
In den vergangenen Jahren sind Logistikbetriebe weltweit vermehrt zu Brennpunkten von Arbeitskämpfen geworden. Es lohnt sich dabei einen genaueren Blick auf die objektive Seite zu werfen. Marx hat Funktion und Wichtigkeit der Transportarbeit im «Kapital» in allen drei Bänden mehrfach beschrieben.
(az) Die zunehmenden Kämpfe im Logistiksektor haben mit der Prekarisierung der Arbeitsbedingungen in diesem Sektor zu tun, gegen diese sich von der subjektiven Seite her immer mehr Gründe für Protest und Widerstand finden lassen. Die Ursachen der Arbeitsbedingungen in der Logistik sind wiederum in den Produktionsverhältnissen zu finden. Denn damit ein fertig produziertes Produkt schlussendlich bei uns ankommt und als Gebrauchsgegenstand genutzt werden kann, durchläuft es in der Warenproduktion verschiedenste Ortsveränderungen. Schon innerhalb des Produktionsprozesses werden für die Fertigstellung des Arbeitsgegenstandes die dazu nötigen Arbeitsmittel und Arbeitskräfte mehrfach verschoben, also auch die Waren als Produktionsmittel in Form von Rohstoffen und Halbfabrikaten. Wir legen den Fokus nun aber weniger auf die Produktion der Ware, sondern mehr auf den Transport der Konsumtionsmittel. Oder anders ausgedrückt betrachten wir die Distributionslogistik, welche für den letzten Schritt im Gesamtprozess eine grosse Rolle spielt. «Der Übergang des fertigen Produkts als fertige Ware aus einer selbständigen Produktionsstätte in die andere, räumlich davon entfernte, zeigt dasselbe Phänomen nur auf grösserer Stufenleiter. Auf den Transport der Produkte aus einer Produktionsstätte in eine andere folgt noch der der fertigen Produkte aus der Produktionssphäre in die Konsumtionssphäre. Das Produkt ist erst fertig für die Konsumtion, sobald es diese Bewegung vollendet hat.» Dieser letzte Schritt der Warenproduktion hat sich durch die Entwicklung der Produktivkräfte in den letzten 20 Jahren immer mehr vom stationären in den Onlinehandel verlagert. Im Jahr 2020 lag der Umsatzanteil des Onlinehandels bereits bei 11.8 % des gesamten Detailhandels in der Schweiz. Beschleunigt durch die Coronapandemie hält diese Tendenz weiter an. Dadurch erhält die Paketzustellung einen immer grösseren Anteil am Gesamtprozess der Warenproduktion. Marx beschreibt, dass die Revolution der Produktionsweise in Industrie und Landwirtschaft auch eine Revolution der Bedingungen des gesellschaftlichen Produktionsprozesses benötigen. Damit meint er die Kommunikations- und Transportmittel.
Transport- und Kommunikationsmittel im Kapitalismus
Im globalisierten Weltmarkt, in welchem die eigentliche Warenproduktion in alle Ecken der Welt verteilt wurden und dann die fertigen Produkte wiederum in alle anderen Ecken der Welt zur Konsumation geliefert werden, bekamen die Transport- und Kommunikationsmittel eine zusehends grössere Bedeutung. «Mit diesen weltmarktlichen Beziehungen steigt die Arbeitsnachfrage in der Transportindustrie und spaltet sich letztere in zahlreiche neue Unterarten.» Hat Marx damals noch von einem System von Flussdampfschiffen, Eisenbahnen, ozeanischen Dampfschiffen und Telegrafen geschrieben, sind es heute LKW, Flugzeuge, Frachtcontainerschiffe, automatisierte Lager, Elektrolieferfahrzeuge oder mittlerweile auch Drohnen. Für den gesamten Produktionsprozess wird die Logistik dadurch in die Unterarten Beschaffungs-, Produktions-, Distributions- und Entsorgungslogistik eingeteilt.Für die Kommunikation hingegen ist das Internet schon lange das geeignetste Mittel. Dieses ermöglicht digitale und mittlerweile auch automatisierte Bestellprozess schon in der Produktion. Später ist es dann aber auch der zunehmende Onlinehandel im Verkauf der Waren von immer grösserer Bedeutung geworden. Darin übernimmt es dann mit individualisierten Algorithmen, immer mehr auch von KI gesteuert, zusätzlich noch die Rolle des Marketings. Schlussendlich ist ein Warenlager dann eben viel kostengünstiger zu bewirtschaften als ein Geschäft mit einer Warenauslage. Im marktwirtschaftlichen Konkurrenzkampf verliert, wer den Aufsprung auf den Zug des Onlinehandels verpasst hat. Auch wird weiter z.B. der Prozess der Paketzustellung zunehmend digitalisiert. Anstatt im Kopf der Zustellenden wird die Zustellroute durch komplexe IT-Systeme, gefüttert durch tagesaktuelle Sendungsdaten, so effizient wie möglich berechnet. Auch diese Prozesse sollen zunehmend automatisiert werden und den manuellen Aufwand in der Tourenplanung so gering wie möglich halten. Denn die Beschleunigung und Ausweitung der Transport- und Kommunikationsmittel verkürzt die Umschlagszeit des Kapitals und vergrößert den Profit. «Eine stetig wirkende Ursache in der Differenzierung der Verkaufszeit, und daher der Umschlagszeit überhaupt, ist die Entfernung des Markts, wo die Ware verkauft wird, von ihrem Produktionsplatz. Während der ganzen Zeit seiner Reise zum Markt befindet sich das Kapital gebannt in den Zustand des Warenkapitals; […]» Es liegt also im Interesse der Kapitalist_innen, die Zeitperioden des Rückflusses so kurz wie möglich zu halten. Während der eine Teil immer noch als Warenkapital zirkuliert, ist ein anderer Teil bereits in Geldkapital verwandelt. «Durch diese Verteilung des Rückflusses auf mehrere aufeinander folgenden Perioden wird die Gesamtumlaufszeit abgekürzt und daher auch der Umschlag.» Das Kapital ist also für den Zirkulationsprozess der Waren und den Profit zwingend auf die Logistik, oder eben die Transportarbeit angewiesen, welche wiederum Kosten verursacht.
Transportarbeit ist produktive Arbeit
Im Produktionsprozess entstehen so zweierlei Formen von Zirkulationskosten. Zum einen diejenigen, die aus blossem Formwechsel des Werts hervorgehen und nicht in den Wert der Waren eingehen. Anders zu betrachten sind diejenigen Zirkulationskosten, die aus dem Produktionsprozess entspringen und nur in der Zirkulation fortgesetzt werden können. Durch seine Zirkulationsform ist der produktive Charakter der Transportarbeit versteckt. Obwohl sich die Produktmassen durch den Transport nicht vermehren, verwirklicht sich der Gebrauchswert von Dingen nur durch ihre Konsumation, wodurch ihre Ortsveränderungen nötig werden und damit dieser zusätzliche Produktionsprozess, die Transportindustrie. Die Besonderheit der Transportindustrie macht aus, dass sie einerseits einen selbständigen Produktionszweig bildet. Andererseits unterscheidet sie sich dadurch, dass sie als Fortdauer eines Produktionsprozesses innerhalb des Zirkulationsprozesses und für den Zirkulationsprozess erscheint. «Das in dieser (der Transportindustrie) angelegte produktive Kapital setzt also den transportierten Produkten Wert zu, teils durch Wertübertragung von den Transportmitteln, teils durch Wertzusatz vermittelst der Transportarbeit. Dieser letztere Wertzusatz zerfällt, wie bei aller kapitalistischen Produktion, in Ersatz von Arbeitslohn und in Mehrwert.» Da bei aller Arbeit, die Wert zusetzt, auch Mehrwert zugesetzt werden kann, wird sie dies auf kapitalistischer Grundlage auch immer tun. Wie wir bestens wissen, benötigen die Kapitalist_innen um Mehrwert hinzuzufügen und abzuschöpfen Lohnarbeitende, welche ausgebeutet werden können. Wie für alle produktive Arbeit benötigt die kapitalistische Produktionsweise auch den für möglichst hohe Profite bestmöglichen Produktionsort. Doch anders als bei der Produktion der Waren, welche für Extraprofite in Länder mit billigeren Produktions- und Lohnkosten ausgelagert werden können, ist dies eben für die Transportarbeit auf der letzten Meile nicht möglich. Sie verbleibt hier bei uns in den imperialistischen Zentren. Und dabei spielt die Billigkeit des Transportes eine grosse Rolle. Dieser Prozess nach immer billigeren Produktionskosten im Transport prekarisiert die Arbeitsbedingungen zusehends, wie wir am Beispiel der Paketzustellung gut veranschaulichen können. Dass der Widerstand dagegen erfreulicherweise auch zunimmt, ist allerdings nicht selbstverständlich.
Arbeitskämpfe entlang des Nervensystems des Kapitals
Wie in allen Produktionssektoren sind auch in der Transportindustrie eine Vielzahl von Unternehmen der Konkurrenzlogik des Kapitalismus unterworfen. Beschränken wir uns auf die Schweiz und die Paketzustellung, teilen sich die Post, Planzer, DHL und DPD den überwiegend grössten Marktanteil auf. Obwohl die Paketmengen seit Jahren kontinuierlich wachsen, sinken die Margen pro Paket zusehends. Ein eher kleinerer Paketdienstleister wie Quickpac wurde erst vor einigen Monaten wegen Insolvenz von Planzer übernommen, welcher wiederum aber auch um sein Überleben kämpft. Um eben zu Aufträgen zu kommen, wird um die grossen Firmen des Versandhandels gebuhlt. Der wesentlichste Treiber dabei ist der Preis pro Paket. Sinken somit die Einnahmen pro Paket, wird der Druck auf die Arbeitsbedingungen unausweichlich steigen. Dies zeigt sich entweder indem die Arbeitszeit bei gleichem Lohn ausgedehnt wird oder der Anteil der Mehrwertarbeitszeit an der gesamten Arbeitszeit erhöht wird. Die Auswirkungen zeigen sich in Form von Personalknappheit, was zu exorbitant langen Arbeitstagen für die Paketzustellenden führt, der Druck auf die individuelle Produktivität stark erhöht wird oder eben auch die Einstiegslöhne in der Tendenz immer mehr sinken. So drehen sich die Arbeitskämpfe in dieser Branche meistens vorerst mal um eine Reduktion der Arbeitszeit auf einen Achtstundentag. Diese Kämpfe sollen auch als Vorbedingung für andere Bestrebungen nach Verbesserung und Emanzipation verstanden werden. Ob nun bei Planzer, Presto oder der Post, die Arbeitskämpfe der letzten Jahre bei diesen Logistikkonzernen waren seltene Lichtblicke in der durch scheinbare tief im Bewusstsein verwurzelte Sozialpartnerschaft gelähmte Kampfbereitschaft in der Schweiz. Diese Kämpfe sind wichtig für uns, weil es zeigt, dass es immer mehr Menschen bewusst wird, dass sinkende Kaufkraft und Lebensstandards nicht einfach Zufälle sind, die ausgerechnet die arbeitende Klasse treffen. Diese Kämpfe in der Logistik sind international, egal ob in den Häfen von Genua oder in jenen der US-Ostküste, bei Amazon oder bei der Marokkanischen Post, sie treffen und unterbrechen den Nerv der Warenzirkulation punktuell, die Auswirkungen lähmen aber viel grössere Bereiche der ganzen Warenzirkulation. Entlang des Nervensystems der Wertschöpfungskette lässt es sich effektiv kämpfen. Daher sollte uns alle die Logistik interessieren.