Wie die ORS das Geschäft mit der Sozialhilfe entdeckt

Die Firma ORS ist einschlägig bekannt für ihr profitorientiertes Gebaren mit Geflüchteten im Asylwesen. So betreibt sie beispielsweise seit dem 1. März 2019 die Mehrheit der neuen Bundeslager. Neu drängt sich diese Firma nun auch in die Sozialhilfe, wo sie sich einen neuen Markt erhofft.

(az) In der aktuellen 97sten Ausgabe der Aufbau-Zeitung vom Mai 2019 haben wir über die aktuellen Entwicklungen rund um die Sozialhilfe berichtet und beschrieben, wie Verschärfungen als Angriff auf den Niedriglohnsektor sowie letztlich auf die ganze lohnabhängige Klasse wirken. Durch die Angriffe wird ein Negativwettbewerb in Gang gesetzt, der politisch gewollt ist. Insofern dient das politische Hickhack rund um die Sozialhilfe auch als Labor für die Verschlechterungen der Lebensbedingungen breiter Teile der lohnabhängigen Klasse. Es geht um die Frage, wieviel Zumutungen durchsetzbar sind, ohne dass sich Widerstand breit macht. Ideologisch angeführt wird der Kampf von der SVP und insbesondere von Ulrich Schlüer. Der Konsens in der Ausführung ist aber parteiübergreifend.

Inspiriert vom Asylwesen

Der Negativwettbewerb beginnt jedoch nicht erst bei Menschen, die von Sozialhilfe abhängig sind. Diverse Verschärfungen des Asyl- und AusländerInnengesetzes haben Menschen, die in der Schweiz Asyl suchen, weitgehend entrechtet. Für die Unterbringung und Betreuung dieser Menschen ist vielerorts die profitorientierte Firma ORS zuständig. Die ORS erhält ihre Aufträge von Gemeinden, Kantonen oder dem Bund. So betreibt die ORS die Mehrheit der neuen Bundeslager oder im Kanton Zürich die umstrittenen Notunterkünfte für abgewiesene Asylsuchende. Wie viel Gewinn beim Umsatz von 85 Millionen Franken (Angaben von 2015) herausgesprungen ist, hält die ORS wie immer geheim. Klar ist aber: Die Firma ORS beschäftigt in der Schweiz 800 Personen und hat ein geschäftliches Interesse am Elend der Menschen: Gelingt es ihr, die Kosten für die Unterbringung tief zu halten, so wirkt sich dies positiv auf den Gewinn der Firma aus. Auch in anderen Ländern ist die ORS tätig, so in Deutschland, Österreich und Italien. Dennoch ist der Markt, in dem sich die ORS bewegt, beschränkt. Nicht zufällig sucht sich die Firma deswegen neue Marktsegmente. Fündig wurde sie im Kanton Thurgau: Wie das St. Galler Tagblatt am 10. Mai 2019 berichtete, ging die Gemeinde Egnach «neue Wege bei der Integration». In einem Pilotprojekt arbeitete die Gemeinde bei der beruflichen Integration mit der Firma ORS zusammen. Die ORS, die bisher primär im Asylbereich tätige war, ist dadurch also auch in der Sozialhilfe angekommen. Dies ist ihr möglicherweise dank den guten Referenzen der Kantone gelungen, etwa des sozialdemokratischen Kantonalzürcher Regierungsvertreters Mario Fehr. Gemäss dem Tagblatt ist das Pilotprojekt im Thurgau mittlerweile abgeschlossen, die Gemeinde ist sehr zufrieden.

Lehrstück in Sachen Sozialabbau

Das Beispiel ist ein Lehrstück in Sachen Sozialabbau und kapitalistischer Wachstumslogik: Gemeinde- und Kantonsfinanzen, die aufgrund immer grösserer Steuergeschenke für die Reichen ins Defizit fallen, treffen auf einen breiten politischen Konsens, der sich gegen die «faulen Armen» richtet. Und dann ist da diese Firma, die ihren Profit mit der «Integration» und Unterbringung von Menschen erzielt. Sie will – wie im Kapitalismus notwendig – wachsen und in weitere Bereiche vordringen.

Die Rhetorik rund um das Integrationsprojekt in Egnach liess denn auch tief blicken: Der Egnacher Sozialdienst-Leiter Pius Schenker sprach von einer «harten, aber fairen Schule», die eigentlich alle Armutsbetroffenen durchlaufen sollten. Die ORS dürfte derart Lob freuen. Dass von zehn TeilnehmerInnen am ORS-Programm mehr als die Hälfte entweder zusammenbrach, untertauchte oder sich dem Programm ganz verweigerte und lieber Sanktionen in Kauf nahm, zeigt aber eine deutliche Seite des «Integrations-Projektes». Die Gemeinde Egnach dürfte jedoch eher am Faktum interessiert sein, dass dadurch angeblich jeden Monat 7’600 Franken an Sozialhilfegeldern eingespart werden können. Dies gelingt dank Sanktionen, Vertreibung aus der Gemeinde und mancherorts tatsächlich auch dank beruflicher Wiedereingliederung.

Bereichsübergreifende Klassensolidarität

Das Beispiel legt die Wichtigkeit einer breiten Klassensolidarität offen. Der Diskurs rund um die «faulen Armen» oder wahlweise auch «unwürdigen Asylsuchenden» zielt klar auf die Vereinzelung der Menschen. Davon wird auf verschiedenen Ebenen profitiert. Sind die Verschärfungen im Asylwesen erst einmal gemacht – und damit Tatsachen geschaffen worden –, ist der Weg für Angriffe auf andere Personengruppen kurz. Das zeigt sich am Beispiel des Asylwesens, der Sozialhilfe oder des Niedriglohnsektors. Die Kämpfe müssen nicht aus moralischen Gründen geführt werden, sondern letztlich aus eigener Betroffenheit und aus dem uns eigenen Klassenstandpunkt heraus.