Das Problem mit Twitter – zur Wirkungsweise des Online-Aktivismus

(az) Es gibt kein gesellschaftliches Ereignis, über das nicht sofort auch auf Twitter debattiert wird. Davon liess sich in den letzten Jahren auch die linke Bewegung anstecken. Ob Demoankündigung, theoretische Debatten oder Naziübergriff, alles findet seinen Weg in die Tweets der linken Twitter-Community. Dass dies nicht nur sinnvoll ist und dass es an einem Bewusstsein über die Funktionsweise des Onlinemediums mangelt, zeigt sich im Folgenden anhand eines aktuellen Beispiels aus den USA.

Die Proud Boys

Im Oktober lud der Metropolitan Republican Club, ein republikanischer Klub samt Vereinshaus in Manhattan, Gavin McInnes zu einer Comedy Show ein. Der kanadische Mitgründer des Vice Magazine tritt seit einigen Jahren als Wortführer des rechten Randes auf und ist – entgegen der eigenen Positionierung – dem erweiterten Kreise der so genannten Alt-Right zuzuordnen. Zu seiner Entourage gehören die Proud Boys. Die von McInnes gegründete Männergruppe entspricht dem klischierten Bild der Alt-Right-Bewegung. Man ist offen sexistisch, hat Angst um seine Männlichkeit, steht hinter Trump und verbindet all dies mit einer grossen Portion amerikanischer Extravaganz. Als Signature Move der Truppe wirkt ihr mehrstufiges Aufnahmeritual. In einem ersten Schritt sollen sich aufnahmewillige Männer beispielsweise der Masturbation verweigern, zur Stärkung der Männlichkeit versteht sich. Beim später folgenden «cereal beat-in» wird das Neumitglied dann von anderen Proud Boys geschlagen während es gleichzeitig den Namen von fünf Frühstücksflocken aufzählen soll. Die Lächerlichkeit ist durchaus gewollt, weiss der Medienexperte McInnes doch nur allzu gut, dass verwackelte Aufnahmen solcher Rituale von Medien gerne wiedergegeben werden – unabhängig davon wie ernst dieses Aufnahmeritual tatsächliches gemeint ist.

Durch ihre mediale Präsenz und ihre gekonnte Eigendarstellung strahlen die Proud Boys eine gewisse Anziehungskraft aus. Sie besitzen Facebook Gruppen in etlichen Regionen Amerikas und bieten dadurch einen leichten Einstieg in die rechte Bewegung. Als eigenständig organisierte faschistische Gruppe wirklich bedeutend sind die Proud Boys jedoch nicht. Zu wenig scheinen sie dafür eine tatsächliche Organisierung anzustreben, zu wenig Leute können sie mobilisieren und zu abhängig sind sie von ihren Plattformen auf den sozialen Medien. Das heisst allerdings nicht, dass die Proud Boys kein reales Problem darstellen. Einige Mitglieder nahmen etwa an der ersten «Unite the Right»-Demonstration in Charlottesville teil und auch andern Orts gab es nach öffentlichen Zusammenkünften immer wieder Übergriffe durch die Proud Boys.

Der Auftritt in New York

All dem konnte man am 12. Oktober in New York beiwohnen. Während McInnes schon längst im Republican Club eingetroffen war, marschierten zwischen 20 und 30 Proud Boys auf dem Gehsteig einige Blocks weit in Richtung des Veranstaltungsortes. Dort angekommen gab es einige Parolen, wie etwa das bei ihnen neuerdings beliebte «we like beer» (eine Mischung von zur Schau gestellter Männlichkeit und positiver Replik auf die Wahl von Brett Kavanaugh, der in seiner Anhörung zu der von ihm begangenen Vergewaltigung den Satz «I like beer» sagte). Gleichzeitig formierte sich auf der gegenüberliegenden Seite des Republican Clubs eine überschaubare Gegendemonstration, die sich angesichts der zahlreichen Polizei nicht dazu durchringen konnte, die Veranstaltung tatsächlich zu stören – in der Nacht zuvor waren zumindest die Fenster des Clubs beschädigt worden. Während McInnes den Ort später alleine verliess und bevor er von der Polizei in sein Auto gedrängt wurde noch ein Schwert zog (er hatte in seiner Show die Tötung Inejiro Asanumas durch Otoya Yamaguchi nachgestellt), verliessen die Proud Boys den Veranstaltungsort geschlossen. Ein Block entfernt kam es später zu einer kurzen Auseinandersetzung, bei der vor allem (aber nicht nur) die GegendemonstrantInnen Schläge einstecken mussten und teilweise zu Boden geworfen wurden – eine vermeidbare Erfahrung, deren Ursache vor allem in der schwachen Mobilisierung und Konzeptlosigkeit zu suchen ist, die allerdings selbst in idealeren Fällen geschehen kann. Wo es (körperliche oder argumentative) Auseinandersetzungen gibt, existiert stets ein Restrisiko den Kürzeren zu ziehen – den Betroffenen ist zu wünschen, dass sie sich rasch von den Angriffen erholen konnten.

Die erste Aufarbeitung

Für die antifaschistische Linke war der Abend kein Sieg. In einer Millionenstadt konnten nicht genügend Menschen mobilisiert werden, um eine überschaubare Anzahl an Faschisten an ihrer öffentlichen Inszenierung zu hindern. Für die Reflexion über die Gründe dafür blieb allerdings keine Zeit. Schon wenige Minuten nach den Vorfällen erschienen erste Berichte und Videos auf Twitter – geschossen durch TeilnehmerInnen der Gegendemonstration. Und keine Stunde verging, bis zahlreiche weitere Tweets eingingen, welche die Polizei aufforderten, endlich etwas zu unternehmen oder die Proud Boys gar wegen angeblicher «Gang Violence» anzuklagen. Am Tag darauf meldete sich dann auch noch der New Yorker Bürgermeister Bill de Blasio per Twitter zu Wort, um klarzustellen, dass solche Gewalt in New York nicht toleriert werde und dass die Polizei alles in ihrer Macht stehende tun werde, um mögliche Täter zu bestrafen. Als Betroffene/r solle man sich, so de Blasio, entsprechend beim Polizeidepartement melden. Ein schlechter Witz angesichts der rassistischen Tradition der amerikanischen Polizei, doch wer soll es de Blasio übel nehmen, dass er ebenfalls auf den Zug der Empörung aufspringen wollte. Die Anzahl empörter Tweets und Kommentare überstieg in den folgenden Tagen die Anzahl an den Gegenprotesten teilnehmender Menschen um das Hundertfache. Ebenso folgten nun zahlreiche Medienberichte und später genauso viele Hintergrundartikel, die sich mal besser, mal schlechter mit den Proud Boys auseinandersetzten.

Die Spätfolgen

Allesamt beriefen sich die Medien und Berichte der ersten Woche auf die ersten Meldungen auf Twitter, in denen ein Aktivist der Gegendemonstration berichtete, dass er seit langem keinen derart brutalen Kampf mehr gesehen habe («I haven’t seen a fight that violent in a long time»). Dazu postete er ein Video, auf dem allerdings nicht viel zu sehen war – einige Wochen später folgte ein weiteres Video aus der Nahaufnahme einer Überwachungskamera, auf dem zu sehen ist, dass die Auseinandersetzung vermutlich von beiden Seiten gewollt war, leider aber die Faschisten gewannen. Die Einschätzung des Aktivisten mag stimmen oder nicht und seine Tweets mögen durchaus wohlwollend intendiert gewesen sein, sie entsprechen jedoch in ihrem Topos der Übertreibung zugleich der etablierten Sprache sozialer Medien und ihrem einfachen Prinzip. Derjenige Bericht wird gelesen, der ein Ereignis am besten in der überbordenden Sprache des Spektakels zu umschreiben vermag. Twitter und andere soziale Medien begünstigen dabei die Internalisierung eines ökonomische Prinzip der Medien. Mit der technischen Möglichkeit zur immensen Verbreitung erhofft sich auch ein jeder/jede BenutzerInnen mit wenigen Sätzen einen weltweit gelesenen Beitrag verfassen zu können. Entsprechend ist er oder sie stets um Sensation bemüht. Dies weckt den ewigen linken Traum, das Monopol der grossen Verlagshäuser zu durchbrechen – von Bertolt Brechts Radioutopie bis zum Online-Aktivismus gab es immer wieder Versuche sich neue Medien anzueignen bevor sie vom Kapital vereinnahmt werden. Doch solange man sich darauf beschränkt, die Funktionsweise sensationsgesteuerter Medienarbeit nachzuahmen, um Aufmerksamkeit zu erzeugen, scheint es auf Twitter auch unter Linken mehrheitlich nebensächlich, ob ein Ereignis tatsächlich so besorgniserregend war, wie mit den Superlativen in maximal 280 Zeichen beschrieben wurde oder nicht.

Man mag einwenden, dass es sich bei den reisserischen Tweets um Propaganda handelt und dies, wie die Reichweite der Empörung zeigt, wertvoll für die antifaschistische Arbeit sein kann. Doch in Zeiten medialer Sparmassnahmen und fehlender kritischer Distanz zum gewählten Medium führen solche Meldungen mindestens ebenso sehr zu einer zweifelhaften Spirale des Spektakels, in der ein imaginiertes Bild oder ein Narrativ plötzlich über dem reale Ereignis steht. Eine Woche nach dem Aufmarsch schrieb beispielsweise das linksliberale Online-Magazin Slate einen Artikel mit dem Titel: «Die Akzeptanz der Proud Boys im schicken Republican Club gleicht dem Werben zwischen den Konservativen und den Faschisten vor dem Zweiten Weltkrieg» («The Proud Boys’ acceptance at a fancy Republican club looks a lot like the courtship between conservatives and fascists before WWII.») Freilich entsprechen die Proud Boys weder in ihrer Organisationsfähigkeit, in ihrer Stärke noch in ihrer gesellschaftlichen Funktion auch nur annährend dem italienischen Faschismus vor dem Zweiten Weltkrieg, wie dies der Artikel teilweise suggeriert. Auch ist die kurze Auseinandersetzung von New York in keiner Weise vergleichbar mit der Gewalt der faschistischen Verbände früherer Zeiten. Dennoch wurde der Artikel auf Facebook über 1700 mal geteilt beziehungsweise geliked. Auch auf Twitter wurde er von antifaschistischen Gruppen und Einzelpersonen verbreitet, weil man vermutlich (zu recht) nochmals betonen wollte, wie wichtig der antifaschistische Kampf angesichts der historischen Erfahrung ist. Doch die erhoffte Empörung durch die Vermittlung von antifaschistischem Wissen scheint auf zwei Ebenen der erhofften mobilisierenden Wirkung entgegenzustehen.

Erstens übertrifft die online geteilte Empörung bei weitem die Anzahl Menschen, die bereit ist sich den faschistischen Boys entgegenzustellen. Diese Diskrepanz scheint erschrecken hoch. Es führt wohl kein Weg daran vorbei sich vor Augen zu führen, dass dies auch mit den neusten Medien zusammenhängt. Wer mit einem Klick seine Ablehnung betonen kann, muss nicht auf die Strasse gehen. Wer mit seinen Tweets selbst vom Bürgermeister gehört wird, kann auf weiteren Druck verzichten. Und wer nach jedem Übergriff den online mit radikalsten Worten vertretenen Hoffnungen erliegt, dass der Staat nun etwas tun müsse, sieht wohl wenig Notwendigkeit darin seiner Wut anderweitig Ausdruck zu verleihen. Dies ist nicht einmal besonders kulturpessimistisch oder naiv. Wie die liberale Demokratie und ihre Wahlen funktionieren auch andere Mechanismen unserer Gesellschaft zur Abfederung sozialer Proteste und Widersprüche. Freilich ist der Online-Aktivismus nicht der einzige und sehr wahrscheinlich auch nicht der wichtigste Grund, wieso sich Menschen nicht mobilisieren lassen. Allerdings ist es ebenso fahrlässig diesen Hintergrund einfach auszublenden oder so zu tun als könne man der Dialektik des Internet-Aktivismus entringen, indem man seinen Beiträgen (wie im deutschsprachigen Raum gerne gemacht wird) noch rasch hinzufügt, bitte doch auch real aktiv zu werden. Es geht also nicht darum sich naiv von sozialen Medien abzuwenden oder nur deren negative Seite sehen zu wollen, denn vielmehr darum sich deren Dialektik bewusst zu werden – oder aber in einem ersten Schritt diese überhaupt einmal zu untersuchen.

Zweitens wirkt die ständige Empörung über die Brutalität von Faschisten wie den Proud Boys in der von Superlativen durchdrungenen Sprache des Spektakels der Hoffnung entgegen, dass der Schock darüber mobilisierend wirkt. Dafür ein weiteres Beispiel. Am 17. November wollten die Proud Boys erneut aufmarschieren. Dieses Mal in Philadelphia. Auf Facebook meldete sich daraufhin eine Person und fragte öffentlich, was die lokale Antifa zum Schutz der Menschen tun werde. Sie selbst fühle sich an diesem Tag unwohl ihr Haus zu verlassen, da sie gehört habe, wie die Proud Boys nach ihren Veranstaltungen in New York herumzogen, um queere Menschen zu verprügeln. Dieser Beitrag ist nicht der einzige seiner Art, und in Gesprächen mit Menschen zeigt sich, dass diese Vorstellung verbreitet ist. Wie verschiedene Angriffe unlängst gezeigt haben, ist die faschistische Gefahr durchaus real – auf solche Ängste ist Rücksicht zu nehmen und sie dürfen nicht einfach als Schwäche ausgelegt werden –, allerdings entspringt dieses Unwohlsein bezüglich den Proud Boys nicht unwesentlich einem Bild, das von Linken über die sozialen Medien selbst mitkreiert wurde: die Proud Boys als gewalttätige, nicht zu stoppende Gang muskulöser weisser Männer – wer sie einmal live gesehen hat weiss, dass dem in allen Belangen nicht so ist. Dabei könnte der vermittelte Narrativ auch anders lauten: Vermag die revolutionäre Linke zu mobilisieren und stellt sie sich den Faschisten[1] in den Weg, dann sind die meisten urbanen Zentren der westlichen Hemisphäre nicht in den Händen von faschistischen Schlägergruppen. Gruppen wie die Proud Boys werden erst dann zur Gefahr, wenn man sie widerstandslos machen lässt. Für die Verbreitung eines solchen Narratives müsste man allerdings auf die allzu rasche Empörung nach jedem Schlag verzichten und darüber nachdenken, wie man online agieren will.[2]

Twitter als Grand Hotel Abgrund 2.0

Wenn ein Getränk damit wirbt, dass sein Produkt Flügel verleihe, dann wissen eine nicht geringe Anzahl an KonsumentInnen, dass dem nicht so ist – dass solche Produkte dennoch gekauft werden, hat vermutlich mit warenästhetisch subtiler wirkenden Mechanismen zu tun. Ähnliches gilt für LeserInnenkommentare und sonstige Repliken im Internet, bei denen die wenigsten auf die Idee kommen, deren Inhalt für bare Münze zu halten oder das Bedürfnis verspüren auf jeden einzelnen Kommentar eingehen zu müssen. Bei Twitter scheint dies nicht der Fall zu sein. Jeder polizeiliche oder faschistische Übergriff wird in den möglichst drastischsten Worten geschildert. Jeder Vorwurf an Gruppen oder Einzelpersonen wird online zum grösst möglichen Antagonismus emporgehoben. Jeder Tweet wird als möglicher Einspruch empfunden, auf den es erklärungsreich zu reagieren gilt. Vor allem die fehlende Auseinandersetzung um die tatsächliche Relevanz und Gehalt von einzelnen Beiträgen wirkt, wie sich auch im deutschsprachigen Raum zeigt, zersetzten. So führen Tweets in ideologischen Fragen immer wieder zu präventiven Spaltungen, bei denen der Spaltungsgrund längst nicht mehr anhand der Praxis oder der tatsächlichen Widerspruchslinien ermittelt wird. Die imaginierte Hoffnung auf die Reinheit des Kampfes überblendet online in zahlreichen Fällen klassenkämpferische Erfahrungen, die nun einmal nicht frei von Widersprüchen sind – Twitter ist immer wieder ein Grand Hotel Abgrund, da sich darin als Einzelperson mit voluntaristischen Vorstellungen über den perfekten Klassenkampf strategielos aber gemütlich auf die realen Widersprüche herabblicken lässt, ohne selbst deren Boden der Realität betreten zu müssen.

Dass man sich in der linken Twitter-Community diesem Problem trotz ständiger Beteuerung der eigenen kritischen Reflexionsfähigkeit nicht bewusst ist, hat vermutlich auch mit der Funktionsweise dieses Mediums zu tun, bei der Einzelpersonen und Gruppen mit ihren Accounts gleichwertig erscheinen. Dass auf sozialen Medien wie in Amerika verbreitet ein jeder/jede zudem so tun kann, als wäre eine Einzelperson eine Gruppe, verschlimmert die Sache zusätzlich. Die Möglichkeit auch aus der Ferne eine genaue Abschrift von jedem deutschen Szenestreit, jedem Auftauchen eines neuen Graffitis nicht genehmer Gruppen und dem täglichen Empfinden aufstrebender JungjournalistInnen machen zu können, zeigt allerdings, wie weit das Problem auch im deutschsprachigen Raum verbreitet ist. Es gäbe etliche Probleme, die dabei gesondert zu besprechen wären. Beispielsweise dass es scheinbar fast kein Sicherheitsbewusstsein mehr gibt und man Sachen lieber schneller als überlegt online stellt. Oder dass auf Twitter fast jede/r einen Szenestreit lostreten kann, egal ob es diese Person oder die Positionen real gibt oder ob der Account nur eine staatliche und/oder rechte Provokation ist. Oder dass auch auf Twitter diejenigen mit der wortmächtigsten Ausbildung, das heisst (ehemalige) StudentInnen, wortführend sind und von entsprechenden Milieus am meisten erlebte Widersprüche den grössten Raum einnehmen. Oder dass die vermeintliche Gleichwertigkeit der Accounts deren unterschiedliche Möglichkeiten überblendet. Organisationen, wollen sie kollektiv agieren, können nicht mit der gleichen Geschwindigkeit reagieren wie Einzelpersonen. Das heisst freilich nicht, dass Gruppenprozesse und Kollektivität automatisch bessere Beiträge als Einzelpersonen garantieren, allerdings besitzen Gruppen in der Regel eine grössere Erfahrung an Möglichkeiten und Einschätzungen. All diese Sachen wären in ihrer Wirkungsweise gesondert zu untersuchen. An dieser Stelle bleibt es jedoch beim Aufruf, sich ein Medienbewusstsein anzugeignen, das sich andernorts längst durchgesetzt hat. Nicht jede Aktivität gilt es sogleich ins Internet zu stellen. Nicht jede journalistische oder akademische Debatte muss sofort als Aufforderung zu einer Neuausrichtung der Linken interpretiert werden. Nicht jeden Beitrag gilt es – mögen die Absichten noch so gut sein – stets zu würdigen. Und nicht jeden Kampf um Aufmerksamkeit gilt es gleichermassen mitzumachen. Das bedingt als erweiterte Lektion ein Bewusstsein um die verschiedenen Textgattungen des Internets, genauso wie man in der Regel Flugblätter anders als Theorieschriften oder interne Papiere liest. In der Eile geschriebene 280 Zeichen mögen aktuell sein und gewisse Möglichkeiten bieten, sie ersetzen aber nicht andere Formen der Auseinandersetzung. Dies gilt nebenbei auch für Facebook. Die vor allem hier vertretenen linken Meme- oder Spassseiten mögen lustig sein (oder auch nicht) und im verschärften Kampf um Aufmerksamkeit Einfluss generieren, sie sind jedoch von Organisations-Debatten und allem anderenfernzuhalten.

PS: Dass niemand mit dem Gegenbeispiel Ägypten und «Arabischer Frühling» komme. Dort spielten soziale Medien zwar eine Rolle, jedoch, wie ausreichend analysiert wurde, eine geringere als dies in den westlichen Medien hoffnungsvoll vermittelt wurde.


[1] Für den Männervereine der Proud Boys gibt es ganz bewusst die männliche Form.

[2]Vergleichbares lässt sich gegenwärtig in der deutschsprachigen Berichterstattung zu Brasilien beobachten. Der Alarmismus und die Hilferufe, die sogar so weit gehen, dass man bereits Wohnungen für Flüchtende zur Verfügung stellen solle, überwiegen bei weitem und blenden dadurch den vorhandenen Widerstand mehrheitlich aus.