Zerocovid: Vernetzen von unten statt Hoffen auf oben

Die ZeroCovid-Kampagne bietet Orientierung in einer krisenhaften Situation. Aber sie führt auch in die Irre. 

(az) Während des bisherigen Verlaufes der Corona-Pandemie blieben reformistische Vorschläge zur Krisenbewältigung weitgehend aus. Auf Forderungen, Programme oder gar Strategien musste lange Zeit vergebens gewartet werden. Dies änderte sich nun Anfang 2021: Die ZeroCovid-Kampagne in Deutschland, Österreich und der Schweiz fordert einen europaweiten, sozial abgefederten Lockdown, der sich besonders auf die Situationen in der Arbeitswelt bezieht und von Steuern finanziert werden soll. Damit sorgten die Initiant_innen für eine lebendige Debatte und bei vielen Menschen für eine gewisse inhaltliche Orientierung in einer politisch weitgehend orientierungslosen Zeit. Es ist dies mit Sicherheit der deutlich bessere gesellschaftliche Diskurs als die zahlreichen, aktuell beliebten Verschwörungserzählungen. Dieser Verdienst darf der Zero Covid-Initiative angerechnet werden.

Klar ist auch ein anderer Aspekt: Die Initiative erscheint in einer Zeit der Vereinzelung. Es ist in den letzten Monaten deutlich schwieriger geworden, sich zusammen am Arbeitsplatz zu organisieren – oder auch nur schon bei der Arbeit am Mittag zusammen essen zu gehen. Das erschwert jegliche Möglichkeit, sich kollektiv von unten zu formieren und stärkt mancherorts wahrscheinlich auch die Einschätzung, dass ein Appell im Internet fast die einzig mögliche linke Strategie in derart bewegten, krisengeschüttelten und dennoch fast regungslosen Zeiten wie heute sein könnte.

Appell an den Staat

Die Kampagne verbleibt jedoch bei einem Appell an den Staat respektive an den Staatenbund der Europäischen Union. Sie verbleibt somit bei einem Appell von mehreren bis vielen Autor_innen, die an und für sich keine politische Kraft darstellen oder hinter sich vereinen würden. Zwar bilden sie durch die Vielfalt der Unterzeichnenden und deren Hintergründe eine bestimmte gesellschaftliche Breite ab. Letztlich steht dahinter aber keine Forderung, die aus Kämpfen an der Basis erstritten wurde. Das ist ein Problem: Es ist nicht davon auszugehen, dass die Herrschenden uns etwas schenken. Ohne ein konkretes Kräfteverhältnis und ohne Bezugnahme auf dieses Kräfteverhältnis ist wenig zu erwarten. Ein Bisschen erinnert die Initiative dadurch an die Diskussionen rund um das bedingungslose Grundeinkommen oder an Mietstreiks in den Sommermonaten des vergangenen Jahres. Die Idee ist irgendwie gut gemeint; vordergründig wird dann die konkrete Umsetzbarkeit debattiert, ohne dass dabei den aktuellen, realen, politischen Kräfteverhältnissen eine Beachtung geschenkt würde.

Orientieren an den Kämpfen «von unten»

Und gerade dabei birgt die Initiative Gefahren in inhaltlicher Hinsicht in sich. Im dümmsten Fall werden jene Teilforderungen integriert, die dem Staat (oder den Staaten) am besten in den Kram passen und der Rest fällt unter den Tisch. Die Initiative heisst in der Praxis vor allem, dass das Staatliche gestärkt wird. Es geht gemäss diesem Vorschlag konsequenterweise darum, die Polizei zu rufen, um fehlbare Betriebe zu schliessen. Die Initiative betont kein gesellschaftliches «unten» und «oben», sondern vor allem ein gemeinsames, vermeintlich technisch-operatives Problem mit einer Lösung. Die revolutionäre Linke muss im Gegenteil um eine Stärkung der Klassenkämpfe, um eine Orientierung an «unten», bemüht sein. Dafür benötigt es eine reale Bewegung sowie eine aktive Teilnahme an letzterer. Da der 8. März und somit der internationale Frauenkampftag vor der Türe steht, muss nicht lange gewartet werden, um sich auf ein Subjekt zu beziehen. Wie wir spätestens seit dieser Ausgabe des Aufbaus wissen, sind es etwa die Pflegenden, die wüssten was gegenwärtig zu tun wäre. 

aus: aufbau 104