Zwischen Westen und Trikont – 68er-Bewegung in der Türkei

 Welche Rolle die 68er Bewegung in der Türkei einnahm und welche Perspektiven daraus entstanden.

Während sich Retrospektiven zur 68er Bewegung oftmals auf die Zentren im Westen konzentrieren, wollen wir mit diesem Artikel einen Blick aus den Zentren heraus an den Rand des politischen Westens werfen und die 68er Bewegung in der Türkei anschauen. Die Türkei ist wichtig, weil wir uns in der aktuellen politischen Lage mit ihr wegen der revolutionären Tradition oder der strategischen Bedeutung für den Imperialismus befassen. Damit wollen wir unseren Blick auf die Politik in der Türkei um ein wichtiges historisches Ereignis erweitern und aufzeigen, dass ausserhalb des Westens linke Politik gemacht wurde und wird.

Die aktuelle politische Lage in der Türkei weckt das Interesse der revolutionären Linken. Sei dies bezüglich der Linken in der Türkei oder auch hier im westlichen Exil, oder bezüglich der Auswirkungen der Politik der AKP-Regierung am präsenten Beispiel von Syrien. Diese Politik darf aber nicht ohne Bezugnahme auf die historischen Vorläufer betrachtet werden.

Ein antiimperialistisches 1968 in der Türkei

Die 68er-Bewegung und die daraus resultierenden Organisationen stellen für praktisch alle linken Parteien und Strukturen in der Türkei nach wie vor einen wichtigen Referenzpunkt dar. Genau so wie in westlichen Industriestaaten die Organisierung von ArbeiterInnen, Arbeitskämpfe und Studierendenproteste existierten, spitzten sich diese gepaart mit der Thematik des Vietnam-Krieges auch in der Türkei zu.

So legte in Istanbul 1968 die US-amerikanische 6. Flotte an. Das Ankerlegen des amerikanischen Militärs an der Küste Istanbuls, der Vietnamkrieg und die anti-NATO Haltung im Allgemeinen hatten heftige Proteste zur Folge. US-amerikanische Matrosen wurden durch die Protestierenden angegriffen und ins Meer geworfen. Bei einer darauf folgenden Razzia in einem Istanbuler Studentenheim kam ein Jurastudent um. Gepaart mit der Solidarität mit Kämpfen im Nahen Osten, sowie dem Kampf im Innern gegen einen verkrusteten autoritären Staat, entwickelte sich die Linke in der Türkei rapide. Die Militanz in den Arbeitskämpfen und der Organisierung sowie im bewaffneten Kampf nahm zu.

Militante Aktion und Reaktion

Die proletarischen und antiimperialistischen Kämpfe 1968 blieben nicht ohne Folgen. Viele Organisationen begannen, militärische Strukturen zu schaffen. Schliesslich sollte der militärische Kampf in einer Revolution münden. Diese linke Bedrohung blieb von der türkischen Regierung und ihren NATO-Partnern nicht unbemerkt. Die Reaktion darauf war, dass die Regierung in der Türkei sowie die NATO begannen, faschistische und später auch islamistische Organisationen (mit-)zu gründen und finanziell und organisatorisch zu unterstützen. Ein bekanntes Beispiel ist die Organisation «Graue Wölfe» welche durch verschiedene staatliche Strukturen und Akteure unterstützt worden ist und bis heute unterstützt wird. Durch diese Gegenaufrüstung verschärfte sich der Konflikt. Angriffe und Gegenangriffe in den Bergen wie in den Städten lagen an der Tagesordnung und die herrschenden Regierungen versuchten, die entstehenden linken Strukturen mit allen Mitteln zu bekämpfen.

Auswirkungen

Die militärische Aufrüstung hatte frappante Folgen für die verschiedenen linken Organisationen. Unter ständigem Beschuss stehend, verschärften sich auch interne Konflikte. Die einst geeinten Organisationen begannen sich oftmals entlang ideologischen Linien aufzusplittern und verzettelten sich in Grabenkämpfen. Währenddessen gewann die Gegenseite stetig an Macht. Unter dem autoritären Regime sowie durch die Unterstützung seitens der NATO konnten sich faschistische und islamistische Gruppen immer weiter organisieren und ihren Einfluss festigen.

Eine weitere Auswirkung war das Verbinden der türkischen Linken mit der kurdischen Freiheitsbewegung. Deren grösste Organisation, die PKK, wurde zur stärksten linken Organisation in der Türkei, da sie nach dem Militärputsch von 1980 wegen ihren internationalen Strukturen weniger an Repressionen litt als die meisten türkischen Linken Organisationen

Perspektive

Noch heute wirken die Ereignisse der 68er-Bewegungen nach. Die Linke in der Türkei ist nach wie vor in vielen, kleinen Gruppen organisiert und führt eine Politik, welche ihre Energien nicht nur auf die gemeinsame Perspektive fokussiert, sondern leider auch auf die spaltenden Differenzen. Interessanterweise schaffte es in den letzten Jahren zumindest ein Teil der türkischen Linken sich unter dem Dach der parlamentaristischen kurdischen Befreiungsbewegung (HDP) zu vereinen. Es stellt sich die Frage, ob die Linke in der Türkei fähig ist, sich weiter zu vereinen und ob eine Rückbesinnung auf die 68er-Bewegung förderlich dafür ist oder nicht.