commune de paris: «Die Zeit der Kirschen»

Erstmals in der Geschichte hat das Proletariat 1871 in Paris die Macht an sich gerissen und begonnen, eine klassenlose Gesellschaft aufzubauen. Heute beziehen sich Revolutionär_innen aller Couleur auf die Pariser Kommune als die erste wirkliche Arbeiter_innenregierung und sehen sie als politisches Modell künftiger sozialer Emanzipationsbewegungen.

(agkkz) Im Frühjahr 1871 unternahm das Pariser Proletariat den ersten Versuch, eine proletarische Revolution durchzuführen und einen Arbeiter_innenstaat aufzurichten. Wenige Wochen zuvor war Napoleon III gestürzt worden und die Nachfolgeregierung sollte eigentlich Ruhe ins Land bringen. Der Deutsch-Französische Krieg hatte dem besetzten Paris heftig zugesetzt. Die Einwohner_innen froren einen Winter lang bei minus 15 Grad, assen monatelang graues Kleiebrot. Als der Friede schliesslich kam und die deutschen Truppen sich aus Paris zurückzogen, waren viele unzufrieden. Unter den Arbeiter_innen brodelte es und auch das Kleinbürgertum war in schlechter Verfassung. Schon während der Belagerung schossen politische Klubs aus dem Boden. Dort durfte jede_r ans Rednerpult treten und sich über die noch nagelneue französische Regierung in Rage reden, der jungen Republik traute man nicht über den Weg, die geführt wurde von Bürgerlichen und Kaisertreuen.

Diesmal ging die Arbeiter_innenklasse daran, ihre Geschicke in die eigenen Hände zu nehmen. Diesmal gab sie die Waffen nicht wieder her. Denn in der bürgerlichen Revolution von 1848 hatte das Proletariat zwar tatkräftig mitgewirkt, doch wurde es danach von der Bourgeosie um den Sieg betrogen. Nun aber wehte in Paris die rote Fahne. Die Pariser Kommune, die am 18. März 1871 vor dem Pariser Stadthaus proklamiert und von den Volksmassen begeistert begrüsst wurde, war durch die Wirren des Krieges ermöglicht worden und ideologisch das Kind der Ersten Internationale. Mehrere ihrer Mitglieder wurden in die Arbeiter_innenkommissionen von Paris gewählt. Karl Marx unterstütze sie mit Rat und Tat, für ihn waren die Kommunard_innen die Himmelstürmer_innen von 1871.

«Ihr wahres Geheimnis war dies: Sie war wesentlich eine Regierung der Arbeiterklasse, das Resultat des Kampfs der hervorbringenden gegen die aneignende Klasse, die endlich entdeckte politische Form, unter der die ökonomische Befreiung der Arbeit sich vollziehen konnte.»

Karl Marx, Bürgerkrieg in Frankreich

Obwohl das Proletariat in viele Gruppen gespalten war, gab die Kommune ein glänzendes Beispiel dafür, wie es einmütig die demokratischen Aufgaben zu lösen versteht, die die Bourgeoisie nur zu proklamieren fähig ist. Ohne jede besondere komplizierte Gesetzgebung, einfach und sachlich, führte das Proletariat die Demokratisierung der Gesellschaftsordnung durch.

«Die Kommune bildete sich aus den durch allgemeines Stimmrecht in den verschiedenen Bezirken von Paris gewählten Stadträten. Sie waren verantwortlich und jederzeit absetzbar. Ihre Mehrzahl bestand selbstredend aus Arbeitern oder anerkannten Vertretern der Arbeiterklasse. Die Kommune sollte nicht eine parlamentarische, sondern eine arbeitende Körperschaft sein, vollziehend und gesetzgebend zu gleicher Zeit. Die Polizei, bisher das Werkzeug der Staatsregierung, wurde sofort aller ihrer politischen Eigenschaften entkleidet und in das verantwortliche und jederzeit absetzbare Werkzeug der Kommune verwandelt. Ebenso die Beamten aller anderen Verwaltungszweige. Von den Mitgliedern der Kommune an abwärts, musste der öffentliche Dienst für Arbeiterlohn besorgt werden.»   Marx

Nachdem das stehende Heer und die Polizei, die Werkzeuge der materiellen Macht der alten Regierung beseitigt waren, gingen die Revolutionär_innen daran, die Pfaffenmacht zu brechen. Sie dekretierten die Auflösung und Enteignung aller Kirchen. Sämtliche Bildungseinrichtungen wurden dem Volk unentgeltlich geöffnet und gleichzeitig von aller Einmischung des Staats und der Kirche gereinigt. Damit war nicht nur Bildung für alle zugänglich gemacht, sondern auch die Wissenschaft von den Fesseln der bürgerlicher Klassenideologie befreit worden. Das neue Bildungssystem, welches allen die gleichen Chancen einräumte, beinhaltete sowohl Theorie wie auch Praxis. Häuser der Reichen wurden für die Armen und Obdachlosen freigegeben. Fabriken wurden in Kooperativen verwandelt. Ende Mai 1871 wurden 43 Fabriken demokratisch verwaltet.

Die Frauen der Kommune

« Zum ersten Male riss in einem Lande das Proletariat mit kühnem Sinn und starker Faust die Staatsmacht an sich. Dem gewaltigen Ereignis fehlte nicht der typische Wesenszug jeder elementaren Revolution: die Beteiligung breiter Frauenmassen …»   Clara Zetkin

Die Kommune stürzte auch die patriarchalen Herrschaftsverhältnisse um. Frauen debattierten in politischen Klubs, organisierten selbstverwaltete Werkstätten, übernahmen die Neugestaltung des Erziehungswesens, standen auf den Barrikaden, waren aktiv in allen Kommissionen und im «Bund der Frauen zur Verteidigung von Paris und zur Pflege der Verwundeten». Auch wenn im Rat keine einzige Frau sass, wurden während der Kommune etliche Veränderungen durchgesetzt. Die Ehe als religiöse Institution wurde abgeschafft, Ehe und Lebensgemeinschaften rechtlich gleichgestellt, ebenso eheliche und uneheliche Kinder; Nachtarbeitsverbote, Lohngleichheit, Kinderkrippen, der Zehn-Stundentag wurden eingeführt. Die Kommunardinnen waren in erster Linie Arbeiterinnen – Wäscherinnen, Näherinnen, Handwerkerinnen, Dienstmägde, Journalistinnen, Künstlerinnen, Lehrerinnen wie Louise Michel, heute noch Symbolfigur für Freiheitskampf und Widerstand, deren Memoiren uns ein lebendiges Bild der Kommune hinterlassen. Oder die Buchbinderin Nathalie Le Mel, Vertrauensperson der Internationalen Arbeiter_innen-Assoziation, die eine selbstverwaltete Volksküche mitgründete; André Léo, Journalistin und Autorin von Romanen und Studien zur Frauendiskriminierung u.a. Die kommunale Basisdemokratie schloss auch Ausländer_innen mit ein, die das Recht auf Staatsbürgerschaft erhielten. Viele Internationalist_innen kämpften Seite an Seite mit den Kommunard_innen, vor allem Belgierinnen, Russinnen und Polinnen.

Versäumnisse

Jedoch waltete die Bourgeoisie in wichtigen Bereichen weiter, die bürgerliche Regierung konnte nach Versailles fliehen und weiter ihre Fäden ziehen, ihre Armee wieder aufbauen. In Bertolt Brechts Theaterstück «Die Tage der Commune» lässt Brecht den Delegierten der Kommune für das Finanzwesen, Beslay, mit dem Gouverneur der Bank von Frankreich einen Dialog führen. Dieser hatte anfangs jede Minute seine Verhaftung erwartet und befürchtet, die Kommune werde das Vermögen der Bank konfiszieren. Beslay fordert vom Gouverneur die Auszahlung von sechs Millionen Francs, was dieser mit der Begründung verweigert, über keine Vollmacht zu verfügen. Daraufhin entgegnet Beslay: «Sie vergessen vielleicht, dass wir die Macht haben.» Trotzdem gibt sich Beslay schliesslich mit der formalen Begründung des Gouverneurs zufrieden und steht weiterhin «für friedliche Verhandlungen zur Verfügung». In dem was Beslay tut, wird gleichzeitig sichtbar, was er nicht tut, aber tun könnte. Das tatsächliche Verhalten Beslays hat zur Folge, dass der Gouverneur das Geld an die Konterrevolution in Versailles übermitteln kann, die damit 200.000 Kriegsgefangene von Bismarck freikauft, um die Kommune niederzuschlagen. Beslay hätte die Macht der Kommunard_innen gebrauchen und die Besetzung der Bank anordnen können, um den «Lebensnerv» der Versailler zu durchschneiden. Entsprechendes gilt für den entscheidenden Fehler, der schliesslich zur Niederlage führte. In der Frage, ob gegen Versailles mit Waffengewalt vorgegangen werden soll, sind die Kommunard_innen uneinig. Die Mehrheit spricht sich gegen die Offensive aus – mit verheerenden Folgen.

Der Gegenschlag Die bürgerliche Regierung macht sich daran, Paris zurückzuerobern. Zwar gibt es auch in anderen Städten kleinere Revolten, etwa in Lyon, Toulouse oder Marseille. Doch der Aufstand bleibt auf die Hauptstadt beschränkt. Zwei Monate ist die Kommune im Amt, da rücken die Regierungstruppen immer näher. Langsam fallen die Vororte nahe der Hauptstadt. Die Katastrophe, bzw. die blutige Woche beginnt am 21. März. Der Westen der Stadt fällt rasch, doch im Norden und Osten der Stadt liefert man sich Scharmützel um jeden Meter Strasse. Die Kommunard_innen bauen unermüdlich Barrikaden, man verschanzt sich hinter hastig errichteten Schutzwällen aus Pflastersteinen und Sandsäcken. Manche Barrikaden sind ausgetüftelte militärische Kunstwerke mit zwei Meter Gräben und Bastionen, zwei Stockwerken und Schiessscharten zwischen den Sandsäcken. In den letzten Tagen der Kommune verwandeln sich die Viertel schnell in Festungen. Allein im Pariser Stadtteil Belleville gibt es 76  Barrikaden.  Die Barrikade wird zum  politischen Symbol

der Kommune und der ganzen Arbeiter_innenbewegung. Doch so oft sie später auch in Liedern, Gedichten und Reden beschworen wird, der Kampf ist aussichtslos. Paris steht in Flammen, das Rathaus, das Finanzministerium, der Justizpalast, der Louvre. Manche Brände sind bei der Bombardierung entstanden, andere haben die Kommunard_innen strategisch gelegt.

«Die von allen Seiten eingeschlossene Kommune hatte nur Aussicht auf den Tod; sie konnte nichts als tapfer sein, und das war sie. Sie hat der Zukunft das Tor weit aufgestossen.»   Louise Michel

Die Soldaten der Regierung haben den Befehl, blutige Vergeltung zu üben. Unzählige Kommunard_innen finden den Tod. Erschossen, ertränkt, verbrannt und in Massengräbern verscharrt. Die Zahl der Toten wird von Historiker_innen auf 17000–30000 geschätzt. Manch eine_r kann ins Ausland fliehen, den Rest erwarten Strafprozesse und Todesstrafe. Wer Glück hat, darf in einem Gefängnis in Frankreich verrotten oder wird nach Neukaledonien deportiert. Derweil kehren die geflohenen Bürger in Frack und Zylinder in das zerstörte Paris zurück.

Das Tor zur Zukunft

Die Kommune hatte noch kein Vorbild, keine Erkenntnisse aus früheren Revolutionen, sie musste selbst und praktisch experimentieren, wie eine proletarische Revolution konkret zu machen ist. «Die Zeit der Kirschen», eine verbreitete Metapher für die 72 Tage der Pariser Kommune, hatte als sozialistisches Experiment zwar eine kurze Blütezeit, jedoch keine richtige Reifezeit erleben dürfen. Dennoch wirkt sie als praktische Manifestation der marxistischen Theorie nachhaltig auf revolutionäre Ereignisse der Geschichte und der Gegenwart. Angefangen von der Oktoberrevolution in Russland 1917 und den Arbeiter_innen- und Soldatenräten während der Novemberrevolution in Deutschland 1918/19 bis hin zur Selbstverwaltung der Region Chiapas, Mexiko, und der International Commune of Rojava in Kurdistan.

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