Aufbau 82: Zimmerwalder Konferenz 1915: Der Bruch mit dem Reformismus

Zimmerwald Vom 5. bis zum 8. September 1915 trafen sich im kleinen Berner Bergdorf Zimmerwald Vertreter aus verschiedenen Sozialdemokratischen Parteien und Organisationen, um über Krieg und Frieden zu beraten. Warum ist dieses Datum heute noch von Bedeutung?

(gpw) Um die Bedeutung dieser Konferenz zu verstehen, müssen wir die politische Situation einige Jahre vorher betrachten. Seit 1907 wurde in der II. Sozialistischen Internationalen über einen möglichen gesamteuropäischen Krieg und mögliche Gegenmassnahmen diskutiert. Als Höhepunkt dieser Diskussionen fand 1912 der Internationale Sozialistenkongress in Basel statt. Im Schlussmanifest hielten die Vertreter fest: Falls der Krieg dennoch ausbrechen sollte, ist es die Pflicht, für dessen rasche Beendigung einzutreten und mit allen Kräften dahin zu streben, die durch den Krieg herbeigeführte wirtschaftliche und politische Krise zur Aufrüttelung des Volkes auszunutzen und dadurch die Beseitigung der kapitalistischen Klassenherrschaft zu beschleunigen.» Doch es kam alles ganz anders.

Als wäre nichts gewesen

Als im August 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach, verhielt sich keine Sozialdemokratische Partei, welche damals die kommunistischen Parteien waren, nach irgendwelchen gefassten Losungen. Mit Applaus wurden die nationalen Bourgeoisien unterstützt und die Kriegskredite in den Parlamenten bewilligt, mit Ausnahme der der Abgeordneten der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands. Es geschah, was kurze Zeit vorher noch von allen entschieden verurteilt wurde: Die Arbeiter standen sich in den Schützengräben gegenüber und metzelten sich gegenseitig nieder, anstatt die kapitalistische Klassenherrschaft zu beenden. Der Nationalismus hatte viele Führer der Arbeiterbewegung ergriffen, der Imperialismus hatte viele Führer der Arbeiterbewegung gekauft. Vergessen war die Arbeiterklasse und vergessen war der Klassenkampf. Der sogenannte «Burgfrieden» war die neue Losung. Doch dagegen organisierte sich im linken Lager der Sozialdemokratie Widerstand. Karl Liebknecht war der Erste in Deutschland, der seine Zustimmung zu den Kriegskrediten verweigerte. Weitere Schritte folgten.

Konferenz in Zimmerwald

In Zimmerwald fand auf Initiative des Berner Sozialdemokraten Robert Grimm vom 5. bis 8. September 1915 die erste internationale Sozialistische Konferenz seit Ausbruch des Krieges statt. Aus zwölf Ländern reisten 37 VertreterInnen an, aufgrund ihrer Politik waren die offiziellen Parteien aus Deutschland und Frankreich nicht eingeladen worden. Für die Russen nahmen unter anderem Lenin, welcher schon länger in der Schweiz wohnte sowie Leo Trotzki teil. Die Schweizer Delegation bestand aus persönlichen Vertretern, denn der Vorstand hatte den einzelnen Genossen die Beteiligung freigestellt. Neben Grimm war dies Fritz Platten, Charles Naine und Carl Vital Moor u.a. Die Verhandlungen waren zäh und anstrengend, da sehr viele unterschiedliche Positionen anwesend waren. Neben dem Pazifisten Charles Naine, waren sogenannte zentristische Positionen (Robert Grimm) sowie Revolutionäre um Lenin anwesend. Trotzdem gelang es, ein Manifest zu verabschieden. Dieses stellte die Ursachen für den Krieg auf neuen Boden: «Der Krieg, der dieses Chaos erzeugte, ist die Folge des Imperialismus, des Strebens der kapitalistischen Klassen jeder Nation, ihre Profitgier durch die Ausbeutung der menschlichen Arbeit und der Naturschätze des ganzen Erdballs zu nähren […]Die herrschenden Gewalten der kapitalistischen Gesellschaft, in deren Händen das Geschick der Völker ruhte, die monarchischen wie die republikanischen Regierungen, die Geheimdiplomatie, die mächtigen Unternehmerorganisationen, die bürgerlichen Parteien, die kapitalistische Presse, die Kirche – sie alle tragen das volle Gewicht der Verantwortung für diesen Krieg, welcher aus der sie nährenden und von ihnen geschützten Gesellschaftsordnung entstanden ist und für ihre Interessen geführt wird.» Aus dieser Analyse folgerten sie auch eine Handlungsanleitung sowie einen Forderungskatalog: «Dieser Kampf [für den Frieden, Anm.d.R.]ist der Kampf für die Freiheit, für die Völkerverbrüderung, für den Sozialismus. Es gilt, dieses Ringen um den Frieden aufzunehmen, für einen Frieden ohne Annexionen und Kriegsentschädigungen. Ein solcher Friede aber ist nur möglich unter Verurteilung jedes Gedankens an eine Vergewaltigung der Rechte und Freiheiten der Völker. Weder die Besetzung von ganzen Ländern noch von einzelnen Landesteilen darf zu ihrer gewaltsamen Einverleibung führen. Keine Annexion, weder eine offene, noch eine maskierte, auch keine zwangsweise wirtschaftliche Angliederung, die durch politische Entrechtung nur noch unerträglicher gemacht wird.» Ziel war es den Sozialismus durch «unversöhnlich proletarischen Klassenkampf» zu erreichen. Die Mehrheit der Konferenzteilnehmer sah in der Konferenz ein Gefäss, die sozialistischen Kriegsgegner zu koordinieren. Eine Gruppe um Lenin betrachtete sie jedoch als Grundstein für eine neue, revolutionäre Internationale. Ihr Ziel war es, die Defensive der Arbeiterbewegung zu durchbrechen und den imperialistischen Krieg in einen revolutionären Bürgerkrieg umzudrehen. Lenin kritisierte dann auch später in seinem Artikel «Das Militärprogramm der proletarischen Revolution» (1916), dass der Kampf gegen den Opportunismus nicht offen geführt und kein realer Bruch vollzogen worden war. Diese Gruppe ging als Zimmerwalder Linke in die Geschichtsbücher ein. Aus der Schweiz zählte zu ihnen Fritz Platten.

Schliesslich wurde noch die Schaffung der Internationalen Sozialistischen Kommission mit Sitz in Bern vereinbart. Ziel war es den Kontakt unter den Gruppen aufrecht zu halten. Sie bereitet auch die nächste Konferenz 1916 in Kiental vor, welche jedoch nicht mehr den gleichen Wiederhall fand.

Revolution und Kommunismus

Auch wenn die Zimmerwalder-Konferenz es nicht vermochte, die Arbeiterparteien oder grosse Massen der Arbeiter zurück zum Kassenkampf zu führen und dem Morden ein Ende zu setzen, so hatte die Bewegung doch strategische Wirkung. Als Produkt dieser Politik des Bruchs mit dem Reformismus und der Stärkung einer revolutionären Arbeiterklasse stand am Ende des Krieges die sozialistische Oktoberevolution in Russland 1917, vorübergehend erfolgreiche Revolutionen in Deutschland und Ungarn sowie die Gründung der Kommunistischen Parteien in Europa. Diese gründeten auf Initiative Lenins die kommunistische sogenannt «Dritte Internationale» und stellten die internationale, revolutionäre Arbeiterbeweghung auf marxistische Grundlagen.