Grenzpolitik in Coronazeiten

Von Grenzschliessungen, Asylrecht und Ausbeutung und warum die Rede einer Bundesrätin zur Lage an der Italienischen Grenze lesenswert ist.

(agafz) Es war Freitag der 13. März als Bundesrätin Karin Keller-Sutter in ihrer Rede die Schliessung der Grenze zu Italien ankündigte und damit den Grundsatz der offenen Grenzen im Sinne der Schengener Abkommen und der Personenfreizügigkeit ausser Kraft setzte. Ebenso Bemerkenswert wie die Grenzschliessung selbst war die Begründung, die Keller-Suter für die Schliessung lieferte. Sie führte wörtlich aus, es gelte zu verhindern, dass sich Personen aus Italien in Spitälern in der Schweiz behandeln lassen. Es müssten nun «unsere» PatientInnen behandelt und die Schweizer Bevölkerung geschützt werden. Diese Erzählung von der Notwendigkeit einer Grenzschliessung, um die Schweiz vor dem Einfall kranker und ansteckender ItalienerInnen zu schützen, ist natürlich reaktionäre Ideologie.

Grenzen werden geschlossen…

Die Massnahme der Grenzschliessung hat aber nicht nur ideologische, sondern auch sehr reale Auswirkungen. Erkrankte aus Italien können tatsächlich keine Spitäler in der Schweiz aufsuchen und werden stattdessen ihrem Schicksal und damit teilweise dem Tod überlassen. Sehr reale Auswirkungen hat die Grenzschliessung auch auf Geflüchtete, die in grosser Zahl versuchen Italien unregistriert zu durchqueren, um dann in einem anderen europäischen Staat ein Asylgesuch zu stellen. Sie alle können die Schweizer Grenze nicht mehr übertreten und sitzen in Italien fest. Auch zu ihnen hatte Keller-Sutter am 13. März bemerkenswertes zu sagen und erklärte wörtlich, es gebe keine Notwendigkeit für die Einreise von Asylsuchenden in die Schweiz, da diese «problemlos» ihr Asylgesuch in Italien stellen könnten. Was Keller-Sutter hierbei unterschlägt ist dreierlei.

Zunächst unterschlägt sie, dass wenn sie keine Geflüchteten in die Schweiz einreisen lässt, auch niemand hier ein Asylgesuch stellen kann. Das Asylrecht in der Schweiz wird damit faktisch ausgehebelt.

Weiter unterschlägt sie, dass es noch nie «problemlos» war in Italien ein Asylverfahren zu durchlaufen. Die dortigen Bedingungen für Geflüchtete sind schon seit Jahren ­äusserst prekär. Wie prekär musste sogar das – keineswegs geflüchtetenfreundliche – Bundesverwaltungsgericht Ende 2019 anerkennen. Im Entscheid BVGer E-962/2019 stellte das Gericht fest, dass Familien und Erkrankte grundsätzlich nicht mehr nach Italien abgeschoben werden dürfen, denn dort sei die medizinische Versorgung zu schlecht. Selbst das Bundesverwaltungsgericht erachtete es also schon Ende 2019 keineswegs als «problemlos» in Italien ein Asylverfahren zu durchlaufen. Dass sich die Situation mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie seither nochmals eklatant verschlechtert hat, liegt auf der Hand.

Was die Bundesrätin sodann unterschlägt, ist, dass sich der Italienische Staat seit dem 26. Februar weigert, abgeschobene Geflüchtete aus anderen Europäischen Staaten zu übernehmen. Gemäss dem italienischen Innenministerium ist aufgrund der Corona-Pandemie insbesondere die gesundheitliche Infrastruktur in Italien dermassen am Anschlag, dass unmöglich weitere Geflüchtete aufgenommen werden können. Damit bricht der Italienische Staat einerseits das Dublin-Übereinkommen und anerkennt andererseits, dass er derzeit über kein funktionierendes Asylsystem mehr verfügt. Wenn die Bundesrätin vor diesem Hintergrund ernsthaft behauptet, alle weiteren, tausenden, noch unregistrierten Geflüchteten, die derzeit in Italien unterwegs sind und eigentlich in einen anderen europäisch Staat wollen, könnten ihr Asylgesuch «problemlos» in Italien stellen, ist dies an Kaltschnäuzigkeit kaum zu überbieten, passt aber in die von ihr verbreitete reaktionäre Ideologie.

…aber nicht ganz

Ganz geschlossen sind die Grenzen aber nicht, es gibt eine bedeutende Ausnahme, die von der Bundesrätin in ihrer Rede auffallenderweise nicht weiter erklärt wird. Weiterhin in die Schweiz einreisen dürfen sogenannte GrenzgängerInnen. Also Personen die in Italien Leben, aber täglich über die Grenze pendeln um in der Schweiz zu arbeiten. Sie machen im Kanton Tessin rund einen Drittel aller Beschäftigten aus. Gut 4’000 von ihnen sind im Gesundheits- oder Sozialbereich angestellt, weshalb gerade das Tessiner Gesundheitswesen in besonderem Masse auf diese GrenzgängerInnen angewiesen ist. Sie sollen, ja müssen aufgrund ihres Arbeitsvertrages, auch während der Corona-Pandemie täglich in die Schweiz pendeln und in den Tessiner Spitälern zu prekären Bedingungen «unsere» Kranken (O-Ton Keller-Sutter) behandeln.

Spätestens vor diesem Hintergrund wird deutlich, was die Grenzpolitik der Schweiz in Coronazeiten ist: geschlossene Grenzen für Flucht, Elend, Not und alles andere. Ausser für die Ausbeutung, hierfür ist die Grenze immer offen.