«Den Flughafen als Ganzes ins Auge nehmen.»

Am 11. September 2020 kam es am Flughafen Zürich-Kloten zu einer Protestkundgebung der Swissport-Belegschaft. Es war dies der erste grössere und sichtbare Arbeitskonflikt in der Deutschschweiz seit dem Corona-Lockdown. Wir haben mit Patrick (Name geändert) über die Situation der Beschäftigten am Flughafen gesprochen – er arbeitet seit über vier Jahren bei der Firma Swissport und kennt die Umstände.

(az) Hallo Patrick, kannst du erzählen, wie es zu diesem Konflikt bei Swissport kam?

Swissport wollte aufgrund der wirtschaftlichen Lage den Gesamtarbeitsvertrag (GAV) neu verhandeln. Sie sind dabei so tief eingestiegen, dass die Gewerkschaften vorläufig nicht mehr mit ihnen sprechen wollten. Um ein Zeichen zu setzen, entschied man sich für eine Kundgebung. Das war – so glaube ich – nach der ersten oder nach der zweiten Verhandlungsrunde. Da wurde der Druck von der Strasse benötigt. Und du warst ja auch dabei.

Kannst Du etwas zur Ausgangslage sagen; gibt es auch Forderungen von der Belegschaft?

Wir haben keine Forderungen, Swissport hat Forderungen! Sie wollen den GAV so verändern, dass es für Swissport besser ist. Es geht für uns nicht darum, eine Lohnerhöhung durchzusetzen, sondern den Besitzstand zu wahren, also keine Verschlechterungen unserer Lohn- und Arbeitsbedingungen hinzunehmen. Natürlich sprechen momentan alle von Corona und sind sich bewusst, dass es der Wirtschaft schlecht geht. Und es kursieren verschiedene Zahlen: Im September 2020 gabs 2661 Flüge, das waren 70% weniger als im September 2019. In der gleichen Periode wurden 83% weniger Passagiere befördert. Die Arbeiter (Anmerkung: Im Ground Handling arbeiten fast nur Männer) wissen, dass es nicht gut aussieht für die ganze Fluggesellschaft. Sie sind tendenziell auch bereit, einen Schritt entgegenzumachen. Die Swissport will aber die Löhne bis zu 20% kürzen. Es gibt viele, die sehr flexibel arbeiten. Grundsätzlich verdienst du als Betriebsarbeiter bei Swissport etwa CHF 3’900 netto. Da sprechen wir jetzt nicht nur von Zwanzigjährigen, die keine Verpflichtungen haben, sondern auch von Vierzig- oder Fünfzigjährigen, viele von ihnen haben Kinder. Da ist es schwierig, von diesen CHF 3’900 nochmals 20% wegzunehmen. Denn es wird auch erwartet, dass du ein Auto hast, du musst morgens um 4.45 Uhr am Flughafen sein. Viele wohnen weiter weg und auch das Auto kostet Geld. Manche haben zwar kein Auto, aber die wohnen unmittelbar in Kloten und das sind nicht viele. Du arbeitest oft am Wochenende oder jedes Jahr an Weihnachten. Wenn du eine Familie hast, und diese Arbeit zu diesem Lohn tust, dann verstehe ich, wenn viele Mitarbeiter sagen, das wollen wir nicht.

Die Gewerkschaften haben befristete Lohnkürzungen vorgeschlagen, Swissport wollte das nicht. Swissport will die Gelegenheit jetzt für langfristige Lohnkürzungen nutzen, darum finden aktuell keine Gespräche mehr statt. Es wird nämlich behauptet, dass die Lufthansa ihre Kosten insgesamt um 20% senken will und diesen Druck via Tochterfirma unter anderem an die Swissport-Belegschaft weitergibt. Die Gewerkschaften meinen, dass sie erst weiterverhandeln, wenn sie Einsicht in die neuen Lufthansa-Papiere erhalten. Denn sie vermuten, dass die Lufthansa die Kosten gar nicht so krass senken will und die Swissport in dieser Situation einfach mehr für die eigenen Taschen will. Daher gibt es anscheinend erst wieder Verhandlungen, wenn diese Sache geklärt ist.

Kannst du erzählen, wie sich die Stimmung in der Belegschaft entwickelt hat? Wie ist diese Konfliktbereitschaft entstanden, welche in der Deutschschweiz ja nicht gerade selbstverständlich ist?

Es gibt zwei Gründe. Einerseits ist es die Präsenz der Gewerkschaften, die die Leute durchaus auch motivieren, sich zu wehren. Anderseits gibt es auch einen langen Prozess bei Swissport selber. Das geht zurück auf die Zeit, als es noch die Swissair gab. Einige Kollegen hatten damals schon gearbeitet und dies unter relativ fairen Bedingungen. Dann begann ein jahrelanger Prozess, wo es immer darum ging, noch etwas wegzunehmen, noch etwas einzusparen und so weiter. Langfristig staute sich Wut, die sich jetzt entlädt. Vor zwei Jahren wurde der GAV verhandelt, zuvor wurde der Lohn jahrelang nie nach oben korrigiert und es kam zu Streikdiskussionen. Die Stimmung war damals sehr verhalten. Ich hätte nicht einschätzen können, wieviele Leute am 11. September dieses Jahres an die Kundgebung kommen würden. Ich glaube damals, als es noch um die Lohnerhöhung ging, wären weniger Leute gekommen.

Wie hat sich die Stimmung in den letzten vier Wochen – also seit der Kundgebung am Flughafen – entwickelt?

Es wurde ruhiger seither, es gibt halt keine Neuigkeiten. Ausserdem ist halt Corona immer noch das prägende Thema. Vielen geht es aktuell auch gar nicht so schlecht, so blöd das tönt. Momentan hast du so viel Freizeit wie noch nie in deinem Leben. Viele sind deshalb entspannter. Normalerweise ist die Arbeit hier hart. Es sind gefühlte 50 Grad auf dem Vorfeld, wenn sich der Beton aufheizt, die Arbeit ist körperlich anstrengend, es ist laut und im Sommer machst du ein Flugzeug nach dem anderen. Die Aggressivität ist dann hoch. Ich glaube in einem solchen Sommer hätte es erst richtig Proteste gegeben. Jetzt aber schauen sich die Leute nach Alternativen um, jene die können.

Das ist schlecht für jene, die das nicht können.

Genau. Aber ich habe von einem jahrelangen Gewerkschaftsmitglied gehört, dass ihm die Swissport aufgrund langjähriger Erfahrungswerte und alter Verträge mit Entschädigungsklausel bis zu CHF 60’000 an Abfindungen zahlen müsste, wenn sie ihn entlassen würden. Darum hat er keine Angst. Es sind die über Fünfzigjährigen, die zum Teil diese Verträge haben. Die Swissport kann es sich nicht leisten, viele solcher Leute zu entlassen. Aber viele werden langsam pensioniert. Das ist das Problem von Swissport: Die «teuren Leute» können sie nicht kündigen, und die «Billigen» wollen sie behalten. Diese sind jung, stark, haben noch keine körperlichen Gebrechen und kosten fast nichts. Meine Vermutung ist, dass Swissport jetzt enormen Druck aufbaut, damit manche freiwillig gehen und der Sozialplan somit nicht greift, damit für Swissport möglichst keine Kosten entstehen. Aber viele «Alte» sind in der Gewerkschaft und haben keine Angst. Generell sind die älteren Schweizer am ehesten streikbereit. Grenzgänger finden den Lohn gut und sind es daher weniger. Jüngere und Ausländer versuchen eher, unter dem Radar zu bleiben, bei ihnen ist dies unterschiedlich.

In der Corona-Krise müssten ja eigentlich viele andere auch kämpfen. Hast du – nach diesen Erfahrungen – einen Tipp wie das gehen könnte?

Es ist schwierig. Ich persönlich versuche auch unter dem Radar zu bleiben. Es ist Corona, man muss überall sparen, überall hörst du von Schliessungen, zum Beispiel das Swisshotel in Oerlikon. Es gibt eine Stimmung, die besagt, dass man froh sein muss, wenn man eine Arbeit hat. Es ist ein offenes Geheimnis, dass Swissport die Arbeiter am liebsten nur drei bis fünf Jahre lang behalten würde. Dann sind sie gesund und kosten nicht viel. Aber man muss sich auch im Alltag wehren. Man muss zum Beispiel dem Druck widerstehen, den Vorgesetzte ausüben. Die Vorgesetzen wollen nicht, dass es zu Verzögerungen im Flugbetrieb kommt. Die Angst, eine Verspätung zu verursachen, löst bei Mitarbeitern Druck aus. Das geht soweit, dass unter diesem Druck die Sicherheit vernachlässigt wird – die Vorgesetzten verantworten das.

Wenn wir euren Kampf von aussen unterstützen wollen, was wäre Deiner Meinung nach dafür der beste Weg?

Eine gute Art wäre, Druck auf Swissport auszuüben. Aber nicht nur auf Swissport sondern auf das ganze System des Flughafens. Der Flughafen ist unter internationalem Druck, es gibt internationale Vereinbarungen. Es ist schwierig in diesem Markt und es verschärft sich. Die Putzkräfte von ISS und Vebego verdienen – so sagt man – 16 bis 17 Franken auf die Stunde. Ausserdem hat die Swissport Konkurrenz in Form von Dnata oder AAS. Da besteht ein riesiger Preiskampf und Swissport ist nicht nur der Platzhirsch in Zürich, sondern auch die teuerste Unternehmung. Sowohl Dnata als auch AAS sprechen gar nicht erst mit Gewerkschaften, die haben demnach auch keinen GAV. Da ist es einfacher, die Löhne zu drücken. Wichtig wäre, dieses ganze System zu kritisieren, diesen freien Markt. Zürich gilt als mittelgrosser Flughafen aber hat drei Unternehmen, die um die Aufträge im Ground Handling kämpfen – da geht es vor allem um den Preis. Der Flughafen hat eine Mitschuld an der Situation der Arbeiter, denn sie machen Druck auf die Firmen, etwa auf Swissport oder auf Gate Gourmet. Alles wird ausgelagert, auch bei der Sicherheit gab es diese Bestrebungen. Den Flughafen müsste man als Ganzes ins Auge nehmen und kritisieren.