Der Wolff im Schafspelz

Richard Wolff (AL) ist zum Stadtrat gewählt worden. Er erhielt bei der Ämterverteilung den Vorsitz der Stadtpolizei Zürich aufgetragen. Verspätet gratulieren auch wir. Denn die Wahl Wolffs und seine Annahme der Funktion in der Exekutive zeigen die Grenzen des Reformismus eindeutig auf.


(gpw) Die Debatte über reformistische versus revolutionäre Politik ist eine alte. Die Wahl Wolffs zeigt auf, dass die dieser Auseinandersetzung zugrundeliegenden Fragen nicht an Aktualität verloren haben. Entsprechend lohnt sich ein kurzer Blick zurück, um die heutige Situation in einen historischen Kontext zu setzen. Mit der Gründung der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) 1918 manifestierte sich ein Konflikt, der zuvor in der SPD schwelte. Die KPD repräsentierte eine revolutionäre Position, die davon ausging, dass die Gesellschaftsform „Kapitalismus“ nur durch eine grundsätzliche Umwälzung abgelöst werden könne. Die SPD stand ab dann klar für eine reformistische Position ein, die zur Strategie hatte, mittels kleiner Schritte innerhalb des Kapitalismus diesen in Richtung Sozialismus zu entwickeln. Anders gesagt: Soll der Kapitalismus mittels dem Aufbau von Gegenmacht, welcher ausserhalb seiner Institutionen stattfindet, gestürzt werden oder beteiligt man sich an seinen Institutionen, um ihn von innen zu transformieren. Die Position des revolutionären Aufbaus ist klar – das „revolutionär“ trägt die Organisation nicht zur Zierde im Namen.1
Vom gestern zum heute also. Eine Taktik, die im Reformismus beliebt ist, ist die Beteiligung an Wahlen. Von innen könne man das System viel besser ändern als von aussen, und überhaupt, wer immer stur dagegen hält, dem hört doch niemand zu. Auch wenn die Motive hehr sein mögen, so ist die Bilanz dieser Versuche eine vernichtende. Die Anzahl derjenigen, die sich in Parlamenten beteiligten und dem Druck standhielten, aufgrund struktureller Zwänge sich anzupassen, tendiert gegen Null. Und kleine Schritte vorwärts, die innerhalb des Kapitalismus gemacht wurden, werden in Zeiten der ökonomischen Krise rückgängig gemacht (bspw. Sozialwerke, Bildung). Nachhaltig ist diese Strategie also nicht, denn dem Kapitalismus kann langfristig nichts beigefügt werden, welches seiner Funktionslogik evtl.: grundsätzlich widerspricht. Der Reformismus und der Fokus auf den Parlamentarismus opfern einem langfristigen und mühevollen Aufbauprozess von unten die kurzzeitigen Erfolge, die dann und wann erzielt werden können.2

Eine wirkliche Alternative?

Die Alternative Liste (AL) in Zürich ist Teil dieses reformistischen Erbes. Sicher, im Vergleich zur SP erscheint sie als tiefrote Bastion. Dabei kokettiert die AL auch mit Teilen der Widerstandsbewegung Zürichs und verhält sich teilweise als deren Repräsentant 3. Es ist verständlich, dass man ihr reflexartig mehr Sympathien zugesteht als anderen Parteien. Doch darf nicht vergessen werden – und eben dies zeigt sich nun – dass auch ihr Vorschlag einem  parlamentarischen Reformismus entspricht und daher naturgemäss immer wieder an seine Grenzen stösst. Da hilft verbalradikales Gerede von „Taksim ist überall – auch in Zürich“4 auf der AL-Homepage auch nichts. Der Ort, wo AL-Politik stattfindet, ist hauptsächlich im Parlament. Und dort vertritt sie sicherlich linke Positionen, wenn man sie mit der SP vergleicht.
Doch ist der Spielraum im Parlament beschränkt und dessen Grenzen (wie die Akzeptanz der bürgerlichen Gesellschaftsordnung, d.h. der Verzicht das Macht- und Gewaltmonopol des Staates in Frage zu stellen) lassen sich von innen nicht ohne weiteres sprengen. Eine neue Qualität nimmt die Beteiligung an Wahlen aber dann an, wenn sich die Reformisten nicht nur zur Wahl ins Parlament stellen, sondern sich gar für das Amt der Exekutive bereit erklären. Kritisiert man die Beteiligung an der bürgerlichen Demokratie, so muss die Übernahme der politischen Verantwortung in der bürgerlichen Demokratie erst recht in Frage gestellt werden. Es ist als würde man als Gewerkschafter von der Beteiligung an Gesprächen zwischen ArbeiterInnen und Bossen (wobei man den sozialpartnerschaftlichen Rahmen aufrecht erhält, aber zumindest der Position nach die ArbeiterInnen vertritt) gänzlich auf die Seite der Bosse wechseln. Es ist ein Spagat, der nicht zu bewerkstelligen ist.
Nun hatte die AL die Entscheidung gefällt, sich an den Stadtratswahlen zu beteiligen. Vermutlich ging es dabei mehr darum, Resonanz für die nächsten Parlamentswahlen zu generieren. Denn mit einem Wahlsieg Wolffs rechnete zu Beginn tatsächlich niemand. Dennoch: Der erste Schritt in Richtung Übernahme der politischen Verantwortung war getan.  Im Wettbewerb setzte sich der „Stadtforscher“ Wolff dann aber überraschend gegen den Vertreter der dahinserbelnden FDP durch. Dies entsprach nun ganz und gar nicht dem Kalkül der bisherigen Parteien im Stadtrat. Insbesondere die SP-Führung hatte keine Freude, da sie bei den anstehenden Ersatzwahlen fürchtet, dass ihre bisherigen Wählerstimmen sich nun auch auf Wolff verteilen. Würde dies geschehen, so würde die Wahrscheinlichkeit sinken, dass sich die Vertreter der SP im ersten Wahlgang durchsetzen könnten.

Die Zügel in neuen Händen – der Kurs derselbe

Es ist daher nur logisch, dass Wolff das Amt des Polizeivorstehers aufgezwungen wurde. So zu tun, als freue ihn dieses Amt, ist reine Selbstverleugnung. Denn mit dieser Zuteilung ist Wolff wohl die Quadratur des Kreises aufgezwungen worden. Verhält er sich so, wie es seine Wähler wollen würden, dann wird er innert kürzester Zeit das Stapo-Korps gegen sich aufbringen. Verhält er sich so, wie vom Korps verlangt, dann wird er Wähler verlieren. Eine lose-lose Situation.5 Daran ändert auch nichts, dass er sich 100 Tage Einarbeitungszeit nimmt und wohl den Spagat trotz seiner Unmöglichkeit versuchen wird, indem er – ähnlich wie Leupi – gegenüber der Widerstandsbewegung so tun wird, als hätte er für sie ein offenes Ohr. Er kann die Widerstandsbewegung nicht vertreten, denn diese steht im Bruch zu Staat und Kapital. Anders gesagt: Er würde Wasser predigen, und Wein trinken.
Das Amt des Polizeivorstehers ist also wohl das schlechteste aller Ämter für Wolff, welches ihm hätte zugeteilt werden können. Und aufgrund der offensichtlichen Winkelzüge der anderen Parteien geht dabei vergessen, dass das Amt des Polizeivorstehers wohl das Unbeliebteste sein mag, nicht aber besser oder schlechter als andere ist. Man stelle sich vor, Wolff wäre das Finanzdepartement zugeteilt worden. Dort hätte er weiter die Steuerbefreiung der FIFA durchwinken können, während neue Sparpakete ausgefeilt worden wären. Oder das Sozialamt: Wie werden die neusten Kürzungen umgesetzt, bei wem wird mehr, bei wem wird weniger gespart? Man kann alle Ämter durchdeklinieren, gleich ist an allen, dass Wolff dabei eine Politik umsetzen und vertreten müsste, die mit fortschrittlicher Politik nichts gemein hat. In den anderen Ämtern wäre es weniger offensichtlich gewesen, da diese ihre Angriffe von oben selten durch Wasserwerfer, Gummischrot und Pfefferspray durchsetzen. Doch sind die Einschnitte gleichermassen gravierend, auch wenn die Form der Durchsetzung eine andere ist.
Wir fassen zusammen: Aus einer revolutionären Position ist die Beteiligung am Parlament in der aktuellen historischen Phase nicht sinnvoll. In Zeiten einer historischen Schwäche, also einer Defensive der Linken, sollen Kräfte nicht dort eingesetzt werden, so wie verpuffen, sondern dort, wo man langsam, aber stetig versucht, Widerstand von unten zu bauen. Der reformistische Weg nimmt nochmals eine neue Qualität an, wenn es um die Übernahme von  Exekutivämtern geht. Von der blossen Beteiligung schreitet man nun zur offenkundigen politischen Verantwortung im Kapitalismus. Dies ist unabhängig von der Person oder dem ausgeübten Amt. Man kann nicht gegen den Kapitalismus kämpfen, indem man dessen bürgerliche Demokratie vertritt. Und darum ist auch dieser Wolff, der sich im widerständischen Schafspelz kleidet, nichts anderes als ein zahnloser Pudel , der mit Politik von unten rein gar nichts zu tun hat.

Fussnoten:

1

Eine ausführlichere Auseinandersetzung mit dem reformistischen Vorschlag der SP Schweiz findet sich unter http://aufbau.org/index.php/online-zeitung-topmenu-128/978-sp-programm-ein-papier-ohne-bedeutung-

2

„Wir haben keine Wahl“ in aufbau Nr. 51 setzte sich mit der Frage der Wahl auseinander. Online unter: http://www.aightgenossen.ch/showthread.php?t=555642

3

So bspw. das Publizieren der Erklärung der Familie Schoch zum Auszug auf der Binz auf der AL-Homepage.

4

http://al-zh.ch/aktuelles.html (8.6.2013)

5

Im Bewusstsein über diese Problematik hat Wolff bereits verlauten lassen, dass „der [Wahl-]Kampf weiter geht“. Dazu gehört, dass Wolff und die AL sich bereits gegenüber einer neuen WählerInnen-Basis positionieren, indem sie sich als mit-staatstragende Partei präsentieren, die jede ihr zugeteilte Aufgabe übernimmt und umsetzt. Bsp: http://al-zh.ch/fileadmin/webfiles/2013/stadtrat13/sr13-ta-130422-kampf-geht-weiter.pdf