CS-Debakel – ein Lehrstück kapitalistischer Absurdität

Was ist bloss mit der CS passiert? Alles Abzockerei, ein Resultat der Gier oder doch einfach verspekuliert? Eines ist der Niedergang der CS sicher – ein gutes Beispiel dafür, welch absurden Ballast die bürgerliche Produktionsweise mit sich bringt.

Allerdings lässt sich aus dem Beispiel der CS nicht viel ableiten, wenn man um den heissen Brei herum redet. Die aktuelle mediale Diskussion über die Bonuszahlungen des CS Managements und eines Teils der Angestellten verbleibt auf jeden Fall auf der Erscheinungsebene. Hätte der CS Ex-Manager Brady Dougan seine 80 Millionen Jahreseinkommen nicht erhalten, wäre das keinem einzigen einfachen Bankangestellten zu Gute gekommen, sondern den Aktionär_innen. Und Boni hin oder her – dass Banken Risiken eingehen, liegt nicht an falschen Anreizen oder der Profitgier schlechter Manager. Die Kritik muss tiefer gehen. Wir trauern ja kaum dem Fakt nach, dass bei der Verteilung der Beute für einmal die Aktionär_innen leer ausgegangen sind. Und dass besonders risikofreudige Manager die CS in den Ruin getrieben hätten ist ja ein Argument, das höchstens den Spezialfall CS teilweise erklärt, aber nichts Grundlegendes. Wo wir hinkommen, wenn wir moralisch argumentieren – wenn wir zum Beispiel die Unterscheidung von schaffendem und raffendem Kapital aufgreifen – lehrt uns die Geschichte des Reformismus.

Blick hinter die Erscheinungsebene

Erst einmal muss die Funktion der Banken verstanden werden. Das geht nur mit marxistischen Kategorien:

Produktive Unternehmen, Handel und Banken unterscheiden sich durch die Art des Kapitals, mit dem sie operieren: Beim produktiven Kapital sind es reale Produktionsmittel und direkt ausbeutbare Arbeitskräfte, beim Handel sind es reales Warenkapital und indirekt ausbeutbare Arbeitskräfte. Beim Bankkapital dominiert das fiktive Kapital, das sind Kredite, Wertpapiere und alles, was davon abgeleitet ist. Das Wort «fiktiv» bringt zum Ausdruck, dass dieses Kapital keinen eigenen Wert hat, sondern nur reale Werte widerspiegeln kann. Genauer: Sein «Wert» besteht aus Erwartungen. Bei Krediten sind es Erwartungen, dass sie inklusive Zins zurückbezahlt werden können; bei Hypotheken – die spezielle Form von Krediten gegen Grundbesitz und Liegenschaften – richten sich die Erwartungen auf die zukünftige Zahlungsfähigkeit der Besitzer_innen respektive den zukünftigen Wert der Liegenschaften, die dabei als Pfand dienen; bei Wertpapieren – Aktien, Obligationen und Derivate derselben – sind es Erwartungen, dass das reale Kapital, das sie widerspiegeln, Profite machen und nicht untergehen wird und dass der Gesamtkapitalist – also der Staat – das ihm geliehene Geld samt Zins zurückzahlen wird. Bei den Derivaten sind es sogar Erwartungen, dass beistimmte Börsenkurse steigen oder auch fallen, was ihren Casino-Charakter ausmacht.

Bürgerliche Medien nennen diese Erwartungen «Vertrauen». Und die Finanz- und Bankenkrisen, welche den Kapitalismus seit seiner Kindheit begleiten, widerspiegeln vor allem eines: Vertrauen ist im Nu zerstört und kann nur langsam wieder aufgebaut werden. Auch der Börsenkurs eines Unternehmens – insbesondere einer Bank, die hauptsächlich mit fiktivem Kapital geschäftet – beruht auf diesem «Vertrauen» in zukünftige Gewinne. Der Bank-Run bei der CS zeigt den totalen Vertrauensverlust – der Aktienkurs sinkt gegen Null.

Bei den Banken ist der Grossteil des Kapitals fiktiv, enthält also keinen realen Wert, sondern widerspiegelt nur Werte. Zwar erbringen Banken auch reale Dienstleistungen: Kontoführung, Abwickeln von Zahlungen und Börsengeschäften, Beratung reicher Kund_innen. Aber auch die daraus entstehenden Geldwerte schrumpfen zusammen, wenn die Kund_innen infolge Vertrauensverlust davonlaufen.

Andererseits erfüllen die Banken Funktionen, die für das runde Laufen des kapitalistischen Ausbeutungssystems notwendig sind. Sie sorgen dafür, dass Unternehmen ihre Gewinne nicht so lange im firmeneigenen Tresor aufbewahren müssen, bis genug da ist, um abgenützte Maschinen und Gebäude zu ersetzen oder gar zusätzliche zu finanzieren. Und sie sorgen dafür, dass Proletarier_innen Erspartes, das sie für Anschaffungen brauchen, nicht unter der Matratze horten müssen. Allgemeiner gesagt, zentralisieren sie also Geld, aus dem sie die Kredite an Unternehmen und Private gewähren können, um die Produktion und die Reproduktion auszudehnen und zu beschleunigen. Selbstverständlich werden die Kredite höher verzinst als die Bankkonten, woraus das Zinsdifferenzgeschäft entsteht. Durch die Zinsen auf Kredite eignen sich die Banken einen Teil des in der realen Produktion erzeugten Mehrwerts an.

Kredite sind, wie gesagt, fiktives Kapital. Sie lassen Geldwerte entstehen, die es ermöglichen, Fabriken, Maschinen oder Häuser zu bauen oder zu kaufen. Jedoch muss sich dieser Geldwert erst noch in der Produktion vergegenständlichen. Und da krachte es 2007 bei der sogenannten Finanzkrise, weil die realen Gegenwerte für die Bedienung der Kredite eben nicht vorhanden waren.

Das heisst nicht, dass die Banken nur arme Opfer der kapitalistischen Entwicklung sind. Im Gegenteil: Die Banken haben eine enorme Macht, weil sie eben sehr direkt bestimmen, welche Produktion oder Industrie «kreditwürdig» ist und deshalb finanziert wird oder eben nicht. Deshalb ist es richtig, Banken anzugreifen, wenn sie darüber bestimmen, die Produktion von Kriegsmaterial zu fördern oder den Raubbau an der Natur voranzutreiben. Aber wir greifen sie eben auch grundsätzlich an, weil sie mit ihren Entscheidungen genau das verkörpern, was der Kapitalismus ist – ein System, das ohne moralische Bedenken dort produzieren lässt, wo es halt Kapital produzieren und vermehren kann. Finanzmacht kann letztlich nur dort ausgeübt werden, wo es die Bedingungen der realen Produktion erlauben, Mehrwert zu schaffen – in der faktischen Zerstörung unserer Lebensgrundlagen und in der im Kapitalismus unvermeidlichen Kriegswirtschaft. Das Bankkapital vollstreckt also aktiv das, was wir am Kapitalismus hassen. Aber nicht, weil es «so böse» ist, sondern, weil die Regeln des Kapitalismus zerstörerisch sind. Nicht weil der Kapitalismus Fehler hat, sondern weil der Kapitalismus der Fehler ist.

Aber was passierte aktuell?

Um das zu verstehen, müssen wir – nur ganz kursorisch – etwas über den sogenannten Monetarismus sagen: Die Staaten haben sogenannt «unabhängige» Notenbanken geschaffen – bei uns die Schweizerische Nationalbank SNB, in Europa die EZB in Frankfurt am Main, in den USA das FED, welche versuchen mittels Beeinflussung der Durchschnittszinsen die Konjunktur zu beeinflussen. Im Abschwung sollen die Zinsen gesenkt, im Aufschwung angehoben werden. Insbesondere Aufschwünge sollen dann «gebremst» werden, wenn Lohnabhängige Verbesserungen der Löhne und Arbeitsbedingungen durchsetzen könnten. Das ist jetzt der Fall, weshalb – unter dem Etikett «Inflationsbekämpfung» – die Zinsen sprunghaft erhöht werden.

In den Jahren nach der Finanzkrise 2008 sind den Notenbanken die Zinssenkungen aus dem Ruder gelaufen – bis hin zu den bekannten Negativzinsen – was z.B. die Häuserpreise, aber auch das fiktive Kapital in Form von Börsenkursen und Private Equitiy-Vermögen unermesslich aufblähte. Jedoch hatte diese Niedrigzinspolitik auch dazu geführt, dass das Vergeben von Krediten für die Banken nicht mehr so rentabel war.

Wie Fantasiewerte dahinschmelzen

Als diese Niedrigzinspolitik endete, wurden die Kredite plötzlich wieder teurer und der Anspruch der Banken auf die Aneignung von zukünftigem Mehrwert, der mit den Krediten ausgepresst werden soll, wurde grösser. Schwächer aufgestellte Unternehmen oder private Kreditnehmer können deshalb die steigenden Zinsen auf einen Schlag nicht mehr stemmen, sodass ebenso schlagartig mehr Kreditausfälle die Bücher der Banken belasten. Wenn eben real nichts mehr auszupressen ist, dann zeigt sich eben, wie wenig fiktives Kapital tatsächlich wert ist.

Natürlich können Banken ihre Funktion, Gelder zu vermehren, unterschiedlich aggressiv und riskant umsetzen. Viele Finanzunternehmen – insbesondere die CS, im Unterschied zur UBS – sind gross im Investmentbanking aktiv – d.h. in der Finanzierung von Börsengängen und Fusionen von Grosskonzernen, im Börsenhandel im grossen Stil, insbesondere mit Casino-artigen Derivaten von Aktien und Obligationen. Und was sich jetzt zeigt ist, dass das eben nichts anderes als eine Anhäufung von fiktivem Kapital im doppelten und dreifachen Sinn war, weil dessen Wert kaum mehr Bezug zur Realwirtschaft hat und der – als fantasierter Wert – jederzeit kollabieren kann.

Was die CS anbelangt, ist der Börsenkurs sehr tief gefallen, das Vertrauen in die Fantasiewerte ihrer «Investitionen» – eben in fiktives Kapital – war wohl unterirdisch. Und dieses Misstrauen hat sich dann im Abzug von liquiden Geldmitteln aus der CS übersetzt. Und je mehr Geldmittel der CS entzogen wurden, desto tiefer sank das Vertrauen, desto tiefer sank der Börsenkurs, desto mehr Geldmittel wurden entzogen. In einer solche Spirale spielt es irgendwann auch keine Rolle mehr, ob die Kredite, die vergeben wurden, gedeckt sind oder nicht, ob Staatsanleihen in den nächsten Jahren Gewinn abwerfen oder nicht. Der Untergang der Silicon Valley Bank hatte eine Mühle angeschoben, und die CS als eines der schwächsten Glieder der Kette ist unter die Räder gekommen.

Der Staat als Gesamtkapitalist musste mit Kreditzusagen in der zweifachen Höhe des Schweizer Bruttonlandproduktes eingreifen – Eine Menge, die die gesamte gegenwärtige Staatsverschuldung übersteigt – nur um ein noch grösseres Ungetüm an fiktivem Kapital namens UBS zu produzieren.

Was soll nun also die ganze Debatte um Boni? Sie läuft völlig an den realen Problemen vorbei. Sie wirft ausgerechnet dann Nebelkerzen, wo die ganze Banalität und Gefahr des Kapitalismus am einfachsten und deutlichsten aufgezeigt werden kann. Weshalb über moralische Nebensächlichkeiten wie Boni sprechen, wenn sich doch viel deutlicher offenbart, dass der Kapitalismus immer grössere Krisen erzeugt, die nicht innerhalb dieses Systems gelöst werden können.