Vom Protest zum Widerstand in reaktionären Zeiten

Mit der Wahl Trumps scheint sich die ökonomische Krise endgültig in der Politik niedergeschlagen zu haben. Doch so erschreckend anders die neuen politischen Charaktere auch sein mögen, so banal bekannt drückt sich darin ebenso ein Klasseninteresse der Bourgeoisie aus.

1968, als die spätere Mitgründerin der RAF Ulrike Meinhof noch Journalistin war, berichtete sie von einem afroamerikanischen Genossen, der eine wichtige Unterscheidung zwischen Protest und Widerstand gemacht habe. «Protest ist», hatte dieser an einer Konferenz gegen den Vietnamkrieg erklärt, «wenn ich sage, das und das passt mir nicht. Widerstand ist, wenn ich dafür sorge, dass das, was mir nicht passt, nicht länger geschieht.»

Damals intervenierte Meinhof mit diesem Zitat in die Militanz-Debatte, die fortschrittlichen Kräfte befanden sich in einer Offensive, die die Gesellschaften des kapitalistischen Westens bleibend verändert hat, auch wenn sie nicht in eine Revolution mündete.

Heute ist das anders. Wir stehen einer Offensive der Rechten gegenüber, die globale Ausmasse hat. Doch Protest und Widerstand auseinander zu halten, ist heute aktueller denn je. Denn es heisst, politisch gegen die Bedingungen zu kämpfen, die die Angriffe hervorbringen, gegen die wir uns heute wehren müssen. Protest verurteilt mit Appellen, Widerstand will etwas verändern; Protest belässt es bei Deklarationen, Widerstand ist konkret. Protest sagt «Not my president», Widerstand blockiert die Ölpipelines in North Dakota. Nun braucht auch Widerstand die Bekräftigung durch eine Perspektive. Doch dazu gleich mehr, zuerst muss man den Durchmarsch der Rechten in seinem Ausmass und in seinen verschiedenen Momenten erfassen.

Trumps Amerika

«Amerikkka» mit drei Ks wie Ku-Klux-Klan: Donald Trump als Präsident macht den Alptraum, von dem einst der Rapper Ice Cube rappte, sehr real. Trump hatte seinen Wahlkampf auf Hasstiraden aus Rassismus und Sexismus gebaut. Er hatte zudem mit Versprechen an weisse männliche Arbeiter und Kleinbürger, die er weder einhalten will noch kann, mobilisiert.

Gewählt wurde er aber nicht von diesen ArbeiterInnen. Dass Trumps Wahl ein reaktionäres Aufbäumen der weissen Arbeiterklasse sei, ist ein Mythos. Im «rust belt», den abgewrackten Industrieregionen zwischen den Grossen Seen und der Ostküste, sind viele ArbeiterInnen einfach zuhause geblieben. Trump hatte sie nicht an sich gezogen, Clinton hatte sie abgestossen, und das aus guten Gründen. Dennoch haben jene, die überhaupt gewählt haben, mehrheitlich Clinton angekreuzt.

Die ArbeiterInnenklasse und das Subproletariat in den USA sind durch den Rassismus gespalten, und die Stimmen der Schwarzen erhielt der bekennende Rassist nicht, wohl aber die Stimmen eines Teils von aufstiegsorientierten, aber sich bedroht wähnenden Latino-Familien. Nach allem, was man heute einschätzen kann (was schwierig bleibt), waren es vom Abstieg bedrohte, weisse, männliche Kleinbürger, die den Ausschlag gaben. Klarer sind die Verhältnisse in den höheren und höchsten Einkommensklassen – sie haben mehrheitlich für den Steuersenker und De-Regulierer gestimmt, der ja schlicht der Vertreter der Republikanischen Partei ist. «ProtestwählerInnen» sind das nicht. So liegt ein Teil des Schreckens auch in der Banalität: Auf acht Jahre Demokraten folgt ein Republikaner. So läuft die Mechanik in der Diktatur des Bürgertums namens «parlamentarische Demokratie». Schliesslich ist der Milliardär Trump alles andere als ein Aussenseiter. Doch seine Methoden und seine Stabs-Berufungen machen ihn zu einem brandgefährlichen Fall bürgerlicher Herrschaft. Die Börsen feierten den Sieg Trumps, die Aktien der Waffenproduzenten und der privaten Gefängnisbetreiber rasten in die Höhe.

Unterschiede und Gemeinsamkeiten

England nach dem Brexit: Hier kam die Behauptung von den reaktionär wählenden «Globalisierungsverlierern» zum ersten Mal auf. Aber in England waren mindestens so sehr Teile des Kapitals für einen Ausstieg aus der EU. Ideologische Kapitalvertreter wie die Financial Times waren zwar schockiert über das Resultat, doch das Gesicht von Brexit ist Boris Johnson, der Mann des Finanzplatzes London. Die Londoner City lotet verschiedene Möglichkeiten aus – London quasi als eine zweite Schweiz, ein Platz mit Sonderrechten für die globalen Kapitalien, ohne Interesse am Massengeschäft mit der EU.

Brexit war nicht nur ein Betriebsunfall fürs Kapital, Trump nicht einfach die Rache der wirtschaftlich Abgehängten und auch andernorts sind Interessenlagen und politische Machtstellungen anders verknüpft, als dies auf den ersten Blick erscheinen mag. Nicht zuletzt deswegen, weil das Kapital bei weitem keine einheitliche Position darüber besitzt, wie eine Interessenslage in einer bestimmten historischen Situation durchgesetzt werden kann. Gemeinsam ist allen, dass die herrschende Klasse aufgrund der ökonomischen Krise in Verteilkämpfen verstrickt ist und in gegenseitiger Ablehnung um politische wie ökonomische Lösungen ringt. Auch lässt sich feststellen, dass dort, wo Staaten infolge neuer Rechtsregierungen umgebaut werden, dies mit Sozialabbau und einer versuchten Schwächung der ArbeiterInnneklasse einhergeht. Eine drohende politische Instabilität mag Investitionen zwar hemmen, doch werden gleichzeitig die Rahmenbedingungen für das Kapital verbessert. Vielleicht kann sich das Kapital nicht deswegen so schnell mit den neuen Situationen anfreunden, weil es besonders anpassungsfähig wäre, sondern schlicht, weil es mitunter davon profitiert.

Eine weltweite Welle – an Populismus?

Trotzdem: die reaktionären Mobilisierungen greifen vor allem bei denen, die wirtschaftlich bedroht sind und sich gesellschaftlich nicht vertreten sehen – bei KleinbürgerInnen und bei Teilen des Proletariats –, auch wenn die Reaktionären keine Politik ihrer Interessen betreiben. Klar ist, dass die letzten Monate mehr Entsolidarisierung, mehr Spaltung und Hass innerhalb der Klasse, mehr sexistische Attacken und mehr Angriffe gegen MigrantInnen gebracht haben. Das sind zuerst mal politische Verwüstungen innerhalb der Klasse.

Vielfach wird gesagt, die Erfolge der Rechten seien ihrem Populismus zuzuschreiben. Meist bleibt unklar, was damit gemeint ist, sofern nicht schlicht verächtlich die Unterklassen und die Massen an sich als «populistisch eingestellt» betitelt werden. Vielleich könnte man PopulistInnen so definieren, dass sie ein «Volk», von dem sie behaupten, dass nur sie es vertreten könnten, gegen die «Eliten» hochhalten. Das ist ein rhetorischer Kunstgriff, der von Trump über Le Pen bis zur SVP angewendet wird. Aber es ist eine sehr schwache Definition, die eigentlich nichts erklärt, ausser dem wichtigen Punkt, dass sie auf eine Krise der politischen Vertretung und eine Krise im Einverständnis mit dem politischen System hinweist. Leute sehen, dass die Herrschenden nicht nur nichts für sie tun, sondern dass sie ihnen auch schlicht egal sind. Und zum andern, dass diese Leute davon genug haben. Wem ständig gesagt wurde, es gebe keine Alternative zum angeblichen Naturgesetz des Marktes, reagiert mit destruktiver Opposition innerhalb des Bestehenden – «leckt mich!», man stimmt gegen die Belehrungen von oben.

Dieses Motiv mag in unterschiedlichen Fällen unterschiedlich wichtig sein, entgegnen kann dem letztlich aber nur eine Perspektive, die über das Bestehende hinausreicht. Denn klar ist, dass Clinton gegen Trump keine Alternative war. Ebenso wenig wie ein nationalistischer Schraubstock, der die Arbeitskräfte im Griff hat, gegen die Zwänge in der Konkurrenz des Weltmarkts eine Alternative ist. Die so genannten PopulistInnen kommen in der Regel nicht von ausserhalb des bisherigen Parteiensystems und sie sind, so weit abzusehen ist, nicht Ausdruck einer Unregierbarkeit des bürgerlichen Staats. Eher verzichtet die bürgerliche Demokratie im Moment auf ihre kulturelle Bürgerlichkeit. Das ist die Ausweitung der ökonomischen Krise zur politischen Krise: eine Eskalation der kapitalistischen Offensive mit nationalistischer Aggressivität.

Und in der Schweiz?

Die SVP ist Teil der Rechtsentwicklung, doch nimmt sie diese Rolle im Vergleich zu manchen anderen europäischen Ländern schon etwas länger ein. Auch sie verkauft sich als Partei der wirtschaftlich bedrohten Nationalangehörigen, vertritt aber gleichzeitig die Kapital- und Klasseninteressen der Bourgeoisie. In diesem Widerspruch liegt wohl letztlich die Schwierigkeit, die die Analyse der gegenwärtigen politischen Entwicklung mit sich bringt. Denn der bürgerliche Klassencharakter einer Partei offenbart sich nicht einfach in einem zahlenmässigen Abbild – dann wären die Parteien der Bourgeoisie bedeutungslos – sondern in der Fähigkeit, VertreterInnen anderer Klassen an sich zu binden und so Teil eines Kampfes um politische wie ideologische Hegemonie zu werden. Eingebunden werden andere Klassen durch ideologische wie ökonomische Zugeständnisse. Besonders anschaulich zeigt sich dieses Prinzip, wenn die SVP trotz Kritik an den Staatsausgaben beständig den Betrag für die BäuerInnen erhöhen will und sich so traditionsbedingt die Stimmen dieser Klasse erkauft. 

Dieses Spiel ist wesentlicher Bestandteil einer demokratischen Herrschaftspolitik. So zeichnet sich die politische Macht der Bourgeoisie nicht dadurch aus, dass sie Befehle erteilen würde. Parteien suchen nach Strategien und entwickeln daraus Taktiken, um ihre Interessen umsetzen zu können. Daraus nimmt schliesslich ein in sich widersprüchliches Interessensgemenge konkrete Gestalt an.

Bezüglich SVP bedeutet dies beispielsweise die Forderung nach Sozialabbau und restriktiver Migrationspolitik bei aussenpolitischer Offensive gegen die EU. Dass sich darin eine Kapitalfraktion rund um StadlerRail Chef Peter Spuhler wohl fühlt, der zugleich auf Swissness wie liberale Wirtschaftspolitik setzt, scheint naheliegend, ist aber dennoch keine Selbstverständlichkeit. Teile des Bürgertums setzen auf bestimmte Strategien, andere grenzen sich davon ab, alle sind sie jeweils davon überzeugt, das Beste für sich und ihre Klasse rauszuholen. Die Bourgeoisie lebt davon, sich in gegenseitiger Konkurrenz zu behaupten. Wer aber zu welchem Zeitpunkt welchen Weg einschlagen wird, ist ebenso wenig voraussehbar wie einzig ökonomisch determiniert.

Insbesondere in Zeiten ökonomischer Krisen sind solche Interessenlagen überaus instabil. Nicht zuletzt bei der Abstimmung zur Masseneinwanderungsinitiative ist wieder sichtbar geworden, wie die SVP auch parteiintern alles andere als widerspruchsfrei funktioniert. Denn zwischen einem „Commitment zum Zuger Rohstoffhandelsplatz“, wie die Zuger Sektion der SVP exemplarisch für die wirtschaftspolitische Haltung schreibt, und dem Poltern gegen die Elite und die Oben, kann nur temporär eine stabile Einheit entstehen. Während Nationalismus für gute Wahlresultate wichtig ist, will man sich betreffend Kapital nicht auf die Interessen einer nationalen Bourgeoisie beschränken – ein Widerspruch, der immer wieder Spannungen hervorbringen wird. Auch vertritt die SVP nicht das gesamte Klasseninteresse der Bourgeoise, dafür äusserst erfolgreich: Die SVP ist in den letzten 20 Jahren auf der politischen Bühne zur wichtigen bürgerlichen Kraft geworden. Sie kanalisiert die reaktionären kleinbürgerlichen Klasseninteressen und ist in der Lage, die Agenda der anderen bürgerlichen Parteien teilweise zu bestimmen.

Eine Perspektive bieten

Dies führt zurück zur Unterscheidung von Protest und Widerstand. Denn auch gegen die Politik der SVP kann man sich enervieren, sich in Abstimmungskämpfe stürzen und auf das kleinere Übel hoffen. Doch all das wird dieses System, dessen einwandfreies Funktionieren der SVP genauso wie anderen Kräften des Bürgertums so am Herzen liegt, nicht überwinden. Deshalb gilt es Formen zu entwickeln, um aus dem Protest Widerstand und aus dem Widerstand eine revolutionäre Perspektive entstehen zu lassen. Wie die anhaltenden Kämpfe in den USA zeigen, gehören dabei Solidarität und organisierter Selbstschutz zu realen Möglichkeiten, um in der Defensive handlungsfähig zu bleiben. Doch in manchen Fällen kann auch Angriff die beste Verteidigung sein. Man erinnere sich etwa an den SVP-Aufmarsch 2007 in Bern. Dort konnte nicht nur kollektiv gegen die treibende reaktionäre Kraft vorgegangen werden, auch gelang es, nachhaltig zu vermitteln, wieso militanter Widerstand wichtig und richtig ist: Es war bis zur kommenden Mobilisierung von März 2017 der letzte Versuch der SVP, auf der Strasse Druck aufzubauen.