Machtkrise in Südkurdistan

(Rabs) In der „autonomen Region Kurdistan“ im Irak – von den KurdInnen meist Südkurdistan genannt – zeigen sich immer mehr Risse im Machtblock von Staatschef Massoud Barzani. Dazu trägt das Projekt Rojava wesentlich bei. Die erstarkte revolutionäre Perspektive lässt den opportunistischen Weg Barzanis in schäbigem Licht erscheinen.

Die Geschichte von Barzanis KDP (Kurdistan Democratic Party) erzählt von gnadenloser Machtpolitik. Obwohl die Rhetorik und Symbolik von kurdischem Nationalismus strotzt, schreckte der Familienclan Barzani nie davor zurück, andere kurdische Gruppierungen zu massakrieren und mit allen möglichen Akteuren zu kollaborieren.

So ging die KDP etwa 1978 gemeinsam mit dem türkischen Geheimdienst gegen die Patriotic Union of Kurdistan (PUK) vor, die sich einige Jahre zuvor von der KDP abgespalten hatte. In einer einzigen Operation wurden mehrere Hundert PUK-Peschmergas getötet. 1982-83 tötete die KDP viele Mitglieder ihrer iranischen Sektion in Zusammenarbeit mit Ayatollah Khomeinis Sicherheitskräften. 1992 beteiligte sich die KDP an einer grossen türkischen Offensive gegen die PKK in den Qandil-Bergen. Zur Rechtfertigung verstieg sich Massoud Barzani damals zur absurden Aussage, die PKK werde von Saddam Hussein angeführt. Einige Jahre später kollaborierte er mit Saddam, um die PUK aus Erbil zu verdrängen. Heute drückt sich diese Politik im Embargo gegen Rojava und der Zusammenarbeit mit Erdogans AKP aus.

Der Ölpreis zerfällt – der Spielraum wird enger

Die Machtbasis Barzanis erodiert aber zunehmend. Über Jahre hinweg baute er mit den vorhandenen Erdölreserven ein Klientelsystem auf, welches das Machtgefüge festigte, aber gleichzeitig vollständige Abhängigkeit von der Ölrente schuf. In Südkurdistan besteht die gesamte Wirtschaftsproduktivität in der Förderung des Öls, anschliessend geht es nur noch um die Verteilung des daraus fliessenden Reichtums. Alle anderen Wirtschaftsbereiche sind völlig verkümmert und selbst Lebensmittel, die eine Generation zuvor in Fülle vorhanden waren, müssen heute importiert werden. Der eingebrochene Ölpreis und die Kosten des Kriegs gegen den IS stellen die Regierung nun vor massive Probleme. Die Antwort der macht- und geldhungrigen KDP-Elite fällt wenig überraschend aus: Es wird am unteren Ende des Klientelsystems gekürzt (weite Bereiche der Staatsangestellten erhalten schlicht ihren Lohn nicht mehr oder bis auf weiteres nur noch die Hälfte) und der Krieg gegen den äusseren Feind wird als Kitt gegen soziale Widersprüche genutzt.

Doch der Druck wächst: Am 20. Mai hat die PUK mit der liberalen „Reformpartei“ Gorran ein Abkommen besiegelt, das eine gemeinsame Politik gegen Barzanis (ausgelaufene) De-Facto-Präsidentschaft ankündigt. Gemeinsam haben die beiden Parteien mehr Abgeordnete als die KDP im Parlament, sie kontrollieren die Hälfte aller Sicherheitskräfte der autonomen Region und die Gas- respektive Erdölmetropolen Sulaymanyah und Kirkuk. In Sulaymanyah wurde das Abkommen von tausenden Menschen auf der Strasse gefeiert.

Kalter Krieg mit der fortschrittlichen Befreiungsbewegung

Die Legitimität Barzanis wird zudem von einer weiteren Seite her untergraben. Denn mit Rojava an seiner Seite ist Südkurdistan nicht mehr die einzige kurdische Autonomieregion. Seit jeher wurde die Bewegung um Abdullah Öcalan als Feind bekämpft, da deren politische Ziele völlig unvereinbar mit der elitären Vasallenpolitik der KDP sind. Nun ist aber die revolutionäre Befreiungsbewegung in Kurdistan so stark wie wohl kaum je zuvor. Das Projekt Rojava ist unterdessen sehr bekannt und seine kämpfenden Selbstverteidigungseinheiten (YPG und YPJ) erfahren viel Solidarität. Die Peschmergas der KDP haben seit dem 20. März dieses Jahres die Grenze zwischen Syrien und dem Irak – beziehungsweise zwischen Rojava und der autonomen Region Kurdistan – hermetisch abgeriegelt. Weder Medikamente, Baumaterialien oder Nahrungsmittel noch JournalistInnenen oder Delegationen werden derzeit nach Rojava gelassen. Die wirtschaftlichen und humanitären Auswirkungen sind dramatisch, denn die Nordgrenze wird vom türkischen Militär vollständig blockiert und im Süden grenzt Rojava an das Möchtegern-Kalifat des IS. Diese Ausblutungspolitik fährt die KDP einerseits auf Druck der Türkei (an die Barzani die Gas- und Erdölvorkommen der Region verkauft) andererseits aus Eigeninteresse. Denn die Sympathie für Rojavas Partei der demokratischen Union (PYD) und für die YPG/YPJ ist auch in der autonomen Region Kurdistan weit verbreitet. Die Schuld an der geschlossenen Grenze schiebt die KDP dementsprechend auch dreist der PYD zu.

Früher oder später

Es herrscht ein Kalter Krieg zwischen den fortschrittlichen Kräften Rojavas und der KDP. Besonders angespannt ist die Situation im Shengal, einer Region, die direkt an der Grenze zu Syrien bzw. Rojava liegt. Als der IS diese Region im Herbst 2014 angriff, lösten die Peschmergas der KDP ihre Stellungen auf und zogen alle schweren Waffen ab. Die jesidische Zivilbevölkerung blieb ohne jeglichen Schutz. Die folgende Geschichte von Verschleppung, Völkermord und Flucht ist bekannt. Den YPG gelang es dann 2015 gemeinsam mit der PKK, einen Fluchtkorridor in den Shengal zu schlagen und schliesslich den IS zurück zu drängen. Die Peschmergas sind heute wieder im Shengal und inszenieren sich als die Befreier der Region. Doch die bewaffneten Kräfte der PKK und die YPG sind nicht bereit sich wieder zurückzuziehen. Ausserdem haben die Jesiden nach dem Vorbild der YPG eigene Verteidigungskräfte aufgebaut, die YBŞ. So herrscht in der zerstörten, militarisierten Zone ein sensibles Kräftegleichgewicht zwischen den beiden Kräften. Der IS steht nach wie vor vor der Tür, und im Kampf gegen die islamistischen Banden kommt es auch immer wieder zur punktuellen Zusammenarbeit der verfeindeten kurdischen Kräfte. Doch auf beiden Seiten ist die Einschätzung zu hören, dass es früher oder später zur Konfrontation kommen muss. Zurzeit kann sich das aber weder die PKK/PYD noch Barzani leisten.