aufbau 83: «Willst du den Geschmack der Birne kennen, musst du sie zerkauen»

POLITISCHES REISEN Mitglieder der revolutionären Jugend Zürich waren schon mehrfach im Ausland und machten dabei das Politische zum Vergnügen. Ein Plädoyer für Besuche bei fernen GenossInnen.

Wo wart ihr in den letzten Jahren und wieso habt ihr so entschieden?

RJZ: Wir waren an verschiedenen Orten. Auf Korsika, in Palästina, Griechenland und Deutschland, im Baskenland und in Serbien, die speziellen Reisen waren aber die auf die Philippinen und nach Bosnien und Deutschland. Da war das Treffen nicht auf Interviews beschränkt. Die Aktivitäten mit den GenossInnen waren mindestens tageweise völlig im Vordergrund. In den anderen Fällen handelte es sich eher um konventionelle Ferienreisen, auf denen wir uns, teil nach intensiver Recherche, um politische Kontakte vor Ort bemüht haben. Beispielsweise hat Korsika eine interessante und widerständige Geschichte und Kultur, wir wollten das näher kennenlernen, nebenbei aber auch entspannende Ferien geniessen.

Bei den grossen Projekten stand klar das Politische im Vordergrund, das funktioniert nur mit entsprechender Vorbereitung. Wir hatten viel über die Bewegung in Bosnien gehört und wollten da hin, da haben wir einen ofiziellen Aufruf gemacht, schliesslich haben uns die Massen geholfen. Anders lief es bei den Philippinen, da hörten wir, dass die revolutionäre Bewegung sich über Besuche freuen würde und so haben wir angefangen, uns intensiver mit den Philippinen zu befassen.

Alle Erfahrungen waren lehrreich für uns, die speziellen haben uns natürlich einen tieferen Einblick ermöglicht als die «Ferienreisen».

Gibt es heute einfache Reisziele für jene, die sich politisch weiterentwickeln wollen, aber keine Kontakte haben?

Soviel wir wissen, ruft Rojava international für Unterstützung auf. Man kann nach Kuba gehen, da gibt es Brigaden, denen du dich anschliessen kannst, aber sonst gibt es wohl wenig Offensichtliches. Wir denken aber, dass es in Europa meist relativ einfach ist, politische Orte zu finden und dort Kontakte zu knüpfen. Weiter weg musst du dich schon besser vorbereiten, Kontakte im Vorfeld schaffen.

Es kommt auch darauf an, wohin du fährst. Reisen kann an sich bilden. In Palästina z.B. herrscht Ausnahmezustand, alleine das Miterleben der Zustände bildet dich politisch weiter. Das kennen wir ja alle, haben schon tausendfach darüber gelesen, aber es ist eben nicht gleich. Mao hat gesagt: «Willst du den Geschmack der Birne kennenlernen, musst du sie zerkauen». Das sinnliche Erleben ist wichtig, um die Welt zu verstehen. Es ermöglicht dir auch, die eigene Gesellschaft mit anderen Augen zu sehen. Mao fügt hinzu: «Der Mensch kann jedoch nicht alles unmittelbar erfahren, und tatsächlich ist der grössere Teil unserer Kenntnisse das Produkt mittelbarer Erfahrungen, nämlich die in der Vergangenheit oder in fremden Ländern erworbenen Kenntnisse.»1 Wir können nicht an der Revolution auf der ganzen Welt teilnehmen. Aber beim Besuch können beide Seiten Erfahrungen und Kentnisse austauschen. Sie vergleichen Organisationen, Methoden und Grundsätze.

Wie bilanziert ihr die Erfahrungen für euch persönlich?

Immer wenn wir internationale Kontakte knüpfen, gibt das Energie und Motivation. Der Erkenntnisprozess vor Ort hat diesbezüglich eine eigene Qualität. Wir lesen zwar viel über Kämpfe auf der ganzen Welt, doch lässt sich das, was du vor Ort erlebst, nicht damit vergleichen. Wir merken an unseren Sitzungen den Qualitätsunterschied, den die Erfahrung ausmacht, sie wirkt sich auf das Bewusstsein aus. Später, zurück zu Hause, gibt das Erlebte auch Impulse.

Internationale Solidarität zu erleben, ist stärkend. Alleine die Tatsache, dass ich auf die Philippinen reisen kann und dort ohne Gegenleistung aufgenommen werde, weil ich einE GenossIn bin, ist verbindend und schön. Den Kampf mitzuerleben, verstärkt auch den Bezug und führt zu einem tieferen Verständnis. Es ist beispielsweise grossartig, wenn wir hier gleichzeitig mit den GenossInnen in Bosnien ein Transparent zur gleichen Sache hängen. Das stärkt beide Seiten, es ist halt proletarischer Internationalismus. Um die eigene Gesellschaft zu erkennen, ist das Reisen eine Hilfe.

Habt ihr das Gefühl, dass euer Aufenthalt euren Gastgebern etwas gebracht hat?

Ja, wir hatten jedes Mal das Gefühl, willkommen zu sein. Schliesslich arbeiten wir an der selben Revolution wie sie. Und es freut sie, dass uns ihr Beitrag interessiert, dass wir ihn von Europa her verfolgen. Revolutionäre Organisationen auf der ganzen Welt fordern «Hoch die internationale Solidarität», der Besuch macht diese greifbar. Fast überall haben Schweizer Firmen die Finger im Spiel, wo Unheil angerichtet wird. Die Genossen wissen es dann sehr zu schätzen, wenn Revolutionäre wie sie von hier dorthin kommen.

Du musst natürlich auf deine Gastgeber hören und dich anständig verhalten. Die Organisationen können die Situation vor Ort einschätzen, wir nicht. Also ist es an uns, ihre Regeln ernst zu nehmen, sonst werden wir zu einer Belastung.

Was ratet ihr Personen, die auch politisch reisen möchten?

Es ist einfacher, wenn über eine Organisation Kontakte gegeben sind, oder neue gesucht und geknüpft werden können. Weil wir organisiert sind, wissen die Gastgeber, mit wem sie es zu tun haben. Organisierung bietet dir deshalb die Möglichkeit für einen tieferen, vertrauteren Kontakt.

Ansonsten, falls du einfach so reisen willst, solltest du Gelegenheiten, die sich bieten, am Schopf packen. Alle kennen irgendwo Leute, wenn du suchst, findest du politische Kontakte. Wenn du jetzt zum Beispiel nach Rojava willst, gehe an Veranstaltungen, dort gibt es Informationen und Leute. Dann musst du dich halt zusätzlich vorbereiten, Historisches lesen, die politische Situation vor Ort genauer anschauen und dir überlegen, was du dir zutraust und was nicht. Sicherheitsaspekte sind je nach Reiseziel zu berücksichtigen. Nur schon in Deutschland bewegen sich die Leute teilweise viel klandestiner als hier, wo man mit dem RJZ-Pulli Bus fahren geht. Auf jeden Fall meinen wir, dass es sinnvoll ist, sich mit den Kämpfen auf der Welt auseinanderzusetzen.

1 Beide Zitate aus Maos «Über die Praxis».