
Im Rahmen einer Filmvorführung des Solikomittees zur Unterstützung der Post-Bot_innen am 5. Februar 2025 hat der RAS einen Input gehalten, in dem wir die Hintergründe und die aktuelle Situation des Arbeitskampfes - just nach der Verhandlungsrunde vom 31. Januar - zusammengefasst haben. Er bietet einen guten Überblick und bietet sich für eine Zwischenbilanz für Interessierte an, weshalb wir ihn hier veröffentlichen:
«Wir erklären die Beschränkung des Arbeitstages für eine Vorbedingung, ohne welche alle anderen Bestrebungen nach Verbesserung und Emanzipation scheitern müssen».
Diese Parole aus der Resolution der Londoner Delegierten mit Karl Marx am Kongress der I. Internationalen von 1866 hat auch heute noch grosse Aktualität. Ist die Forderung nach dem Achtstundentag zumindest auf dem Papier erkämpft worden durch jahrzehntelange Klassenkämpfe, ist bei der Betrachtung der Logistik im Allgemeinen und der Paketzustellung im Besonderen der Achtstundentag aber alles andere als Realität.
Der GAV der Schweizerischen Post würde eine durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit von 42 Stunden garantieren. Doch alle, die in der Paketzustellung bei der Post arbeiten wissen, dass diese vereinbarte Wochenarbeitszeit in ihrem realen Arbeitsalltag nicht mehr als ein wertloses Versprechen auf einem Stück Papier ist. Ein Achtstundentag ist seit langem eine rare Ausnahme, 10, 11 oder 12 Stundentage sind die Norm. Teilweise sind die Arbeitstage noch länger und auch die wöchentlichen Höchstarbeitszeiten von 50 Stunden werden regelmässig überschritten. Dass diese prekären Arbeitsbedingungen kein Zufall sind, sondern sich aus der Konkurrenzlogik der Paketdienstleister ergibt versteht sich für uns von selbst. Der Anteil der Paketzustellung am gesamten Detailhandel in der Schweiz ist in den letzten 20 Jahren durch den Onlineversandhandel stark angestiegen und lag im Jahre 2020 schon im zweistelligen Prozentbereich.
Wieso die Arbeitsbedingungen in der Paketzustellung so sind, wie sie eben sind, prekär und schlecht bezahlt, wieso die Profite trotz steigender Paketmengen kleiner werden, welche Rolle die Transportarbeit im kapitalistischen Produktionsprozess spielt, was McKinsey mit der Umstrukturierung des Logistikbereiches der Post zu tun hat und wieso die Billigkeit der Transportarbeit eine grosse Rolle spielt, das alles könnt ihr nachlesen in unserer Broschüre zu den «Arbeitsbedingungen in der Paketzustellung» und in unserem Artikel «Wieso wir uns als Kommunist_innen für die Logistik interessieren sollten».
Hier und heute soll es um einen konkreten Arbeitskampf in der Paketzustellung in Oerlikon gehen, in welchem sich die Belegschaft zum Ziel gesetzt hat, eben diesen Achtstundentag auch im realen Arbeitsalltag zu erkämpfen und wie wir ihn als Kommunist_innen unterstützen können. Dazu konnten wir uns mit verschiedenen Kämpfenden und Unterstützenden austauschen und uns folgende Informationen und Ereignisse über die Arbeitskampfsituation vermitteln lassen.
Die Paketzustellstelle Oerlikon
Die Paketzustellstelle Oerlikon machen zwei Sachen besonders. Das eine ist, dass es wohl die einzige Zustellstelle in der Schweiz ist, die ausschliesslich in städtischem Gebiet zustellt. Die Zustellung im urbanen Gebiet ist durch die oftmals schwierigen Verkehrssituationen besonders herausfordernd, verfügt aber auch über kurze Wege und eine hohe Adressdichte. Gleichzeitig benutzt die regionale Leitung den Standort wegen dieser Dichte auch als Versuchsobjekt um allerhand neuer Prozesse zu testen – dies meist auf dem Rücken der Belegschaft.
Die andere Besonderheit ist jedoch eine sehr erfreuliche. Der Standort verfügt seit Jahren über eine kämpferische, gut organisierte und vernetzte Betriebsgruppe und kann auch schon auf erfolgreiche Arbeitskämpfe zurückblicken. So konnte sie durch kollektive Aktionen inmitten der Coronazeit durchsetzen, dass durch das damals explosionsartige Wachstum der Paketmengen ein Auslagerungsstopp an Subunternehmen verhängt wurde. Die Zusammenarbeit in der Paketzustellung mit Subunternehmen war damals auch ein solches Testfeld, da sich damit GAV-Vereinbarungen umgehen liessen und Kosten gespart werden konnten. Rund 1/3 der Pakettouren waren in der Coronazeit an Subunternehmen ausgelagert.
Nach der Umsetzung der durch McKinsey angestossenen Umstrukturierung gab es in Oerlikon eine neue Leitung, die per 01.01.2024 alle diese Touren wieder in die eigene Organisation integriert hat. Ein kommunizierter Grund war, dass die zunehmende Digitalisierung der Paketzustellung mit vielen verschiedenen Subunternehmern nicht einfach zu organisieren war. Ein anderer Grund war aber auch, dass in der Zone ein einheitliches Einstiegslohnniveau vereinbart wurde, das – wie inzwischen klar – tiefere Monatslöhne ermöglicht, als bei den Subunternehmern. Es wurden viele Bot_innen von den Subunternehmern bei der Post übernommen. Inzwischen sind aber viele schon wieder freiwillig von der Post weggegangen und teilweise auch wieder zu ihrer alten Firma zurück, da sie dort einen höheren Lohn haben und die Arbeitsbedingungen inzwischen vielfach besser sind als bei der Post.
Die neue Leitung hat dann 2023 als eine ihrer ersten Handlungen an den zwei Standorten der Organisationseinheit Oerlikon in mehreren Briefzustellteams Touren gestrichen und somit die Arbeitstage von vielen Bot_innen verlängert. Gleichzeitig steht sie aber gut da, da sie mit dieser Massnahme viel Geld eingespart hat. Die Brieftouren sind seither an der oberen Grenze des zeitlichen Aufwandes und verfügen über keine Kapazitäten mehr für allfällige Mehrmengen. Praktisch gleichzeitig drängte der chinesische Onlinemarkt mit TEMU, Shein und Alibaba auf den europäischen Markt. Das Resultat daraus war, dass plötzlich mehrere hundert zusätzliche Sendungen in das tägliche Zustellvolumen dazugekommen sind. Vom internationalen Format her eigentlich Briefsendungen und vom Postprozess her auch in der Schweiz auch für die Briefzustellung vorgesehen, entschied sich die Leitung in Oerlikon diese Sendungen in die Paketzustellung zu geben. Bis heute müssen diese Sendungen am frühen Morgen mit viel Aufwand von Hand auf die Zustellbezirke sortiert werden und fliessen auch nicht in die unterstützenden Zustellsysteme ein. Auch wurde bis jetzt organisatorisch nicht durch eine Anpassung der Anzahl der Zustellbezirke reagiert. Seit letzter Woche weiss man auch, dass TEMU inzwischen der grösste Onlineversandhändler in der Schweiz ist und sogar den bisher grössten Digitec-Galaxus mit einem Anteil von 17% überholt hat. Also ganz und gar keine vernachlässigbare Menge in einer Zustellorganisation. Den Mehraufwand tragen seither die Paketbot_innen in Oerlikon auf ihren Schultern. Waren die Arbeitsbedingungen schon vorher an ihren Grenzen, ist sie seit nunmehr über einem Jahr komplett über der zumutbaren Grenze. Verantwortlich dafür sind die zu grossen Touren, ein chronischer Personalmangel und eine generell schlechte Betriebsorganisation.
Organisierung im Betrieb als Schlüssel zum Widerstand
Durch diese Ausgangslage ist die Betriebsgruppe zusammen mit der Gewerkschaft Syndicom aktiv geworden. Seit Herbst 2023 erhöhten sich die Meldungen der Bot_innen wegen hoher Arbeitsbelastung. Im Juni 2024 wurde eine Umfrage zur Arbeitsbelastung gemacht und die Betriebsgruppe reichte danach eine Petition ein, der innerhalb von 24 Stunden 60 Paketbot_innen zugestimmt hatten. Trotz vernichtendem Urteil zu den Arbeitsbedingungen reagierte weder die Standort- noch die Regionalleitung auf diese Petition. Da durch das Thema Arbeitsbelastung im ganzen Konzernbereich hunderte Bot_innen in allen Regionen der Schweiz betroffen sind, wurden auch die Kolleg_innen in der Westschweiz aktiv. Neben Protestpausen in einer Zustellstelle in der Region Fribourg ging die Syndicom dort auch durch eine Medienkonferenz in die Öffentlichkeit. In Oerlikon selber wurden am symbolträchtigen Black Friday trotz Verbot der regionalen Leitung Ende November 2024 in einer kurzen Protestpause Unterschriften für eine weitere Petition mit Forderungen gesammelt. Über 60 Mitarbeitende haben diese Forderungen unterschrieben und sie wurden dann gegen den Willen der Standortleitung im Betrieb kollektiv übergeben.
Gefordert wurden zum einen die Einhaltung der Wochenarbeitszeit von 42 Stunden, Strafzahlungen von 20 Franken pro Stunde bis Ende 2024, sofern diese 42 Stunden überschritten werden, eine Reorganisation der Zustellbezirke unter Miteinbezug der Belegschaft und der Gewerkschaft und eine regelmässige Aushändigung der Arbeitszeitrapporte um dies überprüfen zu können. Schnell wurde klar, dass die Leitung nicht mit 42 Stunden, sondern mit der gesetzlichen Höchstarbeitszeit von 50 Stunden plant. Auch weiss die Betriebsgruppe, dass es mehrfach Überschreitungen der 50 Stunden gegeben hat, und auch, dass es zu Manipulationen gekommen ist, um die Wochenarbeitszeiten unter diese 50 Stunden zu drücken.
Gegenangriff des Managements
Die lokale Leitung wurde durch diesen offensiven Schritt der Belegschaft sichtlich verunsichert und unter Druck gesetzt. Jedoch blieb sie arrogant und überheblich und sah sich erst dazu genötigt aktiv zu werden, nachdem durch einen 20 Minuten Artikel der Gang in die Öffentlichkeit gemacht wurde und die nationale Leitung eingriff. Während sie auf einen Verhandlungstermin drängten, fing die lokale Leitung – getrieben durch die grosse Angst eines allfälligen Streiks inmitten des Festverkehrs – damit an, den Gegenangriff vorzubereiten. Sie fing an Druck auszuüben auf die aktiven Bot_innen der Betriebsgruppe, drohte und beleidigte auch rassistisch. Weil die Standortleitung zunehmend unter Druck der nationalen Leitung gerät, setzt sie nun in Oerlikon auf einen sehr autoritären Kurs.
Zum einen erklärt sie, dass das Problem der Arbeitsbelastung nicht die Mengen oder die Betriebsorganisation sei, sondern die fehlende Einstellung der Bot_innen und der Unwille eines grossen Teils der Belegschaft zum produktiven Arbeiten. So fingen sie im Januar an alle einzelnen Tage auszuwerten, die in ihren Augen nicht der vorgestellten Produktivität entsprachen, und verlangen von den Teamleader_innen den Druck auf die Bot_innen zu erhöhen. Dieser Eskalationsplan sieht das übliche Muster vor: zuerst mündliche Ermahnung, dann schriftliche Aktennotiz, Verwarnung und zum Schluss die Kündigung, wenn die geforderte Produktivität nicht erreicht wird. Sämtliche Teamleiter_innen mussten sich dann auch – unter Änderungskündigungsandrohung – schriftlich verpflichten, den von der Leitung eingeschlagenen autoritären Weg zu unterstützen. Leider haben das alle Teamleiter_innen gemacht. Zu erwähnen bleibt in dieser Sache vielleicht noch, dass die geforderten Produktivitätsziele komplett undifferenziert sind und es keine Unterscheidung zwischen Bezirken mit hoher oder kleiner Stoppdichte, langem oder kurzem Anfahrtsweg oder schwerer oder einfacher topographischer Verhältnisse gibt. Der Weg der Gegenseite ist klar, nicht das Management und die Arbeitsbedingungen sind das Problem, sondern die Belegschaft. Nur dumm für sie, dass sie sich mit den falschen angelegt haben.
Verhandlung und ihre Grenzen
Mitte Januar wurde dann endlich ein Verhandlungstermin zwischen der nationalen und regionalen Postleitung, der Gewerkschaft Syndicom und einer Delegation des Betriebs für den 31. Januar 2025 vereinbart. Dass an der Verhandlung auf eine Betriebsdelegation teilnimmt, ist ein Teilerfolg für die Post-Bot_innen, da in der Regel keine Vertreter_innen aus dem Betrieb zugelassen sind. An der vorgängigen Betriebsversammlung vom 27. Januar haben die Post-Bot_innen beschlossen an ihren Forderungen festzuhalten und wegen der Verzögerungstaktik der Postleitung für die Terminfindung die Forderung für die Strafzahlungen bis zur Umsetzung der Reorganisation zu verlängern. In einer Umfrage unter der Belegschaft haben 68 Bot_innen die Forderungen unterschrieben, was ¾ der ganzen Belegschaft ausmacht. Diese wurden dann am Vortag der Verhandlung der Postleitung übergeben. Zudem haben sie beschlossen, die Betriebsdelegation zu stärken und so zu zeigen, dass man sich nicht spalten lässt, indem die Belegschaft vor das Verhandlungszimmer mobilisiert wurde.
Das Resultat der 5.5-stündigen Verhandlungsrunde ist aus der Sicht der Delegation dann nicht ganz unerwartet ernüchternd ausgefallen. Obwohl eine Vielzahl der Missstände und Verstösse von der Delegation aufgezählt wurde und obwohl viele der Mobilisierung vor das Verhandlungszimmer gefolgt sind, äusserte das Management nur, dass es für dies alles keine Belege gäbe und dass sie sicher gegen kein Gesetz oder den GAV verstossen hätten. Das Angebot des Managements verweist in vielen Stellen auf bereits bestehende Gremien zu nationalen Themen in den jeweiligen Fachkommissionen. Es wurde zwar einer Reorganisation und Sofortmassnahmen durch vorübergehende Auslagerungen von einzelnen Zustellbezirken zugestimmt, jedoch blieben die beiden Hauptforderung nach Einhaltung der 42-Stundenwoche und der Strafzahlungen nicht erfüllt.
An der darauffolgenden Betriebsversammlung vom 03. Februar 2025 haben die Post-Bot_innen deshalb beschlossen, zum jetzigen Zeitpunkt die Vereinbarung nicht zu unterschreiben. Die weiteren Schritte werden nun entwickelt und diskutiert. Und in vielen Köpfen setzt sich immer mehr die Erkenntnis fest, dass es nichts bringt, mit dem Management zu reden. Kollektive Aktionen sind die einzige Sprache, die sie verstehen und die sie in die Knie zwingen können. Eines ist also klar, der Kampf geht weiter.
Solidarität ist unsere Waffe im Klassenkampf
Ob nun bei Planzer, Presto oder der Post, die Arbeitskämpfe der letzten Jahre bei diesen Logistikkonzernen waren seltene Lichtblicke in einer sonst so gelähmten proletarischen Kampfbereitschaft in der Schweiz. Viel zu fest hat sich die Illusion einer Sozialpartnerschaft tief im Bewusstsein von Gewerkschaft und Arbeiter_innen verwurzelt. Diese Kämpfe sind wichtig für uns, weil sie zeigen, dass immer mehr Menschen bewusst wird, dass sinkende Kaufkraft und Lebensstandards nicht einfach Zufälle sind, die ausgerechnet die arbeitende Klasse treffen.
Deshalb unterstützen wir als Solidaritätskomitee – wie schon die kämpfenden Belegschaften von Planzer und Presto – jetzt auch die Kolleg_innen bei der Post. Bisher wurden Wandzeitungen an diversen Paketzustellstellen geklebt, Solitranspis auf den Ausfahrtsrouten der Boten aufgehängt, ein Solidaritätsbrief an die Belegschaft übergeben und ein Solikleber in Umlauf gebracht, der auf eine ungeahnte Resonanz trifft. Dort, wo wir diese Kleber in Briefkästen legen, kleben immer einzelne am nächsten Tag an den Briefkästen. Ganz offensichtlich trifft dieser Arbeitskampf auf einen Nerv bei Paket-Empfänger_innen. Umso wichtiger ist es, dass möglichst viele weitere Briefkästen in der Stadt mit diesem Kleber ihre Solidarität bekunden. Und genau das ist dieses kollektive Moment, an dem ihr euch alle beteiligen und den Arbeitskampf unterstützen könnt. Verteilt in euren Quartieren die Solikleber mit dem Begleitschreiben in die Briefkästen, fordert alle auf sich solidarisch zu zeigen. Denn diese Solidarität kommt wirklich bei der kämpfende Belegschaft an, wird wahrgenommen und gibt Stärke – und sie drückt die Gegenseite in die Defensive. Die Belegschaft ist sehr erfreut über die ihnen gezeigte Solidarität, sie bedanken sich sehr für die Unterstützung. Die Gegenseite spricht diese Solidarität von aussen bis jetzt nicht öffentlich an, sie ignoriert auch den Artikel in der 20-Minuten-Zeitung. Aber seit euch gewiss, es nervt und verunsichert sie gewaltig.
Wir haben in der Schweiz selten eine Situation, in der sich der Spiess in den Betrieben umkehrt, in der die, die eigentlich den ganzen Reichtum erarbeiten in die Offensive kommen. Hier in Oerlikon haben wir heute aber genau diese Situation! Entsprechend wollen wir mit zwei letzten Sätzen von Post-Bot_innen in Oerlikon abschliessen, die zeigen, wie selbstbewusst sie sind:
«Für all das, was uns die Leitung antut, gehören sie in den Knast!»
«Ich kämpfe nicht für mich alleine, sondern für alle anderen, die jetzt und in Zukunft dort arbeiten werden.»
Gemeinsam sind wir stark – 42 Stunden sind genug!