Aufbau 82: Befristete Anerkennung, dafür Lohndumping

Tarifeinheit Nach 9 Streikphasen hat die Führung der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) eine Schlichtungsvereinbarung unterzeichnet. Damit endet ein einjähriger Arbeitskampf mit politischer Dimension. Rück- und Ausblick eines aktiven Kollegen aus Berlin.

(az) Im aufbau79 berichteten wir bereits über den Arbeitskampf der GDL-KollegInnen bei der Deutschen Bahn. In ihm verdichteten sich politische Interessen der deutschen Bourgeoisie nach dem Tarifeinheitsgesetz, Konkurrenz- und Selbsterhaltungsinteressen der unterschiedlichen Gewerkschaften und die Interessen der Bahnangestellten nach besseren Arbeitsbedingungen. Über letztere – nämlich die Streikenden selber – wurde weniger berichtet. Wir wollen mit einem aktiven Kollegen der S-Bahn Berlin über die Organisierungsprozesse unter den KollegInnen sprechen, die in den letzten Jahren von Kampfzyklus zu Kampfzyklus stetig an Form gewinnen.

Kaum ein Arbeitskampf erlebte eine solch offenkundige Hetze durch die bürgerliche Medienlandschaft. Ihr habt eine zunehmend politische Dimension erreicht. So droht mit dem Tarifeinheitsgesetz ein Angriff auf das Recht gewerkschaftlicher Organisierung und das Streikrecht. Wie ist es dazu gekommen?

Der Arbeitskampf der GDL 2014/15 hat sich bereits mit dem Grundlagentarifvertrag aus dem Jahr 2008 zwischen EVG und GDL angekündigt. Denn dieser Tarifvertrag regelte bis zum 30.06.2014, welche Gewerkschaft welche Berufsgruppe bei der DB tarifpolitisch vertreten darf. Mit dem Auslaufen dieser Vereinbarung und dem Urteil des Bundesarbeitsgerichtes aus dem Jahr 2010 für eine Tarifpluralität in den Betrieben, war der Konflikt weit vorauszusehen.

Das ist erstaunlich. Erst die von Spartengewerkschaften wie der GDL und dem Ärzteverbund Marburber Bund eingeklagte Tarifpluralität war es doch, die einen solchen Kampf überhaupt möglich machte. Und gleichzeitig war die GDL selbst nicht auf die Konsequenzen und die Möglichkeiten für die kommende Auseinandersetzung gefasst?

Ja, das Grundgesetz sieht die freie Wahl der Vereinigung vor, mit der man seine Arbeitsbedingungen und wirtschaftlichen Verhältnisse verbessern kann. Die freie Wahl seiner Gewerkschaft wurde mit der bis 2010 angewandten Tarifeinheit eingeschränkt, worauf das Bundesarbeitsgericht die Tarifeinheit aufhob. Aber da nur noch ca. 20% der Beschäftigten in diesem Land gewerkschaftlich organisiert sind, war und ist von dieser Seite kein wirklicher politischer Widerstand gegen ein Tarifeinheitsgesetz der Regierung zu erwarten. Eine Bewegung für ein Streikrecht aller Beschäftigten (egal ob sie gewerkschaftlich organisiert sind), um alle Beschäftigten in diesem Land in eine breite Gegenwehr zum Tarifeinheitsgesetz einzubinden, konnte nicht aufgebaut werden. Das ist auch den Gewerkschaftern geschuldet, die eher an eine gewerkschaftliche Organisierung als vielmehr an einer gewerkschaftlichen Gegenwehr der Beschäftigten festhalten.

Und in diesem politischen Kontext habt ihr ein Jahr lang entschlossen gekämpft. Bist du zufrieden mit der Schlichtungsvereinbarung? Wurde darüber überhaupt abgestimmt?

Auf diese sich anbahnende Auseinandersetzung war man innerhalb der GDL nur unzureichend vorbereitet. Viele KollegInnen wussten zu Beginn der Auseinandersetzung und selbst während der ersten Streiks nicht, dass er auch eine politische Dimension hat. So war es dann auch der Einfluss der Politik auf die GDL Führung, der zur Schlichtung und zum Schlichtungsergebnis geführt hat. Doch als streikende Zugpersonale haben wir mit verschiedenen Resolutionen mehrmals den politischen Kampf gegen die Bundesregierung eingefordert. Gerade wo diese mit ihrem Tarifeinheitsgesetz unsere gewerkschaftlichen Rechte einschränken wollte und nun auch eingeschränkt hat. Einen Tag vor der betreffenden Bundestagsabstimmung darüber und einer von den Streikenden geplanten Protestkundgebung vor dem Bundestag, wurde der Streik jedoch von der GDL Führung abgebrochen.

Der Wille der streikenden Zugpersonale zum politischen Kampf war vorhanden, wurde aber von der GDL Führung unterbunden. Nur darüber stimmen die GDL Mitglieder nun in einer 2. Urabstimmung der GDL ab. Denn über das am 30.06.2015 unterschriebene, durch die GDL Tarifkommission bereits abgesegnete und von der DB jetzt schon angewandte Schlichtungsergebnis können und sollen wir als Betroffene nicht entscheiden.

Eine Erfahrung die ihr ja schon öfters gemacht habt. Wie schätzt du also die Schlichtungsvereinbarung politisch und für nächste Kämpfe ein?

Wir haben als Streikende in verschiedenen Streikversammlungen immer wieder auch über die politische Dimension und Notwendigkeit unseres Streiks diskutiert. Der Wille der Streikenden mit diesem Streik auch eine politischen Auseinandersetzung zu führen war auch auf verschiedenen Streik-Transparenten in den bürgerlichen Medien deutlich zu erkennen. Allein die GDL Führung wollte diese Auseinandersetzung nicht führen, weil es den Gewerkschaften von der Politik hierzulande nicht zugestanden wird. So wurde auch die direkte politische Konfrontation der Streikenden mit der Regierung durch den Abbruch des Streiks und die Friedenspflicht einer Schlichtung unterbunden. Das Ergebnis der Schlichtung zeigt deutlich das Einknicken der GDL Führung vor der Politik. Eine Vereinbarung sieht mit der Schlichtung vor, dass das Tarifeinheitsgesetz bei der DB nicht angewandt wird, aber dafür nun vor jedem Konflikt (Streik) eine Schlichtung geschaltet wird. Nur wenn diese nicht angenommen wird, kann auch gestreikt werden. Ein Kompromiss den die GDL Führung eingegangen ist, um die Deutsche Bahn, wie mit dem Tarifeinheitsgesetz selbst, zu «befrieden».

Die GDL-Führung war ja in einer ziemlichen Zwickmühle. Den Eliten hat sie das Nest verschmutzt und die Basis hat die Gewerkschaftsführung wohl an den Versprechen festgenagelt. Es gab ja schon früher immer wieder Angriffe der Führung gegen kämpferische KollegInnen. Wie habt Ihr euch in diesem Kampf bewegen können?

Der Streik der GDL war schon ein sehr geschickter Schachzug der politischen Eliten. Einerseits wurde mit den Streiks der GDL die Notwendigkeit des Tarifeinheitsgesetzes öffentlich verdeutlicht, andererseits wurde mit den Streiks den Gewerkschaftern suggeriert, sich gegen das Tarifeinheitsgesetz zu wehren. Der eigentliche Inhalt der Auseinandersetzung ging eigentlich nur darum, die noch gut entlohnte «Mittelschicht» unter den ArbeiterInnen (Lokführer, Piloten, Ärzte) nun auch dem allgemeinen Lohndumping zu unterwerfen. Diesem politischen Willen sollen sich auch die Berufsgewerkschaften unterwerfen, indem sie mit einer tarifpolitischen Machtlosigkeit über das Tarifeinheitsgesetz für die Beschäftigten überflüssig werden. Doch die Bürokraten in den Gewerkschaften wollten ihren Posten nicht räumen. Daher haben die GDL Bosse uns GDL Mitglieder, wie schon 2007, dafür benutzt, um für den Erhalt ihrer Posten zu kämpfen. Sie stellen sich nun nach ihrer befristeten Anerkennung durch die DB gleichzeitig dem Lohndumping bei der «Mittelschicht» nicht in den Weg. Denn inhaltlich wurden unseren wesentlichen Forderungen für bessere Arbeitsbedingungen nicht erfüllt. Das war und ist das eigentliche Ergebnis der Schlichtung.

Im Ergebnis konnte die GDL-Führung also ihren Arsch retten, sie wird noch formell als Tarifpartnerin akzeptiert. Gleichzeitig hat sie inhaltlich jede Legitimation verloren, weil sie gleich schlechte Verträge abschliesst wie die EVG. Siehst du in diesem Fall die politische Dimension – also den Kampf gegen die Tarifeinheit – eher als Ablenkung im Kampf um bessere Arbeitsbedingungen?

Ja schon, obwohl wir vor Ort im Betrieb und während der Streiks immer alle Forderungen aufrechterhalten haben und diese in eigenen Resolutionen auch eingefordert haben. Von den GDL Verhandlungsführern wurden unsere Forderungen als Zeichen ihrer Kompromisswilligkeit reduziert, z.B. forderten wir 2 Stunden weniger Arbeitszeit in der Woche, die Verhandler 1 Stunde. So kamen mit der Schlichtung dann auch keine wesentlichen Verbesserungen bei den Arbeitsbedingungen heraus. Nun kämpfen wir für die Forderungen aller Zugpersonale für bessere Arbeitsbedingungen, die die GDL Führung im Wesentlichen fallen gelassen hat, vor Ort als GDL Betriebsgruppen zusammen mit den KollegInnen im Betrieb. Dass sich EVG und GDL angleichen ist auch der Wille des DB Managements. Das sieht man in der Lohnerhöhung. Die EVG forderte 6% und hat 5,1% erhalten. Die GDL hat 5% gefordert und 5,1% erhalten. Wo hat es das schon einmal in einem Arbeitskampf gegeben, dass eine Gewerkschaft mehr Lohn erhalten hat, als sie gefordert hat?

Der Konkurrenz unter den Gewerkschaftsführungen müsste eigentlich die gewerkschaftsübergreifende Solidarität unter den KollegInnen entgegenstehen. Konnten hier Gräben überwunden werden? Ist die Kampfsituation dafür geeignet?

An der Basis haben wir als GDL und EVG KollegInnen auch während der Streiks eng zusammen gehalten. Es gab keine wirklichen Auseinandersetzungen zwischen und unter uns GewerkschafterInnen. Wir waren und sind uns einig, dass wir alle bessere Arbeitsbedingungen brauchen! Dieser Zusammenhalt an der Basis hat sich mit dem Streik erhöht. Wir machen keine Unterschiede mehr, ob wir GDL oder EVG Mitglieder sind. Mit dem Wechsel an mehreren Basisstrukturen der GDL haben wir nun sogar eine inhaltliche Zusammenarbeit im Betrieb vereinbart. Es gibt schon seit dem letzten Jahr, zumindest in Berlin, mehrere Gewerkschaftsübergreifende Betriebsratslisten die gemeinsam mit GDL und EVG Funktionären besetzt sind und mit den Stimmen der KollegInnen in die Betriebsräte bei der DB eingezogen sind.

Wie wird es weitergehen? Ihr seid ja schon jetzt wieder im nächsten Kampfzyklus.

Viele KollegInnen haben sich mit ihren 355 Stunden Streik im Personenverkehr und 417 Stunden Streik im Güterverkehr emanzipiert. Durch das Zusammenlegen der bislang verschiedenen Streiklokalen der verschiedenen GDL Ortsgruppen haben wir gerade in Berlin an neuer Stärke gewonnen. Auch durch die nunmehr tarifpolitischen Vertretung der Zugbegleiter, Bordgastronomen, Lokrangierführer und Trainer haben wir als GDL an der Basis viele neue engagierte KollegInnen gewonnen. Insbesondere die Frauen in unseren Reihen haben während der Streiks viel Dynamik und Engagement erzeugt. Die nächste Tarifauseinandersetzung ab dem 30.09.2016 wird schon heute mit und durch die KollegInnen vorbereitet.

Als emanzipierte und durch die Streiks gestärkte Basis der GDL gehen wir zusammen mit den KollegInnen der EVG an die direkten Auseinandersetzungen im Betrieb. Dort können wir von der GDL Führung losgelöst erste Erfolge einfahren. Wenige für die GDL als Gewerkschaft, mehr für die KollegInnen als Betroffene vor Ort! Das erzeugt ein neue nachvollziehbare und selbst mitbestimmende Dynamik unter den GewerkschafterInnen und KollegInnen im Betrieb.