonstriert.96’000 Personen arbeiten weltweit für die Kraftwerk-Sparte des französischen Betrieb Alstom. 6’000 davon im Kanton Aargau. Total 4’000 sollen nun entlassen werden. Dies, weil die Standorte nach Kraftwerk-Sorte spezialisiert werden. So sollen in Baden wohl nur noch die Gas- und Kombikraftwerke produziert werden. In Birr werden die meisten Stellen wegfallen, da die gesamte Rotorfabrik nach Frankreich und Deutschland verlagert wird. In Frankreich werden dann Atomkraftwerke und in Deutschland Kohlekraftwerke konzentriert. Die schon jetzt sehr starke Isolation der einzelnen Standorte wird damit zunehmen und es wird Alstom einfacher möglich sein, Standorte zu schliessen oder zu verkaufen. Weiter sollen die einzelnen Standorte aber auch reduziert werden, um die Produktivität zu steigern.In der Schweiz werden insgesamt mutmasslich 750 Arbeitsplätze gestrichen, mehr als in anderen Ländern. Wir trafen einen engagierten Gewerkschafter, der schon viele Jahre in der Firma arbeitet. Er sagte dazu: „Weil sich hier niemand wehrt. Schaut euch doch Frankreich an, dort demonstrieren sie für ihre Renten, da passiert was, wenn Entlassungen angekündigt werden“. Mehr als 10% der Schweizer Belegschaft soll also den Job verlieren. „Aber wir wissen nichts. Im Gegenteil: Der Betrieb hat verboten Informationen zu verbreiten. Aber ehrlich gesagt: Ich glaube die Bosse bei uns wissen auch nichts. Das wird doch in Paris entschieden.“ Es gibt also genau genommen auch gar nichts, was wirklich könnte verboten werden.

Produziert wird in Polen

Alle wissen allerdings, dass der Arbeitsplatz-Abbau nicht ohne Grund ist. Erstens hat es Alstom verpasst, von der konventionellen auf die alternative Energie umzusteigen. Dadurch ist sie von Siemens und ABB überflügelt worden. Und in Europa liegt das Potential im alternativen Bereich. „Denn überleg mal“ sagt unser Gesprächspartner, „sogar wenn die Schweiz entscheiden sollte, wieder ein Kernkraftwerk zu bauen, wie viele Jahre würde es dann dauern, bis es tatsächlich gebaut würde? Wohl eher Jahrzehnte als Jahre.“ Wahrscheinlich ist es, dass auch in Europa ab und zu noch Kraftwerke gebaut werden, doch als Geschäftsstrategie taugt das nicht. Das grosse Geld liegt in Asien, besonders für jene, die konventionelle Energiewerke herstellen. Speziell in Indien und China, wo ganze Regionen noch nicht am Stromnetz sind. Hier kann im grossen Stil gebaut werden. Nur – hier kommt das zweite Problem – China und Indien sind keine willfährigen Abnehmer mehr, die zwei neuen Giganten wollen verständlicherweise die Rolle des Importeurs ablegen, sie wollen das Know-How und eigene Fabriken. „Die Expansion nach China wird automatisch zum Abbau hier führen. Jetzt können sie noch nicht ohne unsere Unterstützung produzieren. Ich weiss nicht, wie lange das dauert, bis sie es können, aber sie machen Fortschritte. Früher oder später muss es dazu führen. Schon jetzt sind die billigsten Hoch- und Mittelspannungsanlagen aus Taiwan, die halten zwar nicht lange, aber billig sind sie.“ Und ein Problem der Alstom-ArbeiterInnen ist, dass der Multi entscheiden kann, wo er produzieren lässt. Die hiesige Belegschaft weiss, dass Aufträge vorliegen, denn die Offerten und die Planung werden in der Schweiz verfasst. Nur wird die Produktion immer häufiger ins Werk in Polen vergeben. Und so ist die Produktion im Aargau unterbeschäftigt, während jene am Standort Polen unter der Arbeitslast zusammenbricht. Aber die Schweizer Zeitungen drucken brav, dass aufgrund konjunktureller Schwankungen Überkapazitäten gegeben seien, während es in Tat und Wahrheit darum geht, dass einfach billigere Kapazitäten den Job machen.Und dann ergibt sich noch ein zukünftiges Problem, das Alstom in Baden bekommen könnte: Mangel an Know-How und qualifiziertem Personal. Beispielsweise Ingenieure sind auf dem Arbeitsmarkt gefragt, so berichtet die Aargauer Zeitung, dass Headhunter die hoch qualifizierten Kräfte ziemlich offen umwerben und dass z.B. die ABB 100 Stellen offen habe, wovon 65% auf Ingenieure entfallen. Es ist absehbar und verständlich, dass in dieser Situation gehen wird, wer eine attraktivere Alternative angeboten bekommt. Für den Moment ist zwar noch nicht klar, in welchem Masse Hochqualifizierte die Alstom verlassen, die Gefahr ist aber realistisch. Damit würde aber natürlich der Plan von Alstom Forschung und Entwicklung im Aargau zu belassen unrealistischer.  Wir wollen den Stellenabbau keineswegs rechtfertigen. Aber Gründe dafür gibt es zu Hauf. Die allermeisten davon liegen in der Natur der Sache, der Profitmaximierung. Es liegt an den ArbeiterInnen, diese nicht weiter hinzunehmen und dagegen aufzustehen. Mannheim macht es vor.    

Alstom der BetriebDer französische Betrieb hat drei Sektoren: Power (Kraftwerke), Transport und Grid (Energieverteilung). Letzterer wurde erst diesen Sommer wieder integriert. Erst 2004 hatte Alstom den Bereich Transmission und Distribuition abgestossen und an AREVA verkauft, von welchem es gleiches wieder abgekauft hat. Das heutige Grid war das Kronjuwel von AREVA, die ganz dringend Kapital brauchte: Sie baut in Finnland ein AKW namens „Olkiluoto 3“, Siemens ist ebenfalls an diesem Projekt beteiligt, jedoch in sehr viel kleinerem Umfang. Der Bau verzögert sich und wird täglich teurer. Ursprünglich waren 3 Mrd Euro geplant und die Inbetriebnahme im Jahr 2010. Momentan sieht es eher nach 6 Mrd Euro aus und einer Inbetriebnahme im Jahr 2013. Um diese Mehrkosten ist ein juristischer Streit entbrannt, der Auftraggeber TVO prozessiert gegen AREVA und Siemens und auch die zwei letzteren prozessieren untereinander. Deshalb musste AREVA Kapital beschaffen und verkaufen. Da AREVA ein französischer Staatsbetrieb ist, hatte das Parlament über den Verkauf mitzuentscheiden und Alstom, als ebenfalls „französischer“ Betrieb, bekam den Zuschlag. Von der ABB hatte Alstom 2000 den Kraftwerkbau übernommen.