Streik der Pflegkräfte geht in die 10. Woche

In Massachusetts USA kämpfen die Pflegekräfte seit 10 Woche gegen den Gesundheitsgiganten Tenet.

(az) Seit dem 8. März streiken die Pflegekräfte des St. Vincent’s Hospital in Worcester, Massachusetts. Sie wollen mehr Personal und das entschlossen. Eine Lohnerhöhung wurde ihnen angeboten und die haben sie ausgeschlagen. Lachhaft sei das Angebot!

Das Krankenhaus gehört dem reichen Gesundheitskonglomerat Tenet Healthcare Corporation, das im Jahr 2020 400 Millionen Dollar Gewinn gemacht hat und zusätzlich zu seinen Rekordergebnissen 2’3 Milliarden Dollar an staatlichen Fördergeldern eingestrichen hat. Tenet ist eines der grössten und profitabelsten Gesundheitsunternehmen der USA.

Am selben Tag, an dem Tenet bekannt gab, dass es während der Covid-19-Pandemie mehr als 400 Millionen Dollar Gewinn gemacht hatte, traten die Pflegekräfte des St. Vincent Hospital in Worcester, Massachusetts, in den Streik. Fast 90 Prozent der 800 Pflegekräfte beteiligten sich, einige haben ihn seither gebrochen, die meisten (an die 750) streiken aber weiter und das Unternehmen heuert seither Pflegekräfte in Arbeitsvermittlungsbüros an, um den Streik zu brechen.

Die Verhandlungen wurden schon vor zwei Jahren aufgenommen, aber während der Pandemie ausgesetzt. Der Konflikt dreht sich um den Personalschlüssel pro Pfleger_in. Auf den medizinischen Etagen kämpfen die Pflegekräfte für eine Obergrenze von vier Patient_innen pro Pflegekraft, plus zusätzliches Hilfspersonal, was der übliche Personalschlüssel sei. Das soll Burnout vermeiden, die Versorgung verbessern und die Pflegekräfte davon abhalten, aus dem Beruf auszusteigen.

Geld ist kein Problem

Bei diesem Konflikt geht es um die langfristigen Ausbeutungsbedingungen, also ums Prinzip. Das Unternehmen könnte sich locker mehr Personal leisten, die Verwaltung des St. Vincents hat auch nie etwas anderes behauptet. Tenet hat die Gewohnheit, bei Aktionärsversammlungen damit zu prahlen, wie die Pfleger_innen gedrückt werden, um Profit zu generieren. Entsprechend lässt es sich den Streik etwas kosten, um das Beispiel nicht Schule machen zu lassen und zu gewinnen. An eine Million Dollar pro Tag gibt das Unternehmen gegen den Streik aus. Die streikbrechenden Ersatz-Pflegekräften haben den doppelten Stundensatz der gewerkschaftlich organisierten Pflegekräfte draussen. Im Spital drin schieben Sicherheitsleute nun Dienst und es wurden Kameras installiert, die die Streikposten überblicken. Die Stadt Worcester bestätigte, dass Tenet mehr als 30’000 Dollar pro Tag an die Polizei von Worcester für Überstunden im Sicherheitsbereich zahlt, also scheint die Schätzung einer Million pro Tag hinzukommen und zeigt die Prioritäten des Unternehmens eindeutig: Sie wollen den Streik zermürben. Aber die Massachusetts Nurses Association (MNA) ist sich dessen bewusst, hat einen unbefristeten Streik ausgerufen. Beide Seiten haben sich auf einen langen Kampf eingestellt.

MNA-Vizepräsidentin Marie Ritacco, Mitglied der Verhandlungskommission, sagt: „Unterm Strich müssen wir ihre Geschäfte behindern und sie daran hindern, Geld zu verdienen. Ein unbefristeter Streik ist für sie eindeutig ein viel grösseres Problem. Er gibt uns den grössten Einfluss am Verhandlungstisch, um die Forderung durchzusetzen.“ Und „Wir mussten während der Pandemie die Standards anpassen. Die Spitäler glauben nun, das langfristig installieren zu können. Wir haben entschieden, dass wir das nicht zulassen dürfen und ich glaube, die Pfleger_innen überall sehen das so. Wir sind müde, wir wollen nur unseren Job machen und stolz auf das sein, was wir tun. Menschen brauchen Pflege an ihrem Bett dann, wenn sie sie brauchen. Unternehmen wie Tenet können sich das leisten.“

Ein Spital mit Streikerfahrung

Der lange Streik ist wohl auch deshalb hier ausgerufen worden, weil es für das St. Vincent nicht der erste Streik ist. Im Jahr 2000 streikten die damals neu organisierten Pflegekräfte an diesem Krankenhaus 49 Tage lang für einen ersten Vertrag, in einem Kampf, der legendär werden sollte. Sie weigerten sich, obligatorischen Überstunden und „Flexing“ zuzustimmen, Massnahmen, die nach Ansicht der Gewerkschaft dazu dienten, die Einstellung zusätzlicher Pflegekräfte zu vermeiden. Der Streik gipfelte darin, dass das Verhandlungsteam nach Washington D.C. geflogen wurde, um im Büro von Senator Ted Kennedy zu verhandeln; er endete mit einem überwältigenden Sieg für die Pflegekräfte. Kurz darauf wurde Tenet in eine Reihe von Skandalen verwickelt, bei denen es um unnötige Herzoperationen, Schmiergelder an Ärzte und Medicare-Betrug ging.

Care-Worker_innen haben ihren Beitrag geleistet, das Unternehmen nicht

In der Pandemie hat das St. Vincent wie andere Spitäler hart gearbeitet. Als sich die Intensivstation mit Covid-Patient_innen füllte, suchten Ritacco und ihre Kolleg_innen in anderen Abteilungen nach Geräten und Pflegekräften, die auf die Intensivstation wechseln konnten; die Geschäftsleitung stimmte zu, nur einen oder zwei Patienten pro Pflegekraft zuzuweisen, mit Hilfspersonal. Auf eigene Faust bauten diese Krankenhausmitarbeiter eine zusätzliche 10-Betten-Station für schwerkranke Patient_innen. Da die Pflegekräfte kein Schutzmaterial erhielten, wurde dieses von den Gewerkschaften gekauft und zur Verfügung gestellt. Die „gemeinsamen Opfer“, die das Krankenhaus auf seiner Homepage predigte, trugen aber alleine die Pflegkräfte.

„Wir erleben eine unglaubliche Unterstützung, nicht unter den Pflegekräften, an die 750, von der Community, von unseren Familien, von unseren lokalen und staatlichen Parlamentarier_innen, von unserer Gewerkschafts-Community. Wir hatten vorgestern eine wunderbare Demonstration, die von Basisorganisationen organisiert war, es war herzerwärmend. Es ist wunderbare zu spüren, dass die Community versteht. Das Gefühl am Streikposten ist Stolz. Wir denken, nein, wir wissen, dass wir auf der richtigen Seite stehen. Wir wissen, dass wir es für unsere Patient_innen tun. Es herrscht das Gefühl einer überwältigenden Solidarität, der Stärke. Es ist aufregend und erbauend, auch sehr anstrengend, aber das ist es absolut wert.“

Weitere Infos:

Podcast mit Marie Ritacco im O-Ton am Anfang (bis Minute 10):

Artikel, in welchem weitere Streiks und Ansätze dazu aufgezählt werden: