Sexismus in der IT-Branche

DIGITALISIERUNG Die Veränderungen von Strukturierung und Organisierung von Arbeit sind ein hochbrisantes Thema. Welche Rolle spielt das Geschlecht in diesen Transformationsprozessen?

(agj) Praktisch jede grosse Firma der IT-Branche hatte in den vergangenen Jahren ihren Sexismus-Skandal. Egal ob Uber, Facebook oder Apple: Ihr gegen aussen gepflegtes Bild von Pluralismus und Egalitarismus kontrastierte scharf mit den Meldungen, die nach aussen drangen. So etwa im Sommer 2017, als ein internes Manifest eines Google-Mitarbeiters öffentlich wurde, welches vor Sexismus, Rassismus und Homophobie nur so triefte. Ähnlich verhält es sich mit Meldungen, die aus der Game-Branche kommen, in denen immer wieder die Rede von sexistischen Scherzen und Übergriffen ist. Solche Meldungen vermitteln den Eindruck, dass es in Sachen Sexismus in IT-Firmen schlimmer aussieht als anderorts. Gibt es in einer Branche, in der die Arbeitsplätze zu 90 Prozent von Männern besetzt sind, spezifische Bedingungen?

Krieg und IT

Leider ist Sexismus am Arbeitsplatz ein viel zu alltägliches Phänomen, welches in dieser Gesellschaft tief verankert scheint. Aber in Unterscheidung zu vielen anderen Arbeitsfeldern, in denen das Geschlechterverhältnis ausgeglichener ist, muss in diesem Fall doch gewissermassen von einem Kräfteverhältnis ausgegangen werden, in dem es eine klare männliche Dominanz gibt. Und es spielt für das Klima am Arbeitsplatz sehr wohl eine Rolle, ob man eine Frau neben dutzenden Männern ist, oder eben nicht (was aber wiederum nicht heissen soll, dass der Frauenkampf sich auf die Forderung nach Geschlechterquoten zu beschränken hat).

Diese Verhältnisse kommen nicht von ungefähr, sondern haben ihre Wurzeln in historischen Prozessen. Die Entwicklung der Informatik ist beispielsweise eng mit der Geschichte des Militärs und dem militärisch-industriellen Komplex im Allgemeinen verknüpft. Der Zweite Weltkrieg war ein enormer Treiber der Innovation, denn hochkomplexe Forschung war gefragt, um die Abwurfbahnen von Bomben sowie deren Wirkung zu berechnen oder um die Verschlüsselung feindlicher Kräfte zu knacken. Der Krieg und der technologische Fortschritt waren (und sind) eng umschlungen, es gab eine rasante Entwicklung der Computertechnologien und viele Wissenschaftler wurden in dieser Zeit ausgebildet.

Deren Arbeit setzte sich nach Ende des Krieges fort. Nach wie vor war es so, dass in erster Linie Staaten in der Lage waren, die riesigen Grossrechneranlagen überhaupt auf die Beine zu stellen und zu betreiben (ganz im Gegensatz zu heute). Damit blieb die Anbindung der Informatik an Staaten und an das Militär bestehen. Man kann sich vorstellen, dass diese selbstverständlich nicht selbstlos handelten, sondern handfeste Interessen in der Forschung verwirklicht sehen wollten. Entsprechend wurde sowohl die Technologie geprägt, die entwickelt wurde, sowie das Klima, in welchem entwickelt wurde.

Heute ist die Abhängigkeit gelockert, aber weiterhin nicht zu unterschätzen. Es ist immer noch so, dass Milliarden aus der Rüstung in die Forschung fliessen. Man denke beispielsweise an die Drohnen, welche an der ETH in Zürich entwickelt werden, oder an In-Q-Tel, die Venture Capital Firma des US Auslandsgeheimdienst CIA, welche jedes Jahr riesige Beträge in Firmen steckt, deren Arbeit sie interessiert. Deren Portfolio ist online offen einsehbar und umfasst beispielsweise Investitionen in Firmen, die an schnelleren DNA-Auswertungen, der automatisierten Analyse von aufgezeichneten Gesprächen oder besseren Trackingverfahren via GPS forschen.

Der ewige Zyklus der Produktion und Reproduktion von Geschlechterrollen

Wenn wir Sexismus in der IT-Branche betrachten möchten, muss die Problematik aber auch in einen gesamtgesellschaftlichen Kontext gesetzt werden, der auf die widersprüchlichen Geschlechterverhältnisse eingeht. Die marxistische Analyse sieht die Ursachen der Frauenunterdrückung als Produkt der gesellschaftlichen Entwicklung. Die Stellung der Frau in der Gesellschaft liegt in der Position begründet, die sie im Produktionsprozess einnimmt. Eine der Folgen der Entstehung von Privateigentum und Warenproduktion war der Sturz der matrilinearen Verwandtschaftsfolge, was von Engels als die «welthistorische Niederlage des weiblichen Geschlechts» bezeichnet wird. Denn in den Urgesellschaften existierten keine engen Familiengrenzen und die Zugehörigkeit zur «Familie» wurde über die Mutter geregelt. Das als Folge der Produktivkraftentwicklung entstandene Mehrprodukt, welches in einer langen Entwicklung zum Privateigentum des Mannes geworden war, verlangte nach legitimen Erben und so trat an die Stelle des sogenannten «Mutterrechts» die patriarchale Familie. Noch heute, im Kapitalismus, finden wir die gleiche geschlechtsspezifische Arbeitsteilung und Familienstruktur wieder, obwohl deren objektive Notwendigkeit schon lange durch die technologischen Entwicklungen aufgehoben wurde. Der Kapitalismus hat ein direktes Interesse daran, an dieser Struktur festzuhalten. Die unbezahlte Reproduktionsarbeit der Frauen produziert gratis und verantwortungsbewusst die kostbarste Ware: Arbeitskraft. Der Wert der Ware Arbeitskraft nützt der Frau nicht viel denn im Kapitalismus wird nicht die Bereitstellung der Arbeitskraft, sondern nur ihr direkter Einsatz im Produktionsprozess bezahlt. Denn seine Logik folgt dem Profit.Mit der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung wird die Stellung der Frau in der Gesellschaft zementiert und reproduziert. Es ist kein Zufall, dass typische Frauenberufe prekärer und schlechter entlohnt werden als typische Männerberufe.

Die Computerbranche, das Ingenieurwesen und die Wissenschaft sind Berufsfelder mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit der vollständigen Automatisierung und Digitalisierung als andere Bereiche. Diese Felder sind sogar von einem Fachkräftemangel gekennzeichnet. Das Phänomen fehlender Frauen in der IT-Branche ist gleich doppelt problematisch. Einerseits schreckt es Frauen ab, Berufswege einzuschlagen, wo wenige Frauen vertreten sind. Sie haben mit grösseren Hürden zu rechnen als Männer in der gleichen Branche. Anderseits kommen Frauen weniger in den Genuss von diesen gutbezahlten Arbeitsplätzen, die die digitalisierte Welt von Morgen transformieren. Es ändert sich nichts, weil die Frauen fehlen, die diese männliche Domäne brechen könnten und nicht Teil sind, an den Prozessen, die die Technik der Zukunft gestalten.

Die Naturwissenschaften den Männern

Ein Ursprung der heutigen männlichen Dominanz in der IT ist also mitunter wohl in der Verzahnung mit der Forschung für den Krieg zu suchen, die von einem Männerbund à la Militär forciert wurde. Dazu kommt das allgemeine Problem, dass die Naturwissenschaften und die Technik oftmals allgemein als eine männliche Domäne betrachtet werden, in der Frauen deplatziert sind. Die Geschichte der Computertechnologien verbindet sich mit der allgemeineren Geschichte der Naturwissenschaften und fertig ist die Männerdomäne des IT.

Das ist ein Problem. Denn die Technik spielt eine starke Rolle in der gesamtgesellschaftlichen Arbeits- und Machtverteilung. Man könnte sagen, wer über die Gestalt der Technik entscheiden kann, kann auch über Arbeits- und Machtverteilung entscheiden. Berufe in der Technik und in deren Entwicklung sind auch zentrale Orte der Konstruktion und Rekonstruktion von Geschlechterungleichheiten. Technisches Wissen stellt eine Machtquelle dar, sei es einerseits der Herrschenden über das Proletariat, aber auch von Männern über Frauen.

Oftmals wird die gesellschaftliche Bedeutung der Technik hinter einem Image der Objektivität und Neutralität verschleiert. Denn die Technik macht unser Leben auf den ersten Blick einfacher, indem verschiedenste Probleme für uns gelöst werden. Kaum jemand wird darüber klagen, dass Kühlschränke entwickelt wurden, um die Haltbarkeit von Lebensmitteln zu verlängern. Wenige sehnen sich nach vergangenen Tagen, als die Milch im Sommer schnell sauer wurde. Doch es ist wichtig zu sehen, dass es aus einer materialistischen Geschichtsauffassung klar ist, dass der Fortschritt nicht einfach zufällig aufgrund von genialen Einfällen vorangeht, sondern konkret mit den materiellen und gesellschaftlichen Bedingungen dieser Zeit verbunden ist.

Reproduktion durch Technologien

Inwiefern sehen wir also, wie die Technologie diese Bedingungen reproduziert? Ein Beispiel hierfür kommt aus der medizinischen Forschung in Zeiten von Big Data, wobei Herzinfarktrisiken mithilfe eines Algorithmus identifiziert werden, die die grossen Datenmengen nach systematischen Mustern durchsuchen. Ein Problem damit ist, dass dieser Algorithmus nur Muster für diejenigen Personen entdecken kann, welche in den ursprünglichen Daten überhaupt erst auftauchen. Berichte aus den USA unterstreichen, dass gewisse Bevölkerungsgruppen wie Afro-AmerikanerInnen oder Schwangere in solchen Daten systematisch unterrepräsentiert sind. Das heisst, dass der via Algorithmus erhoffte Wissensgewinn letztlich oftmals nur für eine Bevölkerungsgruppe – männlich und weiss – hilfreich ist, während er für andere schädlich sein kann (weil man beispielsweise Risikomerkmale für andere Gruppen gar nicht erst berücksichtigt und deren Frühwarnsignale nie erkennt).

Digitale Technologien sind Werkzeuge und geprägt von den Interessen derjenigen, die sie programmieren, wie von den Umständen, in denen sie programmiert werden. Ein diskriminierender Algorithmus tut dies nicht, weil er es gerne will, sondern weil er etwas reproduziert. Solange die Diskriminierung Teil der Gesellschaft ist, werden auch Computer diskriminieren. Denn Computer können nur mit den Informationen arbeiten, die man ihnen gibt, sie verarbeiten Daten und entwickeln nicht emanzipatorische Ideen. So kann es passieren, dass computerbasierte Lernsysteme rassistische und sexistische Ideen aufgreifen. Ein Beispiel dafür ist ein Chat-Roboter von Microsoft, der vie Twitter mit anderen BenutzerInnen der sozialen Medien kommunizieren sollte. Trotz einem eingebauten Filter musste der Bot nach einem Tag vom Netz genommen werden, weil er nur so sprudelte vor sexistischen, rassistischen und homophoben Aussagen. Der Roboter hat von anderen Twitter-NutzerInnen diese Sprache gelernt, bis er zu einem kleinen Monster geworden ist.

Diversität als Profitgarant

Es ist nicht so, dass diese Umstände keine Aufmerksamkeit erhalten würden. Viele Frauen in der IT-Branche wehren sich und schweigen nicht. Doch es ist wiederum erhellend, aus welcher Position dann jeweils der Ruf nach mehr Diversität erfolgt und an welchem Punkt die Frage der Gleichstellung dann ihre Limite findet. Gillian Tanis, Frau und CEO von booking.com, schreibt auf der Homepage des World Economic Forum anlässlich der Veröffentlichung ihres Berichts zum «Gender Gap», dass mehr Diversität gefragt sei, weil damit ein höherer Profit erzielt werden könne. Anderorts heisst es auf der Homepage des Forums, dass «Fähigkeiten, die Frauen mitbringen, und früher ‘soft skills’ genannt wurden, heute als profitabel und wichtig anerkannt sind.» Wenn’s also um den Profit geht und dieser dadurch gefährdet ist, dass keine Frauen dabei sind, dann dürfen diese sehr gerne mitmachen. Die offene Diskriminierung der Frauen hört dort auf, wo die Profitsorgen des Kapitals beginnen.